Ahrensburg. Christ- und Sozialdemokraten verlieren in Stormarn deutlich, die Linke kämpft ums Überleben. Wer zulegt und was die AfD prophezeit.

Glaubt man aktuellen Umfragen der Meinungsforschungsinstitute, dann ist die AfD unaufhaltsam auf dem Vormarsch – allen machtvollen Demonstrationen gegen rechts in den vergangenen Tagen bundesweit zum Trotz. Vor allem in den neuen Bundesländern erzielt die Partei immer neue Höchstwerte. Insbesondere dort, wo es im Herbst dieses Jahres Landtagswahlen geben wird. In Thüringen steht die AfD laut INSA bei 31 Prozent, ein Plus von fast acht Prozent im Vergleich zum Zweitstimmenergebnis bei der Landtagswahl 2019. Im Freistaat Sachsen sind es laut Infratest dimap sogar 35 Prozent und ein Zuwachs von 7,5 Punkten. In Brandenburg ermittelte INSA jüngst zwar nur 28 Prozent (+ 4,5 Prozent). Doch auch damit liegt die Alternative für Deutschland derzeit deutlich an der Spitze und zehn Prozent vor der CDU. Die etablierten (Alt-)Parteien verlieren hingegen nicht nur an Zustimmung, ebenso an Mitgliedern. Eine Tendenz, die auch im Kreis Stormarn unübersehbar ist.

Die mit Abstand größten Verluste verzeichnen die Christdemokraten. Innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre verlor der Kreisverband 432 Mitglieder, ein Minus von fast 23 Prozent. Zwar bedeuten 1450 Mitglieder in der regionalen Parteienlandschaft nach wie vor die unangefochtene Spitzenposition. Bereitet der Rückgang dennoch Sorgen?

SPD kämpft mit zunehmender Überalterung

„Keine Frage, die Bindung an die etablierten Parteien hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen, sie haben viel von ihrer Anziehungskraft verloren“, sagt Joachim Wagner, Chef der CDU-Kreistagsfraktion. Neben einem spürbaren Rückzug ins Private habe das indes auch mit den führenden Köpfen zu tun. „Zuletzt war die Unzufriedenheit unter Angela Merkel deutlich spürbar. Doch auch mit Friedrich Merz sind nicht alle glücklich“, so Wagner. Die Leute seien insgesamt viel kritischer geworden.

Mit herben Verlusten haben auch die Sozialdemokraten zu kämpfen. Im Vergleich zu 2013 ging die Mitgliederzahl um 19,5 Prozent zurück. „Das ist das Los der Altparteien, die vor allem mit einer starken Überalterung zu kämpfen haben“, sagt die Kreisvorsitzende Marion Meyer. In der Ortsgruppe Brunsbek sei keiner mehr unter 70, in vielen Kommunen liege der Mitgliederschnitt über 60 Jahren.

FDP legt gegen den allgemeinen Trend zu

Zwar wachse das politische Interesse wieder. Viele Menschen wollten sich aber nicht mehr so schnell an eine Partei binden. „Zudem ist es deutlich schwerer geworden, Job, Familie und Haushalt unter einen Hut zu bringen“, glaubt Meyer. Oft entscheide persönliche Betroffenheit über ehrenamtliches Engagement in Gemeinde- und Stadtvertretungen. „Geht es um Kita-Plätze und die Ganztagsbetreuung an Schulen, wird gern nach der alten Arbeiterpartei SPD gerufen, die immer für besser Bildungschancen gekämpft hat“, so Meyer.

Neben der FDP verzeichnen unterdessen vor allem Stormarns Grüne einen ungebrochenen Zulauf. „445 Mitglieder Ende 2023 bedeuteten unseren absoluten Höchstwert“, sagt der Kreisvorsitzende Benjamin Stukenberg. Insbesondere im Vorfeld der Bundestagswahl habe es ein rasantes Wachstum gegeben. „Immer mehr Menschen verstehen, dass der Kampf gegen den Klimawandel wichtig ist und ohne persönlichen Einsatz, etwa bei der Energie- und der Mobilitätswende, nicht zu gewinnen ist“, so Stukenberg.

Die DNA der Grünen zieht noch immer

Die DNA der Partei, der Natur- und Umweltschutz, ziehe noch immer und habe nichts von ihrer Bedeutung für ein lebenswertes Dasein verloren. Nach 16 Jahren Stillstand in der Merkel-Ära sei eine Aufbruchstimmung zu spüren gewesen, die den Grünen auch viele Zugänge aus anderen Parteien beschert habe.

„In Regierungsverantwortung zu stehen, ist alles andere als einfach und der Ukraine-Krieg hat für zusätzliche Herausforderungen gesorgt“, erklärt Stukenberg. Die Ampel in Berlin habe aber durch eine konstruktive Zusammenarbeit und pragmatische Lösungen dafür gesorgt, dass trotz ausbleibender Öl- und Gasimporte aus Russland im Winter niemand frieren musste und die notwendige Wärmeplanung konsequent vorangetrieben wird.

AfD vermeldet einen Zuwachs um 50 Prozent

Nicht geschadet hat den Grünen aus Sicht von Benjamin Stukenberg zudem, dass die AfD seine Partei zum Hauptfeind erklärt habe. Gerade durch die jüngst bekannt gewordenen Treffen von AfD-Politikern mit radikalen Aktivisten in Potsdam sei vielen Bürgern bewusst geworden, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden müssen. „Auch das sind Grundzüge des politischen Programms der Grünen“, so Stukenberg.

Derweil reklamiert auch die AfD erhebliche Zugänge, ohne allerdings konkrete Zahlen nennen zu wollen. „Im Vorjahr hatten wir einen Zuwachs um 50 Prozent. Es vergeht gerade keine Woche, in der uns nicht mehrere Aufnahmeanträge erreichen. Tatsache ist: Je mehr gegen uns gehetzt wird, je mehr wir von der politischen Arbeit bewusst ausgegrenzt werden wie etwa im Kreistag, umso mehr Zulauf haben wir“, sagte AfD-Fraktionschef Arnulf Andreas Fröhlich dieser Redaktion.

„Erosion der Altparteien ist längst in vollem Gange“

Bei der jüngsten Kreistagssitzung vor dem Jahreswechsel war er zum wiederholten Male nicht zum Vorsitzenden des Hauptausschusses gewählt worden, obwohl der Partei der Posten rein formal zusteht. „Die Leute draußen haben aber ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden. Deshalb sind viele entsetzt, wie hier eindeutig mit zweierlei Maß gemessen wird und sich die sogenannten demokratischen Parteien die Regeln hinbiegen, wie es ihnen gerade passt“, moniert Fröhlich.

Aber spätestens bei den bevorstehenden Landtagswahlen im Osten der Republik werde die nächste Quittung folgen. Die Erosion der Altparteien sei längst in vollem Gange, auch im Westen. Wo einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap zufolge in Baden-Württemberg inzwischen 18 Prozent die AfD wählen würden und damit doppelt so viele wie bei der Landtagswahl 2021.

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„Die Linke hat sich durch die Abspaltung der Wagenknecht-Truppe bereits selbst entzaubert. Doch auch anderen Parteien wie der CDU und der FDP laufen nicht nur die Wähler, sondern auch die Mitglieder davon“, sagt Fröhlich. „Die Bildung des Bündnisses Sahra Wagenknecht hat die Linke natürlich geschwächt“, bestätigt die Kreisvorsitzende Heidi Beutin. Noch sei ihr kein Übertritt von Stormarner Genossen zum BSW bekannt. „Ich will aber nicht ausschließen, dass es Abgänge geben wird“, bekennt Beutin.

Doch auch ohne einen neuerlichen Aderlass steht die Linke in Stormarn vor dem endgültigen Absturz in die Bedeutungslosigkeit: 60 Mitglieder sind der absolute Tiefstwert in den vergangenen 20 Jahren. Um auf Kreisebene handlungsfähig zu bleiben, musste bereits eine Fraktionsgemeinschaft mit den Freien Wählern gebildet werden. Und Hoffnung auf Besserung ist nicht in Sicht.