Stapelfeld. TÜV erteilt Freigabe für Kessel der Superlative in Stapelfeld. Inbetriebnahme verschiebt sich ins zweite Quartal 2025.
Für das neue Müllheizkraftwerk (MHKW) Stapelfeld ist es der nächste Meilenstein: Der große Kessel, das Herzstück der Verbrennung, hat die Druckprobe bestanden und die TÜV-Freigabe erhalten. „Mehr als 31 Kilometer Schweißnähte haben einem eineinhalbfachen Prüfdruck von 85,4 bar standgehalten – einem Wasserdruck, wie er in 850 Meter Tiefe herrscht“, sagte Neubau-Projektleiter Felix Ranseder. Die Prüfung bestätige die gute Arbeit der Kesselbauer und Schweißer.
EEW Energy from Waste Stapelfeld (EEW) und der beauftragte Anlagenbauer Standardkessel Baumgarte feierten die Druckprobe jetzt gebührend mit Projektpartnern und rund 150 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit. Für ihn als „Herzenstechniker“ sei das Ereignis „mit der Geburt eines Kindes zu vergleichen“, meinte der Österreicher Ranseder. Etwas weniger emotional war Baumgarte-Geschäftsführer Christian Storm. Er sagte: „Das ist heute wie ein Richtfest für den Zimmermann oder die Bootstaufe für den Schiffsbauer.“
Neue Müllverbrennung in Stapfeld soll Mitte 2025 Betrieb aufnehmen
Bis zur voraussichtlichen Inbetriebnahme, die jetzt für das zweite Quartal 2025 geplant ist, müsse man das Kind so weit erziehen, dass es allein durchs Leben komme, so der Projektleiter weiter. „Dann können wir uns von dem Kessel schon 35 bis 40 gute Jahre erwarten“, sagte Felix Ranseder. Weitere große Schritte sind die sogenannte kalte Inbetriebsetzung mit dem Funktionstest aller verbauten Aggregate sowie anschließend die warme Inbetriebsetzung mit dem ersten Feuer und dem Reinigen des Kessels durch das Ausblasen mit Dampf.
In Stapelfeld realisiert EEW eines seiner größten Zukunftsprojekte. „Sowohl hinsichtlich der Investition in Höhe von 220 Millionen Euro als auch der beachtlichen Kesselleistung von 120 Megawatt setzen wir hier neue Maßstäbe“, sagte Timo Poppe, CEO der EEW-Gruppe.
2017 wurde die Idee für den Neubau erstmals öffentlich präsentiert
Der Geschäftsführer erinnerte an den langen Weg. Der begann 2017 mit der Idee, die 1979 eingeweihte Müllverbrennungsanlage (MVA) Stapelfeld durch einen Neubau zu ersetzen. „Es folgten ein langes Genehmigungsverfahren und etliche Unwägbarkeiten hintereinander“, so Poppe. Anfang 2020 lähmte die Corona-Pandemie mit dem Lockdown die Arbeiten auf allen Ebenen. Kaum hatte sich die Lage etwas beruhigt, begann Russland seinen Krieg gegen die Ukraine. Das führte zu Materialengpässen und stark steigenden Preisen.
Timo Poppe betonte die Bedeutung thermischer Abfallverwertungsanlagen für die immer volatiler werdenden Energiemärkte der Zukunft: „Wir produzieren bedarfsgerechten Strom für die Region aus den nicht-recycelbaren Abfällen der Region. Das ist nachhaltig und kalkulierbar.“ Damit sei EEW verlässlicher Partner der Energiewende und biete Versorgungssicherheit auch dann, wenn Wind nicht weht und Sonne nicht scheint. „Deshalb haben wir in diesen turbulenten Zeiten einen Grund zum Feuern“, sagte er.
Umwelt-Staatssekretär der Grünen lobt die neue Anlage
Dem stimmte Joschka Knuth, Staatssekretär im Umweltministerium in Kiel, uneingeschränkt zu. Der Grünen-Politiker lobte den Neubau als „Zukunftsprojekt, das auch zur Wärmewende beiträgt“. Die Anlage produziere im Vergleich zur alten MVA deutlich mehr Strom und Fernwärme aus der gleichen Menge an Abfällen. Diese energetische Effizienz sei einer der zentralen Gründe für eine finanzielle Unterstützung aus dem EFRE-Strukturfonds. Den Förderbescheid über bis zu 7,85 Millionen Euro hatte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zur Grundsteinlegung vor einem guten Jahr mitgebracht.
Dank der modernen Technik werden 73.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart. Das sei ein Viertel des landesweiten Ziels.
„Die Druckprobe ist der unerlässliche Abschlusstest für die Sicherheit und Zuverlässigkeit von unter Druck stehenden Körpern, bevor sie in Betrieb genommen werden können“, erläuterte Joachim Manns, COO und Mitglied der Geschäftsführung der EEW-Gruppe. Sie stelle sicher, dass der Kessel dem vorgesehenen Betriebsdruck standhalten kann, ohne Schäden zu erleiden.
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„Die neue Technik ist extrem effizient, bei unveränderter Abfallmenge wird die thermische Leistung mehr als verdoppelt“, sagte Joachim Manns. Dazu lieferte er Zahlen. Jährlich werden 225.000 Megawattstunden Strom und 400.000 Megawattstunden Fernwärme produziert. Das Potenzial sei noch mal erheblich höher.
Halb so viel Beton wie bei der Elbphilharmonie verbaut
28.000 Tonnen Beton („Halb so viel wie bei der Elbphilharmonie“) wurden auf der Baustelle in Sichtweite zur Autobahn 1 benötigt. 55.000 Kubikmeter Erde mussten ausgehoben werden. Mit einem Fassungsvermögen von 30.000 Kubikmetern ist auch der Abfallbunker außergewöhnlich groß. Der Inhalt reicht für 21 Tage Betrieb.
Stormarns Kreispräsident Hans-Werner Harmuth (CDU) betonte, dass der Kreis das Projekt immer unterstützt habe, weil es ein Investment in die Zukunft sei. Von den bis zu 350.000 Tonnen Restmüll, die jährlich in Stapelfeld verbrannt werden, liefern die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg rund 100.000. „Die Anlage ist auch für unsere Wärmeplanung wichtig“, so Harmuth.
Daran, wie Stapelfeld über die Jahrzehnte mit der MVA gewachsen sei, erinnerte Bürgermeister Martin Wesenberg (Wählergemeinschaft WGS). Das Dorf mit heute 1900 Einwohnern sei eine der ersten Gemeinden überhaupt mit einem Fernwärmenetz gewesen. „Für mich als Maschinenbauingenieur ist es zudem beeindruckend, wenn ich an der Baustelle mit dem Rad vorbeikomme und die tolle Technik sehe“, sagte er.
Mit der Klärschlammverbrennung soll der Rohstoff Phosphor recycelt werden
Parallel entsteht eine separate Klärschlammverbrennungsanlage (KVA). Aus der Asche soll der knappe Rohstoff Phosphor recycelt werden, der ein wichtiger Dünger in der Landwirtschaft ist. Die alte Müllverbrennungsanlage wird abgeschaltet.
EEW Energy from Waste Stapelfeld (EEW) ist Teil der EEW-Gruppe, einem führenden Unternehmen in Europa auf dem Gebiet der thermischen Abfall- und Klärschlammverwertung. An derzeit 17 Standorten sind mehr als 1400 Mitarbeiter beschäftigt. Jährlich können rund fünf Millionen Tonnen Abfälle verbrannt und energetisch verwertet werden.
Das Unternehmen will bis 2030 klimaneutral sein und bis 2045 klimapositiv wirtschaften. Eine wesentliche Maßnahme wird neben der CO2-Reduzierung die CO2-Abscheidung in den Anlagen sein. Das abgeschiedene CO2 soll dabei teilweise unterirdisch gelagert oder als Rohstoff für chemische Produkte in einer klimaneutralen Wirtschaft der Zukunft genutzt werden.
Zeitraffer-Film vom Neubau: www.youtube.com/watch?v=JSNaaCPRBEE