Bargteheide/Hamburg. Oliver Greinus ist Geschäftsführer der Hamburger Klangmanufaktur. Seine Mission: das Potenzial der Instrumente voll zu entfalten.
Klavierbauer Oliver Greinus ist in Bargteheide aufgewachsen. Der 55-Jährige wohnt unweit der evangelischen Kirche. Seit Kurzem steht dort ein besonderer Flügel – einer, wie es keinen zweiten gibt. Die Hamburger Klangmanufaktur, dessen Geschäftsführer Greinus ist, hat das Instrument der Marke Steinway & Sons aus dem Jahr 1901 gekauft und generalüberholt. Sie hat sich darauf spezialisiert, alte Steinway-Flügel so aufzuarbeiten, dass ihr volles klangliches Potenzial zur Geltung kommt. Jedes Instrument, das die Werkstatt verlässt, ist ein hochwertiges Unikat.
Kantor Andis Paegle hat den Flügel angespielt, als dieser noch in der Werkstatt stand. Gefragt nach seinem ersten Eindruck, sprudelt es nur so vor Begeisterung aus ihm heraus: Der Klang sei „märchenhaft, unglaublich“. Und eine neue Erfahrung: „Der Flügel antwortet so direkt, das kennt man so gar nicht“, so Paegle. Kurz gesagt: ein Instrument „wie ein Osterwunder“.
Steinway-Flügel für die Bargteheider Kirche ist rund 90.000 Euro wert
Die Eltern von Oliver Greinus haben dieses Wunder überhaupt erst ermöglicht. Denn die Anschaffung eines solchen Flügels ist ein kostspieliges Vergnügen, das sich nur wenige leisten können. Auch nicht die Kirchengemeinde Bargteheide. Sie profitiert von einem Mietmodell, das die Klangmanufaktur für Kapitalanleger entwickelt hat, die wie das Bargteheider Ehepaar investieren und zugleich Gutes tun wollen. Der Geschäftsführer erläutert, wie es funktioniert: „Die Käufer stellen ihren Flügel für eine dauerhafte Weitervermietung zur Verfügung und setzen uns für diese Zeit als Verwalter ein. Dafür erhalten sie jedes Jahr eine Rendite von vier Prozent auf den Kaufpreis, was genau der Miete entspricht.“
Der Vorteil für die Mieter – größtenteils Konzertstätten und professionelle Musiker – liege auf der Hand: ein Spitzeninstrument, das zum Konzertieren bestens geeignet ist, zu fairen Konditionen. Dank überschaubarer Kosten gehen sie kein finanzielles Risiko ein. Der Flügel für die Kirche in Bargteheide sei ein gemeinsames Herzensprojekt von seinen Eltern und ihm selbst, so der Klavierbauer. Es sei ihnen wichtig, dass die Flügel wieder dort ankämen, wo sie auch gespielt würden. Seine Mutter Gisela Greinus ist musikalisch interessiert und hat sich früher als Leiterin des Fördervereins Bargteheider Kirchenmusik engagiert.
Den Wert des Flügels beziffert Oliver Greinus auf rund 90.000 Euro. Das bedeutet eine Miete von 300 Euro monatlich. Kantor Paegle sagt: „Früher haben wir zweimal pro Jahr einen Flügel von der Klangmanufaktur gemietet. Die Transportkosten sind höher als die Miete, also können wir auch leasen.“ Hinzu kommen Ausgaben für Wartung und Versicherung. Einen Wertverlust müssen die Eigentümer nicht befürchten: „Wir sorgen für eine regelmäßige Wartung. Deshalb können wir das Instrument nach zehn Jahren wieder zum Einstandspreis verkaufen“, erläutert Greinus.
In der Arbeitswelt von Oliver Greinus dreht sich alles um die perfekte Akustik
Als Kind hatte er Klavierunterricht. Das Musizieren machte ihm Spaß, blieb aber ein Hobby. Das er mit viel Enthusiasmus betrieb: Die Rocktheateraufführungen mit seiner Band DiLämma im Kleinen Theater Bargteheide waren ein Ereignis fürs Publikum. Pianist habe er nie werden wollen, sagt Greinus. Viel mehr als die musikalische Praxis habe ihn die Akustik fasziniert. Als Klavierbauer konnte er dieses Interesse mit dem Tischlerhandwerk und seiner Liebe zur Musik verbinden. Seine Ausbildung absolvierte er bei Steinway & Sons in Hamburg. Im Laufe der Jahre stieg er bis zum Leiter der Konstruktionsabteilung auf.
2015 gründete er zusammen mit Kollegen, die wie er in exponierten Bereichen tätig waren, eine eigene Firma: die Klangfabrik. „Es hat uns interessiert, was mit den Flügeln noch alles möglich ist. Wir haben erhebliche Reserven gesehen. Bei Steinway geht es darum, was das Beste für alle Instrumente ist. Wenn es individuell wird, ist Schluss.“ Während sein früherer Arbeitgeber auf Tradition setze, gehe es bei der Klangmanufaktur um Innovation. Darum, keine Denkverbote zu haben, sondern Dinge auf den Prüfstand zu stellen.
Lauf Geschäftsführer ist Klangmanufaktur die einzige bleifreie Klavierwerkstatt
Wie den Einsatz von giftigem Blei, noch heute standardmäßig Bestandteil der Klaviatur. Die Klangwerkstatt hat vorgemacht, dass es auch anders geht: So hat das Unternehmen gemeinsam mit einem Klavierbauer aus Süddeutschland als Alternative Messinggewichte entwickelt und zur Serienreife gebracht. „Wir sind die einzige bleifreie Klavierwerkstatt“, sagt Greinus. „Wir haben nicht erst ein Verbot abgewartet.“ So viel Erfindungsgeist spricht sich herum. „An uns treten viele Tüftler heran, die Unterstützung brauchen.“ Die Klangmanufaktur als Schmelztiegel für Ideen.
Corrige praeteritum, praesens rege, discerne futurum. Frei aus dem Lateinischen übersetzt: Verbessere die Vergangenheit, beherrsche die Gegenwart, erkenne die Zukunft. Eine Maxime wie gemacht für die Klangmanufaktur. „Wir sind keine Restauratoren“, betont Greinus. „Wir bedienen uns der Konstruktion und ersetzen bei Bedarf alte durch neue Teile.“ Keine Wiederherstellung des Ursprungszustands, sondern ein moderner Veredelungsprozess. Das kommt bei den Kunden gut an: Über mangelnde Aufträge kann sich das 19-köpfige Team der Klangmanufaktur nicht beklagen.
Unter der dicken Lackschicht wartete eine Überraschung auf die Klavierbauer
Manchmal gleicht das Vorgehen einem Entrümpeln. Kantor Paegle: „Sie entfernen alles, was zu viel ist.“ Mit positiven Folgen für die Akustik. „Als ob ein Schleier vom Klang weggenommen wurde..“ Oder etwas vom Holz: „Beim Resonanzboden arbeiten wir das Holz aus, damit wir die Schwingungsfähigkeit haben“, erläutert Greinus. Auch in Sachen Optik macht die Werkstatt von sich reden: Paegle führt als Beispiel das „blaue Wunder“ an. Die Klangmanufaktur hatte für die Hamburger Symphoniker einen Flügel aufgearbeitet und farblich neu gestaltet, was für viel Aufsehen gesorgt hatte.
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Zurück zum Exemplar in der Bargteheider Kirche. Der Käufer, für den es ursprünglich gedacht war, hatte einen schwarzen Flügel bestellt. Als die Klavierbauer entdeckten, was sich unter der alten Lackschicht befand, „fielen uns fast die Augen aus dem Kopf“, so Greinus. Sie legten das feinste Furnier frei, das damals zu haben war: Rio-Palisander aus den Tropen. „Das bekommt man heute gar nicht mehr“, sagt Greinus. „Das Furnier war im Originalzustand erhalten.“
Pianisten haben schon nachgefragt, ob sie den Flügel probeweise spielen dürfen
Überlackieren kam nicht infrage. Wegen der abweichenden Farbgebung kam die Kirchengemeinde zum Zug. „Ich wusste, dass Andis Instrumente aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts liebt, weil sie eine eigene Klangfarbe haben“, so Greinus. Die Qualität des Resonanzholzes sei vergleichbar mit der alter Streichinstrumente. Das Spielwerk sei komplett neu. Der Klang warm, sehr klar mit hoher Modulierfähigkeit. „Die Grunddisposition ist durchlässig geworden für den Charakter des Spielenden. Das ermöglicht ihm, Geschichten zu erzählen, und das Publikum rückt beim Zuhören ganz dicht an den Musiker heran.“
Bei Paegle haben sich schon etliche Pianisten gemeldet, die das Instrument ausprobieren wollen. Für alle anderen, die davon träumen, auf einem Steinway-Flügel zu spielen, hat die Klangmanufaktur fünf Proberäume mit Flügeln ausgestattet. Die Studios sind rund um die Uhr geöffnet und werden stundenweise vermietet. Am günstigsten ist der Mondscheintarif für zwei Euro. Das System basiert laut Geschäftsführer „auf Treu und Glauben“. Das weiß die Community offensichtlich zu schätzen. Bisher hat Greinus das Angebot noch nie bereut.