Glinde. Rainhard Zug wird auf Infotreff zum geplanten Projekt verbal attackiert. Protestler haben bereits die Kommunalaufsicht eingeschaltet.
Es ist zumindest ein Versuch, die Wogen zu glätten. Schon vor eineinhalb Wochen hatten Anwohner der Arthur-Christiansen-Straße in Glinde beim Neujahrsempfang der Stadt gegen ein geplantes Flüchtlingsheim protestiert. Nun also die öffentliche Informationsveranstaltung zum Projekt im Bürgerhaus. Mehr als 100 Besucher sind an diesem Abend gekommen. Die Emotionen kochen hoch, bisweilen geht es ruppig zu. Im Kreuzfeuer der Kritik steht immer wieder Bürgermeister Rainhard Zug. Er begründet mantraartig die Standortwahl. Seine Ausführungen werden mitunter höhnisch beklatscht. Weit vor Ende des Treffs ist klar: Die Interessen lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Der Streit geht weiter und gipfelt womöglich in einem Gerichtsverfahren.
Ein Mitglied der Gruppe bestätigte dieser Redaktion, dass man sich einen Anwalt genommen hat. Zudem ist die Kommunalaufsicht bereits eingeschaltet. Sie prüft nun die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, den die Politik in nicht öffentlicher Sitzung fasste. Darüber hinaus hat Anwohner Jan Müller im Internet eine Petition gestartet, um dem Ansinnen Nachdruck zu verleihen. Knapp 500 Glinder haben bislang unterzeichnet. Der Mann ergreift auch bei der Einwohnerversammlung das Wort. Er steht am Pult und schildert gesittet die Bedenken. Ein Beispiel: Man sehe die Wohnqualität und die Ruhezeiten an Wochenenden als gefährdet an. Es geht also auch um befürchtete Lärmbelästigung. Zum Abschluss seines Beitrags dann die Forderung an die Stadt und somit an die Politiker, die zahlreich vertreten sind aus allen Fraktionen: „Wir wollen, dass Sie die Standortentscheidung rückgängig machen.“
In dem Heim sollen bis zu 80 Personen untergebracht werden
Es gibt nur Schwarz oder Weiß für die Anwohner. Soll heißen: bauen oder nicht. Sie würden sich auch gegen teure Eigentumswohnungen in kurzer Entfernung zu ihren Objekten wehren. Die sind im Gewerbegebiet an der Straße Am Alten Lokschuppen im Gegensatz zu einem Flüchtlingsheim nicht möglich. Es gilt eine sogenannte Sondernutzung. Wie berichtet, hat Glinde ein rund 1500 Quadratmeter großes Grundstück für zehn Jahre gepachtet. Der Kontrakt ist seit Januar gültig. Die Monatsmiete beträgt 4300 Euro. Zu einem Verkauf der Fläche war der Eigner laut Zug nicht bereit. In der Unterkunft sollen bis zu 80 Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen untergebracht werden. Vorgesehen sind Gebäude in Modulbauweise aus Holz oder Metall bei einem Budget von 1,65 Millionen Euro.
Nach derzeitiger Rechtslage kann die Stadt das Flüchtlingsheim maximal sechs Jahre an dem Standort betreiben. Das erzählt der Bürgermeister auch den Protestlern. Er hat seinen Amtsleiter Bernd Mahns dabei, eine erfahrene Verwaltungskraft und zuständig für das Anmieten von Objekten. 65 Häuser und Wohnungen sind es bislang, in denen Flüchtlinge untergebracht sind Zum Jahresende werden es rund 100 sein. Das langt nicht, um die Quote zu erfüllen. Mahns sagt, man sei seit Jahren im Minus. Momentan sind 22 Personen weniger untergebracht, als der Stadt zugewiesen sind. Glindes Flüchtlingskoordinator Ben Yeboa-Kodie hält ebenfalls einen Vortrag, berichtet über den Integrationsprozess.
Bürgermeister drohte mit Abbruch der Veranstaltung
Das Signal der Verwaltung ist klar: Man will dazu beitragen, Ängste abzubauen vor den neuen Nachbarn. Zug wirbt um Nachsicht für das geplante Projekt, erörtert, weshalb andere Standorte durchs Raster gefallen sind. Zum Beispiel ein Parkplatz nahe dem Mühlenteich. Oder der Schlehenweg, wo bereits vier Modulhäuser mit Platz für 104 Menschen errichtet wurden. Es kommt zu Zwischenrufen, die Gemüter erhitzen sich. „Sie reden mit uns wie ein kleines Kind“, entgegnet eine Frau dem Bürgermeister. Der ringt um Fassung, seine Miene wirkt wie versteinert. Er droht in diesem Moment mit einem Abbruch der Veranstaltung für den Fall, dass die Diskussionen in dieser Form fortgeführt werden. Auch danach ist die Gesprächsatmosphäre nicht wirklich angenehm.
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Die Frustration der Anwohner ist spürbar. Denn sie wissen, dass die Politik keinen Rückzieher macht. Zug steht da vorn auch stellvertretend für die Parteienvertreter. Diese sind seinem Vorschlag bei der Flächenpacht im Gewerbegebiet gefolgt. Die verbalen Breitseiten aus dem Publikum bekommen aber nur der Rathauschef und ein wenig sein Amtsleiter ab. Kritische Stellungnahmen gibt es auch von Menschen, die nicht in unmittelbarer Nähe des geplanten Heims wohnen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Martina von Bargen sitzt in der Mitte des Saals und hat das Bedürfnis, den Beschluss zu verteidigen. Sie sagt vorweg: „Es erschreckt mich, dass wir hier gegeneinander arbeiten.“ Die Hoffnung, einen Weg zu finden, der alle Seiten befriedigt, kann sich die Politikerin abschminken. Die Zeichen stehen auf noch mehr Konfrontation.
Parteienvertreter rügen das Verhalten der Protestler
SPD-Fraktionsvizin Marlies Kröpke bewertet die Einwohnerversammlung im Nachgang so: „Da ist keine Sachlichkeit in der Diskussion gewesen. Ich war sehr enttäuscht von der Tonwahl.“ Die Argumente gegen das Projekt seien identisch gewesen mit jenen an anderen Standorten, wo inzwischen größere Unterkünfte gebaut sind. „Und die Befürchtungen sind nicht eingetreten. Am Willinghusener Weg habe ich nicht einmal eine Lärmbelästigung mitbekommen.“ Sie sei dort oft gewesen wegen ihres Engagements in der Kirche, auch zu später Stunde. Das Gotteshaus befindet sich nur wenige Meter entfernt vom Flüchtlingsheim auf der anderen Straßenseite. Barbara Bednarz, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, rügt die Protestler ebenfalls: „Das Verhalten gegenüber dem Bürgermeister war nicht in Ordnung.“ Ähnlich äußert sich der fraktionslose Stadtvertreter Martin Radtke: „Das war für mich befremdlich.“
Es ist nicht die letzte Informationsveranstaltung zum Flüchtlingsheim im Gewerbegebiet gewesen. Wenn feststeht, wie das Gebäude angeordnet ist auf dem Gelände, gibt es eine Präsentation für die Bürger. Der Termin soll laut Zug in diesem Sommer sein. In dem Bauantrag muss die Stadt übrigens nachweisen, dass sie alternative Areale geprüft hat und Gründe nennen für deren Nichtberücksichtigung. Der CDU-Ortsvorsitzende Claus Peters sagt: „Wir werden den Fokus auf eine Gestaltung legen, die allen gerecht wird.“