Bargteheide. Rund 2000 Menschen treffen sich vor dem Rathaus und ziehen durch die Stadt, darunter mehrere Bürgermeister aus der Region.

Jendrik Kapp wollte unbedingt dabei sein, sagen seine Eltern. Der zehn Jahre alte Junge ist politisch interessiert, setzt sich bereits für das Gemeinwohl ein im Kinder- und Jugendbeirat von Bargfeld-Stegen. Er hat ein Schild gebastelt aus Pappe. Darauf ist links ein DIN-A4-Blatt geklebt, bemalt mit einer Hand in den Farben des Regenbogens. Daneben steht der Slogan „Lieber kunterbunt als kackbraun!“.

„Ich bin gegen die Rechten“, sagt der Fünftklässler voller Überzeugung. Deshalb ist er hier, wie so viele andere auch – am Sonnabendvormittag in Bargteheide vor dem Rathaus. Rund 2000 Menschen sind gekommen laut Schätzung der Polizei, um gegen Neofaschismus, Antisemitismus und Rassismus zu demonstrieren. Sechs Ordnungshüter sind zugegen und begleiten den Rundgang mit drei Fahrzeugen.

So protestiert Bargteheide gegen Rechtsruck und die AfD

Mit dieser Resonanz hatte Initiator Tom Mac Arthur, Co-Ortsvorsitzender der Grünen und Mitbegründer der Klimaschutz-Initiative Bargteheide Zero, nicht gerechnet. Angemeldet waren 300 Personen. Aber die Aktion hat sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer, auch dank sozialer Netzwerke wie Facebook und Instagram.

Der 57-Jährige holte zudem SPD, evangelische Kirche, den Verein Bunte Vielfalt sowie die Initiative Jugend für Jugend mit ins Boot, die ebenfalls zur Teilnahme aufriefen. „Die Veranstaltung richtet sich natürlich auch gegen die AfD. Sie ist demokratiegefährdend“, sagt Mac Arthur, der in den USA geboren wurde und die doppelte Staatsbürgerschaft hat.

Jugendgruppe berichtet von vermehrten Vorfällen mit rechtsextremistischen Hintergrund

Seine Parteikollegin Angela Poling fungiert heute als Ordner genauso wie Jonas Bewig, Sprecher von Jugend für Jugend. Die Initiative hatte sich 2022 gegründet, setzt sich für Vielfalt ein und ist parteiunabhängig. Der 19-Jährige sagt: „Uns beängstigt die Zunahme von Vorfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund, insbesondere in den vergangenen vier Wochen in Bargteheide. Das geht von Stickern, die zum Beispiel an Schilder geklebt sind, über Beleidigungen und Bedrohungen bis zur Verfolgung von Personen vor die eigene Haustür.“ Die Übeltäter seien im Jugendalter.

Bewig hat Fotos gemacht von Aufklebern mit antisemitischem Charakter an verschiedenen Stellen, die seine Aussage bestätigen. Er besucht derzeit die 13. Klasse der Anne-Frank-Gemeinschaftsschule und hat ein großes Herz für Menschen in Not. Mit seiner Initiative sammelte er mehr als 500 Euro für Opfer des schweren Erdbebens in der Türkei.

Jendrik Kapp (zehn Jahre) mit Mutter Petra und Vater Peter. Die Familie wohnt in Bargfeld-Stegen.
Jendrik Kapp (zehn Jahre) mit Mutter Petra und Vater Peter. Die Familie wohnt in Bargfeld-Stegen. © René Soukup | René Soukup

Um fünf Minuten vor 12 Uhr setzt sich die Menschenmenge in Bewegung. Der Zeitpunkt steht symbolisch für den Rechtsruck in Deutschland mit dem Erstarken der AfD. Jugend für Jugend marschiert vorweg und ruft Parolen. Dahinter geht es leiser zu. Kleine Kinder, auf den Schultern der Väter sitzend, halten Plakate in die Luft. Davon gibt es viele. Unter anderem mit den Aufschriften „Wer in der Demokratie einpennt, wacht in der Diktatur auf“, „Nie wieder ist jetzt“ und „Wehret den Anfängen“.

Marsch durch die Innenstadt dauert rund 30 Minuten

In der Mitte des Demonstrationszugs zieht ein Mann einen Bollerwagen hinter sich her mit Musikanlage. Aus den Boxen erklingt der Song „Auf uns“ von Andreas Bourani. Das Lied beginnt mit „Wer friert uns diesen Moment ein, besser kann es nicht sein.“ Das passt mit Blick auf den Zusammenhalt an diesem Ort. Es ist ein breites Bündnis, Menschen jeder Altersklasse schreiten rund 30 Minuten durch Straßen zurück zum Rathaus. Dazu zählen auch Christel (75) und Wolfgang (83) Arlt aus Bargteheide, die seit 45 Jahren in der Stadt leben. „Wir möchten nicht, dass eine Partei mit rechter Gesinnung hier aufschlägt. Und wir haben Angst, dass die AfD in Deutschland noch stärker wird“, sagt die Seniorin. „Wir machen das hier für unsere Enkelkinder. Die sollen in Frieden leben.“

Jonas Bewig ist Sprecher der Initiative Jugend für Jugend und war als Ordner im Einsatz.
Jonas Bewig ist Sprecher der Initiative Jugend für Jugend und war als Ordner im Einsatz. © René Soukup | René Soukup

Für Bargteheides Ex-Bürgermeister Werner Mitsch wäre der Marsch eine Tortur gewesen. Er hat eine neue Hüfte bekommen und bewegt sich mithilfe von Krücken. Aber auch er wollte unbedingt dabei sein und ein Zeichen setzen, hält sich deswegen ausschließlich am Start- und Zielpunkt vor dem Rathaus auf. Die amtierende Verwaltungschefin Gabriele Hettwer marschiert hingegen mit. Die Bürgermeisterkollegen aus Großhansdorf und Ammersbek, Janhinnerk Voß sowie Horst Ansén, haben sich ebenso eingereiht wie Ehemann Jürgen Hettwer, Rathauschef in Oststeinbek.

Mehr als 700 Demonstranten auf Europaplatz in Trittau

Nach dem Wiedereintreffen auf dem Platz bleibt die Menge noch wenige Minute beisammen. Mehmet Dalkilinc, Kreisvorsitzender der Stormarner Sozialdemokraten, ergreift das Mikrofon. Er sei überwältigt von Bargteheide und meint damit die Anzahl der Teilnehmer. Und er nimmt sich selbst und alle anderen in die Pflicht, jene mit antidemokratischer Haltung zu bekehren: „Es ist unsere Aufgabe, mit den Menschen ins Gespräch zu gehen und ihnen zu sagen, dass sie falsch denken.“ Applaus brandet auf. Dann singen alle den Song Imagine von John Lennon.

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Demonstriert gegen Antisemitismus und Rassismus wurde auch an anderer Stelle im Kreis Stormarn. In Trittau versammelten sich laut Bürgervorsteher Lars Ryll (CDU) mehr als 700 Personen auf dem Europaplatz für eine Stunde. Der oberste Repräsentant der Kommune war einer der Redner. In Ahrensburg gingen die Menschen ebenfalls auf die Straße.