Lübeck/Oststeinbek. 22-Jähriger hatte mit Komplizen in Oststeinbek knapp 190.000 Euro erbeutet. Mit einem Deal sichert er sich ein mildes Urteil.
Es waren zwei gewaltige Explosionen, die in der Nacht auf den 20. März das Oststeinbeker Gewerbegebiet erschütterten. Unbekannte hatten im Einkaufszentrum Ostkreuz Center an der A1 zwei Geldautomaten gesprengt. Die Kriminellen entkamen mit 188.470 Euro. Einer der Täter muss nun ins Gefängnis. Das Landgericht Lübeck hat am Freitag einen jungen Niederländer zu drei Jahren und neun Monaten Haft wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, Diebstahls mit Waffen und Sachbeschädigung verurteilt.
Zuvor hatte der 22-Jährige ein ausführliches Geständnis abgelegt. Dieses war Teil eines Deals, den die Verteidigung mit der Kammer ausgehandelt hatte. Im Gegenzug sagten die Richter dem 22-Jährigen zu, dass eine mögliche Haftstrafe eine Dauer von vier Jahren und drei Monaten nicht überschreiten werde.
Geldautomaten in Oststeinbek gesprengt: Niederländer muss ins Gefängnis
Laut Staatsanwaltschaft sollen der Angeklagte und seine Mittäter das Ostkreuz Center am 20. März um 2.22 Uhr erreicht haben. Dort sollen sie an nördlicher und südlicher Seite Glastüren eingeschlagen und sich so Zugang verschafft haben. Anschließend sollen sie an den Automaten der Hamburger Sparkasse (Haspa) und der Sparkasse Holstein Blitzknallsprengsätze angebracht haben.
Beide Sprengsätze detonierten etwa zeitgleich gegen 2.25 Uhr. Aus dem Automaten der Haspa, in dem sich zum Zeitpunkt der Sprengung 215.110 Euro befanden, wurden 48.470 Euro entwendet, aus jenem der Sparkasse Holstein, in dem sich 149.450 Euro befanden, 140.000 Euro. Um 2.29 Uhr soll die Gruppe das Einkaufszentrum verlassen haben und über die Autobahn in Richtung Niedersachsen geflüchtet sein.
Explosionen verursachen Sachschaden in Höhe von 320.000 Euro
Beide Explosionen richteten weiträumig erheblichen Schaden an, der auch die umliegenden Geschäfte traf, darunter einen Bäcker, einen Friseur, einen Blumenladen und die Filiale des Sportgeschäfts Decathlon. Der Sachschaden liegt laut Staatsanwaltschaft bei ungefähr 320.000 Euro.
Durch die Alarmanlage des Einkaufszentrums war die Polizei unmittelbar nach der Tat alarmiert und eine Fahndung eingeleitet worden. Wenige Stunden später, am frühen Morgen des Folgetags, hatten Beamte versucht, das verdächtige Auto, einen Audi RS 6, der 2019 in den Niederlanden gestohlen worden war, bei Ahlhorn in Niedersachsen anzuhalten.
Täter flüchten mit bis zu 255 Kilometern pro Stunde vor der Polizei
Die Täter flüchteten jedoch mit Geschwindigkeiten von bis zu 255 Kilometern pro Stunde, die Polizei verfolgte den Audi mit mehreren Wagen. Nach rund einer Stunde fuhr der Fluchtwagen auf der Autobahn 29 in Richtung Osnabrück über ein Nagelbrett und kam zum Stehen. Die Kriminellen setzten ihre Flucht zu Fuß fort.
Der 22-Jährige war schließlich drei Tage später in einem Waldstück bei Garthe (Landkreis Cloppenburg) gefasst worden. Offenbar hatten seine Komplizen ihn auf der Flucht zurückgelassen. Eine Spaziergängerin bemerkte den jungen Mann, der vollkommen dehydriert und hungrig gewesen sei. Die Frau rief die Polizei, der 22-Jährige ließ sich widerstandslos festnehmen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.
Angeklagter benötigte Geld für Reise zu sterbendem Großvater
Alle diese Punkte fanden sich auch im Geständnis des Angeklagten wider. Er sei von Bekannten in den Niederlanden angeworben worden, die für den Coup spontan eine weitere Person benötigt hätten, so der 22-Jährige. Es habe sich um eine einmalige Tat gehandelt. Kurz zuvor sei er von zu Hause weggelaufen, nachdem er seine Ausbildung abgebrochen habe und darüber mit seinen Eltern in Streit geraten sei. Er habe Geld benötigt, um zu seinem sterbenden Großvater nach Marokko zu reisen.
Gemeinsam mit vier weiteren Männern, die der niederländischen Automatensprenger-Szene angehören, sei er nach Oststeinbek gefahren. Seine Aufgabe sei es gewesen, das Fluchtfahrzeug zu tanken sowie nach der Sprengung der Automaten die Geldkassetten zu bergen und in das Auto zu laden. Die Namen seiner Komplizen wollte der 22-Jährige nicht nennen.
Gericht würdigt das Geständnis des 22-Jährigen als strafmildernd
Das Geständnis würdigte das Gericht in seinem Urteil als strafmildernd. „Es war erkennbar von Reue getragen“, sagte der Vorsitzende der III. Großen Strafkammer, Gunnar Ullrich. Die Angaben des Angeklagten hätten zur Aufklärung der Tat beigetragen, auch wenn sie dazu nicht zwingend notwendig gewesen seien.
Unter anderem waren an einem Benzinkanister, einer Mineralwasserflasche und einem Getränkehalter in dem Audi die DNA des 22-Jährigen gefunden worden. Auch hatten die Ermittler im Kofferraum und im Fußraum Glasscherben sichergestellt, die vom Tatort in Oststeinbek stammen.
Verteidiger gibt Banken eine Mitschuld an derartigen Taten
Mit dem Urteil folgte das Gericht in großen Teilen dem Antrag der Verteidigung, die sich für eine Haftstrafe am unteren Rand des in der Verständigung vereinbarten Rahmens ausgesprochen hatte. Verteidiger Tobias Diedrich hob die Qualität des Geständnisses seines Mandanten hervor. Die Einlassung des 22-Jährigen habe die Beweisaufnahme „extrem verkürzt“.
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Diedrich gab den Banken eine Mitschuld an der Tat. „Es wird den Tätern extrem einfach gemacht“, sagte er. Für die Geldinstitute in Deutschland gebe es keinen Anreiz, ihre Automaten besser zu schützen, weil sie von den Versicherungen in vollem Umfang entschädigt würden. „Das ist einer der Gründe, warum sich Täter aus den Niederlanden Ziele bei uns aussuchen.“
Staatsanwaltschaft forderte eine deutlich höhere Haftstrafe
Sein Mandant sei in ein organisiertes System hereingezogen worden, das gezielt junge Männer anwerbe, im besten Fall im Alter unter 21 Jahren, damit für sie noch Jugendstrafrecht angewendet werden könne. Dieses Alter habe der Angeklagte zum Tatzeitpunkt gerade um sechs Monate überschritten. Der 22-Jährige sei von dem kriminellen System ausgenutzt worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte gefordert, den vereinbarten Strafrahmen mit vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe maximal auszureizen. Staatsanwältin Andrea Buscher sprach von „hoher krimineller Energie“ im Vorgehen der Täter. Nicht nur hätten sie einen erheblichen Schaden verursacht, sondern während ihrer Flucht auch andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr gebracht.
Die Täter flüchteten mit 1,5 Kilogramm Sprengstoff im Auto
Die Kriminellen seinem mit einem Auto, das mit mehreren Benzinkanistern und 1,5 Kilogramm Festsprengstoff beladen gewesen sei, mit Geschwindigkeiten von weit über Tempo 200 über die Autobahn gefahren. Der Audi habe so stark nach Benzin gerochen, dass die Polizeibeamten vor der Durchsuchung vorsichtshalber den Kampfmittelräumdienst hinzugezogen hätten. Das Vorgehen der Bande spreche zudem für eine hohe Professionalisierung.
Das Gericht entschied jedoch, dass die Gefahr für Dritte, die vom Fluchtverhalten der Täter ausging, dem Angeklagten nicht angelastet werden könne. Der 22-Jährige sei nicht selbst gefahren und es könne ihm nicht nachgewiesen werden, dass er die Art und Weise der Flucht gebilligt habe. Den Antrag der Verteidigung, den Untersuchungshaftbefehl auszusetzen und den Niederländer bis zum Antritt der Freiheitsstrafe auf freien Fuß zu setzen, lehnte die Kammer wegen Fluchtgefahr ab. Gegen das Urteil kann der 22-Jährige binnen einer Woche Revision einlegen.