Westerau. Paar aus Stormarn will wertvolles Schwemmgut auch für öffentliche Immobilien liefern. Die Genehmigung ist allerdings richtig teuer.

Bei den jüngsten Stürmen über der Ostsee ist es wieder massenhaft angespült worden: Seegras. Doch noch immer wird es an der deutschen Baltic-Küste vorrangig zusammengeschoben und auf Deponien verfrachtet, statt das wertvolle Schwemmgut systematisch zu sammeln. Denn Seegras ist ein Baustoff mit hervorragender Öko-Bilanz, der viele wertvolle Eigenschaften in sich vereint.

„Es hat eine außergewöhnliche Dämmwirkung, sehr gute Schallschutzwerte, ist resistent gegen Schimmel und Ungeziefer und bietet zudem einen exzellenten Brandschutz“, sagt Jörn Hartje, Gründer eines Seegrashandels mit Sitz in Trenthorst. In den vergangenen elf Jahren hat das Kleinunternehmen mehr als 500 private Bauherren mit Seegras beliefert. „Nun wollen wir es auch öffentlichen Bauprojekten zugänglich machen. Dafür gibt es aber eine kostenintensive Hürde“, so der 54 Jahre alte Nordstormarner.

Immobilien: Seegras – ökologischer Baustoff der Zukunft

Wer in Deutschland Kindergärten, Schulen und andere kommunale Gebäude errichten will, braucht für sämtliche Baustoffe eine bauaufsichtliche Zulassung. Das gilt ebenso für Seegras, wenn es denn als Dämmstoff zum Einsatz kommen soll. Damit die Behörde ihren amtlichen Segen gibt, muss das Seegras vorher von einem Institut auf verschiedene Parameter wie Wärmeleitfähigkeit, Wärmespeicherkapazität, Setzungsverlauf und das Verhalten bei Bränden gecheckt werden.

„Das klingt schon ein wenig verrückt angesichts der Tatsache, dass Seegras anderenorts bereits seit Jahrhunderten als Baustoff verwendet wird und seine herausragenden Eigenschaften hinlänglich bekannt sind“, sagt Hartje. Auf der dänischen Insel Læsø im nördlichen Kattegat wurden die Häuser einer ganzen Siedlung vor mehr als 300 Jahren mit dem Schwemmgut sogar gedeckt. 30 dieser traditionellen Bauten stehen heute noch und haben durch alle Zeiten Wind und Wetter, Stürmen und der Sonneneinstrahlung erfolgreich getrotzt. Und niemals, berichten Einheimische, habe eines dieser einst mehr als 100 Häuser gebrannt. Eher habe das tragende Fachwerk schlappgemacht als eins der Dächer.

Seegras steckt auch berühmten US-Bauten

Selbst jenseits des großen Teichs schätzt man das Seegras als Baustoff schon lange. Die Firma Cabot’s Quilt aus Boston (Massachusetts) stellte jahrzehntelang Seegrasmatten her, mit denen in ganzen Landstrichen unzählige Häuser gedämmt wurden. Dazu zählen unter anderen berühmte Gebäude wie etwa das Rockefeller Center und die Radio City Music Hall in New York.

Bei einem Workshop im Wendland üben Teilnehmer das richtige Dämmen mit Seegras.
Bei einem Workshop im Wendland üben Teilnehmer das richtige Dämmen mit Seegras. © HA | SGH

„Hierzulande kostet eine Erstzulassung samt aller notwendigen Untersuchungen aber noch immer mehr als 20.000 Euro“, erklärt Hartje. Geld, dass das kleine Green-Tech-Unternehmen aber nicht hat, will es den nächsten Entwicklungsschritt verwirklichen. „Die klimapolitische Notwendigkeit könnte dringlicher nicht sein“, argumentiert der bekennende Kämpfer für ein klimafreundliches und ressourcenschonendes Bauen. Gerade die Wende im Bausektor sei aber notwendig, verursache er doch 38 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen.

Seegras als Baustoff: Kooperation mit Fertighausfirma in Sicht

In immer kürzeren Abständen gebe es Anfragen aus Architekturbüros und Zimmereien, die ihre Bauten mit Seegras dämmen wollen. Zudem bahnt sich die Kooperation mit einer ökologischen Fertighausfirma an. Zuletzt habe es auch Anfragen der Stadtwerke Neustadt und einer Waldorf-Kita aus Hamburg gegeben.

Weil zusätzlich zu den bereits auf dem Markt etablierten Dämmstoffen Seegras auch für das ökologische Dämmen öffentlicher Gebäude dringend gebraucht wird, haben Hatje und seine Partnerin Swantje Streich jetzt eine Crowdfunding-Aktion über die Plattform Startnext gestartet. Bis zum 8. März wollen sie auf diesem Weg 24.000 Euro sammeln.

Begehrtes Dankeschön: Kurzurlaub mit Seegras-Klima

Um einen größeren Anreiz zu schaffen, sich zu beteiligen, gibt es für Spender zahlreiche „Dankeschöns“. Neben Seegras-Seife, Kalendern, Keramikbechern, Windlichten aus upgecyceltem Segeltuch sowie mit Seegras gefüllten Kissen und Matratzen gehören dazu auch Kurzurlaube in besonderen Unterkünften.

Wird das Seegras direkt aus dem Meer geholt, ist es weniger mit Sand versetzt als beim Anschwemmen am Strand.
Wird das Seegras direkt aus dem Meer geholt, ist es weniger mit Sand versetzt als beim Anschwemmen am Strand. © HA | SGH

„Ob nun der alte Bahnhof in Wallsbüll, ein Tiny House an der Flensburger Förde, ein Schäferwagen in der Nähe von Lübeck oder die Ferienhäuser an der Ostsee – alle Unterkünfte haben die Besonderheit, dass sie mit Seegras gedämmt sind“, berichtet Swantje Streich. Intention dieser Goodies sei, dass sich die Besucher selbst einen Eindruck vom Seegras-beeinflussten Wohnklima verschaffen und darüber mit den Besitzern ins Gespräch kommen sollen.

„Geniale Idee“, die gleich mehrere Probleme löst

Die Idee kommt an, wie auf der Pinnwand des Spendenportals nachzulesen ist. „Die Welt braucht mehr von diesen genialen Ideen, ihr löst mehrere Probleme mit einem Mal“, hinterließ etwa Falk Z., der den Seegras-Enthusiasten aus Nordstormarn zudem von ganzem Herzen Erfolg bei ihrer Mission wünschte.

„Ich finde die (offenbar jahrhundertealte) Idee, aus Strandgut mit althergebrachter Landtechnik einen wunderbaren und dazu noch schwer entflammbaren Dämmstoff herzustellen, großartig“, schrieb Jan F., der den Initiatoren fest die Daumen drücke. Das Paar Gerhild S. und Kay K. outete sich unterdessen als praxiserprobte Bewohner eines Hauses, das bereits einige Jahre zuvor mit Seegras gedämmt worden sei. Deshalb unterstützten die beiden das Crowdfunding mit voller Überzeugung. „Euer Info-Film und die angebotenen Dankeschöns finden wir sehr gelungen. Da bekommt man/frau gleich Lust, dabei zu sein“, fügten sie noch hinzu.

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Nach den ersten 21 Tagen der Kampagne haben 64 Unterstützer bislang mehr als 7200 Euro gespendet. Damit ist zwar erst ein knappes Drittel des Spendenziels erreicht. Swantje Streich ist aber optimistisch, dass sich in den verbleibenden 39 Tagen noch mehr Spender finden werden. „Wer sich Bioessen, Biokosmetik und Biokleidung wünscht, mag sich vielleicht auch beim Wohnen mit Naturmaterial umgeben, das bestenfalls nicht aus fernen Ländern stammt“, sagt sie.

Sollte mehr als die angestrebte Summe zusammenkommen, will das Paar die Seegras-Ernte an der deutschen Ostseeküste vorantreiben. So soll eine mobile Aufbereitungsanlage zum Waschen und Trocknen des Schwemmguts aufgebaut werden. Dafür wurde mit einer Firma aus Rerik im Nordwesten des Landkreises Rostock bereits ein Konzept entwickelt. Für die Standortsuche sei man schon mit verschiedenen Kommunen im Gespräch.

Mehr Infos zu der Crowdfunding-Aktion gibt es unter www.startnext.de/seegras