Reinbek. Weniger Wege und ein bequemerer Zugang für Patienten zu ihren Medikamenten – das war Ziel des E-Rezeptes. Wie gut funktioniert das?
Weniger Wege und ein bequemerer Zugang für Patientinnen und Patienten zu ihren Medikamenten – das war das Ziel des seit dem 1. Januar 2024 für alle gesetzlich Versicherten gültigen E-Rezeptes für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Doch ist der Weg zu den Medikamenten wirklich einfacher geworden?
Für die Einlösung des E-Rezeptes bei der Apotheke gibt es drei Möglichkeiten: per elektronischer Gesundheitskarte, per App oder mit dem Papierausdruck. Folgerezepte können ohne erneuten Besuch der Arztpraxis ausgestellt werden. Doch Allgemeinmediziner und Apotheker sehen keine Verbesserung durch die elektronische Verordnung.
Digitales Dilemma: Verschlingt das E-Rezept nur Geld?
Den Ärzten sollte das neue Rezept die Arbeit ebenfalls erleichtern. In der Gemeinschaftspraxis am Rosenplatz hat man davon bisher nichts bemerkt: „Man hat Millionen für dieses E-Rezept ausgegeben“, sagt Internist Dr. Kai Kompisch. „Und dann gab es null Öffentlichkeitsarbeit dazu. Das ist doch ein Treppenwitz!“ Die Praxis hat jetzt selbst Flyer drucken lassen, um den Patientinnen und Patienten das E-Rezept zu erklären. Der Wunsch der Patienten sei meist: „Ach, geben Sie mir das doch auf Papier.“ Deshalb werde, wie verlangt, der Mehrheit der Patienten auch der QR-Code auf Papier ausgedruckt. „Wir haben erstmal einige Stapel DinA-5-Papier gekauft“, sagt Kompisch.
„Solange die Patienten jedes Quartal zu uns in die Praxis kommen müssen, ändert sich nicht viel“, stellt der Mediziner fest. „Das ist schon etwas anachronistisch. Denn damit wir abrechnen dürfen, müssen wir nach wie vor die Versichertenkarte einlesen. Für uns ist es jetzt sogar noch aufwendiger, weil wir bei jedem per E-Mail bestellten Rezept kontrollieren müssen, ob die Karte schon eingelesen ist.“
Apotheker im Zentrum sind unterschiedlicher Ansicht
Auch aus medizinischer Sicht sieht er einen Nachteil: „Wir haben die Rezepte während der Mittagszeit unterschrieben und währenddessen noch einmal kontrolliert, ob das verschriebene Medikament auch wirklich zur Krankengeschichte und weiteren Medikamenten passt. Jetzt fehlt uns dieses Kontrollmoment. Wir haben erstmal unsere Mitarbeiterinnen geschult, worauf sie jetzt verstärkt achten müssen.“
Versicherte können das E-Rezept vor Ort in einer Apotheke ihrer Wahl oder auch in einer Online-Apotheke einlösen. Olaf Rieke, seit Mai 2023 Inhaber der Fürst-Bismarck-Apotheke an der Bahnhofstraße, sieht im neuen E-Rezept keine große Verbesserung. Aus Sicht seiner Kollegin Frauke Gehrhardt-Seim, Inhaberin der Sachsenwaldapotheke, gibt es jedoch keinen Grund zur Kritik.
Patienten haben Vorteile
„Solange die Technik läuft, gibt es keine Probleme“, stellt sie fest. „Auch Korrekturen können die Ärzte schnell übermitteln – wenn sie denn erreichbar sind. Das ist leider nicht in allen Praxen gegeben.“ Da sie viele Stammkunden habe, werde das Medikament in solchen Fällen nach Hause geliefert oder der Kunde hole es am Folgetag ab. „Aber im Großen und Ganzen spart das neue E-Rezept Arbeit“, resümiert sie. „Die Einarbeitung für die Dienstleister hätte besser laufen können. Da müssen sich irgendwie alle selber reinwurschteln.“
Laut ihrem Kollegen Olaf Rieke lägen die Vorteile eindeutig aufseiten der Patientinnen und Patienten: „Wenn mehrere Medikamente auf dem Rezept stehen, und die Apotheke nicht alle vorrätig haben, können die Kundinnen und Kunden den fehlenden Posten in der nächsten Apotheke einlösen – das gab es so vorher nicht“, sagt er.
Reinbeker sind zufrieden mit dem E-Rezept
Eine kurze Befragung der Passantinnen und Passanten vor Apotheken und Arztpraxen im Stadtzentrum ergibt, dass fast alle Befragten mit dem E-Rezept zufrieden sind. Der Reinbeker Lutz Strunk erzählt: „Das hat wunderbar geklappt: Ich war beim Arzt und habe auf dem Weg nach Hause in der Apotheke mein Medikament abgeholt. Das Rezept konnte ich einfach über meine Versichertenkarte einlösen.“
Ein 33 Jahre alter Reinbeker, der die Idee „im Prinzip gut“ findet, sagt allerdings: „Manchmal ist die Wartezeit ein bisschen lästig, bis die Karte geladen ist. Es fühlt sich alles noch ein bisschen behäbig an.“
Viele sind noch unzureichend informiert
Frauke Gehrhardt-Seim beobachtet, dass viele noch nicht über das E-Rezept informiert sind. „Sie kommen und sagen, ‚hier liegt etwas für mich.‘ Wir müssen jetzt alle dazulernen.“ Dazu sagt Nikolaus Schmidt, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein: „Die Versicherten sind leider nicht ausreichend von ihren Krankenkassen zum Umgang mit dem E-Rezept informiert worden, sodass in Praxen und Apotheken viel Zeit mit Erklärungen verloren geht.“
Das elektronische Rezept (E-Rezept) wird von der Ärztin oder dem Arzt digital erstellt, signiert und in der Arztpraxis auf einem zentralen System gespeichert. Anschließend können Patientinnen und Patienten es in einer Apotheke einlösen. Dafür brauchen sie ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK), die E-Rezept-App oder einen Papierausdruck des Codes. Um das Rezept abzurufen, nutzt die Apotheke einen Spezialcomputer, über den er über den E-Rezept-Fachdienst das E-Rezept abrufen kann. Der Papierausdruck ist nicht das Rezept, und auf der Karte werden keine Daten gespeichert.
Privatversicherte und Pflegeheime brauchen noch Papier
Privatversicherte und Pflegeheime sind noch nicht in das digitale System integriert. „Für uns läuft bei Hausbesuchen alles noch wie gehabt“, erklärt Corinna Marie-Ann Pieper, Leiterin des Seniorenheims Kursana Villa Reinbek. „Wir haben einen Vertrag mit einer Apotheke und der Arzt oder die Ärztin faxt das Rezept dorthin.“ Die Versichertenkarten gebe man ungern aus dem Haus. Verpflichtend für die Pflegeheime wird das E-Rezept erst am 1. Juli 2025. Dabei werden gerade in den Pflegeeinrichtungen häufig und viele Medikamente benötigt.
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Deshalb ist dieser Termin aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auch viel zu spät. Sie fordert eine zeitnahe Lösung, die Ärzte nicht in rechtliche Schwierigkeiten bringt, und plädiert dafür, auch den Einrichtungen den Zugriff auf den E-Rezept-Fachdienst zu ermöglichen. Mobile Geräte für Hausbesuche der Mediziner gibt es noch nicht.
Kassenärztliche Vereinigung fordert digitales Rezept für Senioren
Nikolaus Schmidt bestätigt: „Noch keine Lösung gibt es für immobile Patienten und für die Heimversorgung, weil es gesetzlich verboten ist, dass Praxen auf Wunsch des Patienten das Rezept direkt in die Apotheke seiner Wahl leiten. Ausdrucke mit Codes sollen möglichst schnell durch den digitalen Transfer ersetzt werden.“