Reinbek (sho). Getrocknete Blumen, feinste Seidenstickereien, sogar eine blonde Haarsträhne zieren die Blätter des Poesiealbums. Mit zierlicher Feder und schwarzer Tinte haben Damen der besseren Gesellschaft im 19. Jahrhundert Verse niedergeschrieben und sich alle Mühe gegeben, ihren Worten durch Verzierungen noch mehr Würde zu verleihen.
Blättert der heutige Besucher im Archiv des Museumsvereins Reinbek in den alten Alben, ziehen vor seinem geistigen Auge nicht nur die Poesiealben-Verse, sondern Bilder aus dem historischen Reinbek um 1860 vorbei.
"Das heutige Amtsgericht Reinbek war damals noch eine Kaltwasserheilanstalt - das Sophienbad, benannt nach der Frau des Erbauers", erzählt Gisela Manzel, Vorsitzende des Museumsvereins. Im Park flanierten die Damen und Herren, die es sich leisten konnten, sich in Reinbek vom Hamburger Stadtleben zu erholen. Andere Gäste ruhten unter den Bäumen, die noch heute die Besucher beeindrucken, oder genossen die Stunden im Musikpavillon. "Ich stelle mir vor, dass die Kurgäste im Park gepflegt Tee getrunken und dabei Plattdeutsch gesprochen haben", sagt Gisela Manzel. Die feinen Damen trugen eng geschnürte Kleider, die ihr zeitweiliges Unwohlsein aus heutiger Sicht leicht erklären. Ihre Gatten gingen in Hamburg Geschäften nach.
Der Sanitätsrat Dr. Georg Julius Andresen war es, der im Jahr 1857 drei Parzellen des Geheges Wildkoppel sowie die Nutzungsrechte für die dort liegenden alten Klosterquellen erwarb und südlich der früheren Fischteiche seine moderne Kuranstalt errichten ließ. In Prospekten warb er mit der heilenden Wirkung von Kuh- und Ziegenmolke, Dampfbädern, Gymnastik, sogar mit Massagen. Dass man mit kaltem Wasser seine Gesundheit erhalten und gegen Gicht, Rheuma und Nervenleiden vorgehen kann, war neu zur damaligen Zeit. Diese Idee hat Sebastian Kneipp (1821-1897) erst aufgebracht.
Ein Brief des Hamburger Malers Otto Speckter (1807-1871) an seine Frau beschreibt das Kurleben anschaulich. "Bis zehn Uhr ruhe ich auf meinem Zimmer, dann ist Sitzbad. Das gewährt einen heiteren Anblick: In einem großen Raum sitzen wohl 20 Personen, alle mit langen weißen Gewändern, die meisten mit Turbanen auf dem Kopf, bis einer plötzlich sich erhebt und seinen bloßen Allerwertesten zeigt." Dass in Reinbek damals das gebaut wurde, was man heute als Wellness-Hotel bezeichnen würde, hatte die Stadt auch der neuen Bahnlinie nach Berlin zu verdanken. Denn die schnitt 1846 die Wildkoppel vom Schlossgewese ab. Dort, wo früher der Herzog mit seinen Gästen jagte, gab es nun Platz zum Bau der Kaltwasseranstalt. Zudem brachte die Bahn den wirtschaftlichen Aufschwung. Plötzlich war Reinbek nicht nur als Villenvorort, sondern auch als Ausflugsziel interessant, denn die Hamburger waren nicht mehr einen halben Tag mit der Kutsche unterwegs, sondern nur noch eine Stunde mit dem Zug.
"Reinbek war bis dahin ein Gemeinwesen, das im Grunde nur aus dem Schloss, der Mühle und ein paar Häusern bestand", sagt Gisela Manzel. Anhand der von ihr ausgewerteten historischen Quellen weiß man, dass um 1860 in Reinbek nur rund 506 Einwohner lebten. Sie hatten sich rund um den heutigen Landhausplatz, am Schmiedesberg, die Schönningstedter Straße, Hamburger und Lohbrügger Straße angesiedelt. Hinzu kamen einige Katen um den heutigen Rosenplatz sowie Schule und Bauernhof Soltau in der Schulstraße.
"Erst mit der Generation von Sophie Andresen erwachte Reinbek zum Leben", erklärt Gisela Manzel. Den Damen sei Dank, die im Park des heutigen Amtsgerichtes saßen und mit feiner Tinte Verse in Poesiealben schrieben.