Reinbek. 56 Zimmer, 1315 Quadratmeter Wohnfläche: Land hat kein Interesse an der Immobilie in Reinbek. Aber was wird nun aus dem Gericht?

  • Makler bietet Amtsgericht Reinbek als „Mehrfamilienhaus“ an
  • Gebäude mit 56 Zimmern hat eine lange Geschichte
  • Was nun mit dem Gericht passieren könnte

Die Stadt Reinbek hat einen S-Bahnhof, ein Renaissance-Schloss, ein Krankenhaus, ein Schwimmbad, Kindergärten, verschiedene Schulen – und ein Amtsgericht. Letzter Punkt könnte sich aber bald ändern. Denn das Gerichtsgebäude wird jetzt auf einem Immobilien-Portal als „Einzigartiges Top-Investment“ und „Historisches Juwel in begehrter Lage von Reinbek“ angepriesen. 5,49 Millionen Euro soll das „Mehrfamilienhaus“ mit 56 Zimmern, 1315 Quadratmetern Wohnfläche und 4590 Quadratmetern Grundstück kosten.

„Schon von außen verspricht das historische Anwesen im Stil eines gediegenen Herrenhauses des vorletzten Jahrhunderts allerhöchste Klasse“, heißt es weiter in dem Inserat von Busse-Immobilien. Aktuell befinde sich die Immobilie im Privatbesitz und sei seit 1999 an das Land Schleswig-Holstein vermietet, das es seitdem als Amtsgerichts nutze. Auf drei Etagen biete die Liegenschaft 1315 Quadratmeter Nutzfläche plus weitere 115 Quadratmeter Keller-, Boden- und Technikräume, dazu 40 Parkplätze im Außenbereich.

Verabschiedet sich Kiel von Reinbek als Gerichtsstandort?

„Das Gebäude ist in privater Hand, und der Eigentümer möchte sich nun davon lösen“, erklärt Makler Kai Busse. „Wir sind selbstverständlich zuerst mit dem Angebot an das Land Schleswig-Holstein herangetreten.“ Aber dies habe vom Kauf Abstand genommen. Warum, kann sich der Reinbeker und Heider Immobilienmakler nicht erklären: „Es ist ein zauberhaftes Gebäude mit einer fantastischen Lage“, schwärmt er. Allein die Nähe zum S-Bahnhof werde es erschweren, etwas Vergleichbares zu finden.

Screenshot Amtsgericht Reinbek
Das Verkaufsangebot auf dem Immobilienportal lobt die Immobilie Amtsgericht Reinbek in den höchsten Tönen. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Denn der Immobilienfachmann ist bereits mit mehreren Interessenten im Gesprächen. Wie viele es sind, mag er nicht verraten. Nur so viel: „Das Gebäude erregt nicht nur in Hamburg und Umgebung, sondern bundesweit Aufmerksamkeit.“ Und nicht alle wollten den Gewerbekomplex weiter als Gerichtsstandort weitervermieten. „Die Interessenten haben ganz unterschiedliche Konzepte für die Nutzung“, weiß er.

Kiel hält einen Ankauf für nicht wirtschaftlich

Das Land Schleswig-Holstein will Reinbek jedoch keineswegs als Gerichtsstandort aufgeben, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion aus dem Finanz- und dem Justizministerium. „Der Vermieter hat im November 2023 das Gebäude zum Verkauf angeboten“, berichtet Miriam Gyamfi, Sprecherin des Finanzministeriums in Kiel. „Ein Erwerb der Liegenschaft wäre möglich gewesen, kommt aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage.“

Dennoch ist man in Kiel entspannt: „Der aktuelle Mietvertrag läuft noch bis Ende 2024“, erklärt Gyamfi. Bis Ende Mai prüfe das Land, ob es die Verlängerungsoption bis zum 31. Dezember 2029 wahrnehme. Daher suche das Land derzeit nicht nach einem anderen Standort. „Insofern verbleibt des AG Reinbek sicher am jetzigen Standort bis Ende 2024 – unabhängig von den Verkaufsbemühungen des Eigentümers“, sagt die Sprecherin des Ministeriums. Für die 53 Mitarbeitenden am Standort bestehe kein Anlass zur Sorge. Auch für andere Gerichtsstandorte seien keine Schließungen im Gespräch.

Ein Gebäudekomplex mit wechselhafter Geschichte

Die gediegene Anmutung des Komplexes rührt daher, dass es 1858 als Kaltwasserheilanstalt, das ehemalige Sophienbad, erbaut worden war – wie der Museums- und Geschichtsverein Reinbek auf seiner Website zu berichten weiß. Ein Bach durchfloss die Wildkoppel, das frühere Jagdgatter des Schlosses, in Nord-Süd-Richtung. Die Quelle gehörte zum Sophienbad. 1846 wurde die Eisenbahnstrecke Bergedorf–Berlin ausgebaut und schnitt die Wildkoppel vom Schlossgarten ab. Der Bach wurde so ebenfalls von seinem Unterlauf getrennt.

Die Bahn brachte Reinbek den erstrebten wirtschaftlichen Aufschwung; die kurze Fahrtzeit nach Hamburg machte den Ort als Villenvorort und Ausflugsort interessant. Die Gunst der Stunde nutzte der Sanitätsrat Dr. Georg Julius Andresen. Er erwarb im Jahre 1857 drei Parzellen des Geheges Wildkoppel vom Königlich (dänischen) Ministerium für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, um dort die Kaltwasserheilanstalt zu errichten.

Das Sophienbad macht Reinbek zum beliebten Kurort

Andresen hatte mit dem Kauf auch die Nutzung der Quellen in der Wildkoppel erhalten. Neben der Kaltwasserheilanstalt, dem Sophienbad, wurden auch drei Wohnhäuser, zwei Logierhäuser, eine Musikhalle, ein Pavillon sowie kleinere Nebengebäude errichtet. Den Namen erhielten Kurbad und Quelle nach Andresens Ehefrau Sophie. Auch der Name Sophienstraße rührt daher.

Zur Zeit der Gründung 1858 war das Kuren mit kaltem Wasser eine neue Heilmethode. Der bekannte Sebastian Kneipp (1821–1897) hatte um 1850 die heilende Wirkung des Wassers entdeckt und Therapien entwickelt. Die Kurgäste im Sophienbad, das sich zunächst wachsender Beliebtheit erfreute, nahmen Bäder „in mancherlei Temperaturen, warm, kühl und kalt“. Sie promenierten in der Wildkoppel, hielten Diät, ruhten, konnten sich im Musikpavillon oder im Lesezimmer zerstreuen. Die Kuren sollten unter anderem bei Gicht, Rheumatismus, Unterleibserkrankungen und Nervenleiden helfen.

Neues Zuhause für „120 erziehungsbedürftige Kinder aus der Großstadt“

Doch mit der Zeit bekam das Sophienbad wirtschaftliche Probleme. In den 1930er-Jahren erwarb die Landesversicherungsanstalt Hamburg das Haus und machte es zu einem Jugendheim. Um die 120 „erziehungsbedürftige Kinder aus der Großstadt“ fanden in dem neuen Reinbeker Jugendheim ihr Zuhause.

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In der Zeit des Nationalsozialismus nutzte man die Wildkoppel für ideologische Zwecke, legte das nördliche Gelände trocken, um einen Aufmarschplatz, genannt „Thingplatz“, zu errichten. Nach 1938 wurde das dortige alte Quellhäuschen abgerissen. An der Stelle entstand ein Tierbrunnen mit Waldtier-Figuren. Diese wurden schon in den 1940er-Jahren durch Vandalismus zerstört. Es dauerte bis 1950, ehe er wieder hergerichtet wurden. Spätestens seit den 1950er Jahren ist die Wildkoppel öffentliches Naherholungsgebiet.

Stützpunkt für die britischen Besatzungstruppen

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente das Sophienbad den britischen Besatzungstruppen als Stützpunkt und Unterkunft. Danach wurde es ein Krankenhaus, sogar mit einer eigenen Geburtsabteilung. 1952 übernahm die Stadt Hamburg das Bauwerk, und das Sophienbad wurde wieder zum Jugendheim. 

Das Verhältnis der Reinbeker Bevölkerung zu den Kindern und Jugendlichen aus dem Heim wurde im Laufe der Jahre angespannt. Insbesondere die Bewohner der Nachbarschaft beschwerten sich über mutwillige Zerstörungen und Diebstähle. Im Stadtarchiv findet sich laut Museumsverein eine dicke Akte darüber. Daher beschloss die Hamburger Behörde um 1989/90, ihre Einrichtung zu schließen und die jungen Bewohner stattdessen in dezentralen Kinderhäusern und Jugendwohnungen unterzubringen.

Von der Aussiedlerunterkunft zum Amtsgericht

In den Jahren 1991/92 lebten Aus- und Übersiedlerfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion im Sophienbad. Die private Wohnungsbaugesellschaft Behrendt erwarb das Sophienbad schließlich, renovierte das Haus und vermietete es an das Justizministerium des Landes Schleswig-Holstein, denn es wurde mehr Platz für das Amtsgericht Reinbek gebraucht, das vorher direkt neben der Polizei angesiedelt war. 1999 zog das Gericht ins frühere Sophienbad ein. Der aktuelle Vermieter ist unserer Redaktion namentlich nicht bekannt.

Interessenten erreichen Kai Busse unter Telefon 0172/455 80 69 oder per E-Mail an info@busse-immobilien.de.