Glinde. Glinder übergeben mehr als 700 Unterschriften. Viele fürchten den finanziellen Ruin. Bürgermeister: „Dann ist das so.“

Es waren drastische Worte, die Anwohner der Arthur-Christiansen-Straße in Glinde am Montagabend bei der Übergabe von mehr als 700 Unterschriften an Glindes Bürgermeister Rainhard Zug richteten: „Das ist mein finanzieller Ruin“, sagte eine Bürgerin. „Unser Haus ist über Nacht zur Schrottimmobilie geworden“, sagte eine andere. Ein weiterer Anwohner verließ sichtlich aufgewühlt die Gesprächsrunde, nachdem der Bürgermeister verkündet hatte, dass die Stadt die erwartbaren Wertverluste der Häuser nicht ausgleichen kann. „Wenn das so ist, dann ist das so“, sagte Zug. Diese Aussage sorgte für Frust und Verzweiflung.

Wie berichtet, plant die Stadt Glinde auf einem bisher nicht bebauten Gewerbegrundstück Am Alten Lokschuppen, direkt angrenzend an eine dichte Wohnbebauung, ein Flüchtlingsheim für rund 80 Menschen zu errichten. Das rund 1500 Quadratmeter große Areal hat die Stadt von einem privaten Eigner für zehn Jahre gepachtet. 4300 Euro zahlt die Stadt monatlich dafür. Der Mietvertrag gilt seit dem 1. Januar.

Petition: 700 Unterschriften gegen Flüchtlingsheim in Glinde – die Nachbarn sind verzweifelt

Aktuell wohnen in Glinde rund 400 Flüchtlinge. Für die Unterbringung hat die Stadt etwa 65 Wohnungen und Häuser gemietet. Die Stadt rechnet damit, 2024 bis zu 200 weitere Personen aufnehmen zu müssen. Für die muss dringend Platz geschaffen werden. Dass das ausgerechnet auf dem Grundstück Am Alten Lokschuppen geschehen soll, diese Nachricht löste nach Bekanntwerden unter den Anwohnern Entsetzen aus.

Sie befürchten einen Wertverlust ihrer Immobilien und Lärmbelästigung und sorgen sich laut eigener Aussage um die Sicherheit ihrer Kinder. Die Anwohner kündigten rechtliche Schritte an. Sie kritisierten auch die fehlende Einbindung bei der Entscheidung. Anwohner Jan Müller startete die Petition „Keine Wohnbebauung im Gewerbegebiet Am Alten Lokschuppen“. 736 Personen, davon 574 aus Glinde, haben seit dem 12. Januar unterschrieben.

Flüchtlingsheim: Eine Sonderregelung erlaubt der Stadt Glinde das Bauvorhaben

Am Montagabend wurden die Unterschriften vor dem geplanten Bauplatz im Beisein von rund 50 Unterstützern an Bürgermeister Rainhard Zug und Bürgervorsteher Claus Peters (CDU) übergeben. Vorgesehen sind voraussichtlich Gebäude in Modulbauweise aus Holz oder Metall bei einem Budget von 1,65 Millionen Euro. Baurechtlichte Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte erlauben der Stadt Glinde das Vorhaben. Nach derzeitiger Rechtslage kann die Stadt das Flüchtlingsheim maximal sechs Jahre an dem Standort betreiben.

„Aus unserer Sicht ist es eine Fehlentscheidung“, sagte Initiator Jan Müller, als er die Unterschriften an den Bürgermeister übergab. „Wir nehmen Ihr Anliegen ernst und setzen uns mit Ihren Befürchtungen und Ängsten auseinander“, sagte Zug. Er dankte den Anwesenden auch dafür, die demokratischen Spielregeln eingehalten zu haben. Das sei grundsätzlich zwar eine Selbstverständlichkeit, in der aktuellen Zeit aber nicht immer der Fall.

Anwohner fürchten Wertverlust der Häuser, Lärmbelästigung und Gefahren für Kinder

Trotz Zeitdruck angesichts der kurz darauf stattfindenden Verleihung der Glinder Ehrennadel nahm Zug sich Zeit, Fragen der Anwohner zu beantworten. Begann die Diskussion doch sachlich, kochten die Emotionen hoch, als es um den befürchteten Wertverlust der Häuser und die dahinterliegenden Einzelschicksale ging. Für viele Bürger, so schien es, waren die Aussagen des Bürgermeisters nichts als leere Worte.

„Die Stadt Glinde hat uns schon im Vorfeld mitgeteilt, dass sie nicht von ihrem Plan abweichen will“, sagt Mitinitiatorin Nicole Friedrich. Für viele Anwohner scheint das eine Katastrophe zu sein. „Es gibt Leute, die in den nächsten Jahren, warum auch immer, ihr Haus verkaufen müssen“, so eine Bürgerin. „Wo ist der Ausgleich für das Geld, das wir verlieren?“

Vermieter beklagt: „Zwei meiner Mieter wollen wegen des Bauvorhabens ausziehen“

Sollte das Flüchtlingsheim erst einmal stehen, fürchten viele, bei Weitem nicht mehr das Geld zu bekommen, das ihr Haus eigentlich wert wäre – wenn denn überhaupt Käufer gefunden würden. „Ich bekomme nur Absagen“, sagt eine Frau. Spomenko Lukic, der direkt an das Grundstück angrenzend ein Mehrfamilienhaus vermietet, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Zwei meiner Mieter wollen wegen des Bauvorhabens ausziehen.“ Nachfolger seien nicht in Sicht.

Den finanziellen Sorgen der Anwohner konnte Zug nicht viel entgegensetzen – wohl aber nahm er klar Stellung zu der ebenfalls vielfach geäußerten Befürchtung, die Anwohner und ihre Kinder wären in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft nicht mehr sicher. Zug: „Ich habe schon alles gehört.“ Menschen, so der Bürgermeister weiter, sorgten sich, dass Frauen vergewaltigt würden, Kinder bedroht oder in Häuser eingebrochen werde. Man könne nicht in die Zukunft schauen, aber: „Keinen dieser Fälle haben wir in der Vergangenheit gehabt“, so Zug.

Stadt Glinde nimmt in Stadtvertretersitzung Stellung zur Petition

Angesichts der eingereichten Unterschriften ist die geplante Flüchtlingsunterkunft auch Thema in der Stadtvertretersitzung am Donnerstag, 28. März, 19 Uhr, im Festsaal im Marcellin-Verbe-Haus (Markt 2). Unter dem Tagesordnungspunkt wird die Stadt Stellung zur Petition beziehen.

Ein Blick in die Vorlage deutet allerdings darauf hin, dass auch die mehr als 700 Unterschriften wohl nichts an dem Bau des Flüchtlingsheimes ändern werden. „Somit hält sich die Stadt Glinde an die gesetzlichen Vorgaben und sieht keinen Grund von dem Vorhaben auf dem Grundstück Am alten Lokschuppen 11 Abstand zu nehmen“, heißt es darin abschließend.

Frühestens Anfang 2025 werden Flüchtlinge in die Unterkunft einziehen

Sofern eine Detailplanung vorliegt, beabsichtigt die Verwaltung, die Anwohnenden zu einem weiteren Bürgerdialog einzuladen. „Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer wieder bei Ihnen sein werden“, sagte Zug bei der Unterschriftenübergabe. Vermutlich werde dann aus zwei bis drei Architektenentwürfen einer ausgewählt, dessen Umsetzung im Frühherbst ausgeschrieben werden könne.

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Wann Baustart und Bezug zu erwarten seien, könne er noch nicht sagen, so der Bürgermeister. Er rechne aber damit, dass frühestens im ersten Quartal 2025 Flüchtlinge einziehen werden. Denkbar wäre die Errichtung eines Sichtschutzes. Und: „Es wird keine Massenunterkunft, sondern es werden abgeschlossene Wohneinheiten mit eigener Küche und eigenem Bad“, so Zug. In den Drei- bis Vierzimmerwohnungen sollen Familien und Einzelpersonen untergebracht werden.

Wie der Plan B aussehe, falls das Flüchtlingsheim Am Alten Lokschuppen allen Erwartungen zum Trotz doch nicht gebaut werde, wollte der Initiator der Petition Jan Müller noch vom Bürgermeister wissen. Die Stadt plane so oder so weitere Unterkünfte auch an anderen Standorten, sagte der. An der Straße Am Berge wurden Tiny Houses für Geflüchtete geschaffen. Auch die werden bei Weitem nicht ausreichen. Zug: „Wir sind noch nicht am Ende.“