Oststeinbek/Lübeck. Der Niederländer soll für Explosionen im Ostkreuz Center in Oststeinbek verantwortlich sein – jetzt steht er in Lübeck vor Gericht.

Es waren zwei gewaltige Explosionen, die das Einkaufszentrum Ostkreuz Center in Oststeinbek am frühen Morgen des 20. März erschütterten. Ein 22 Jahre alter Niederländer soll mit weiteren Mittätern zwei Geldautomaten der Hamburger Sparkasse und der Sparkasse Holstein gesprengt und 188.470 Euro erbeutet haben. Seit Montag, 20. November, muss sich der Angeklagte vor dem Landgericht Lübeck wegen des vorsätzlichen Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen verantworten.

Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft soll der junge Mann Mitglied einer Bande sein, die mit kriminellen Machenschaften ihren Lebensunterhalt finanziert. Unterwegs gewesen sein soll die Gruppe mit einem schwarzen Audi RS 6, der 2019 in den Niederlanden gestohlen worden war. Er soll mit verkabelten Sprengstoffpaketen, Werkzeugen und neun Benzinkanistern beladen gewesen sein, um nach der Tat ohne Tankstopp fliehen zu können.

Bei der Sprengung der Geldautomaten in Oststeinbek werden 188.470 Euro erbeutet

Gegen 2.22 Uhr sollen der Angeklagte und seine Mittäter das Einkaufszentrum erreicht haben. Dort sollen sie an nördlicher und südlicher Seite Glastüren eingeschlagen und sich so Zugang zum Center verschafft haben. Drei von ihnen, unter ihnen auch der Angeklagte, sollen sich durch den südlichen Eingang zum Geldautomaten der Hamburger Sparkasse begeben und einen Blitzknallsprengsatz angebracht haben. Danach soll der Niederländer zum Geldautomaten der Sparkasse Holstein gelaufen sein und dort ebenfalls Sprengstoff angebracht haben.

Beide Sprengsätze wurden laut Anklage etwa zeitgleich gegen 2.25 Uhr zur Detonation gebracht. Aus dem Tresor der Hamburger Sparkasse, in dem sich zum Zeitpunkt der Sprengung 215.110 Euro befanden, wurden 48.470 Euro entwendet. Aus dem Tresor der Sparkasse Holstein, in dem sich 149.450 Euro befanden, wurden 140.000 Euro entwendet. Mit insgesamt 188.470 Euro sollen der Angeklagte und die weiteren Täter das Einkaufszentrum um 2.29 Uhr verlassen haben und nach Niedersachsen geflüchtet sein.

Beide Explosionen richten im Ostkreuz Center erhebliche Schäden an

Beide Explosionen richteten weiträumig erheblichen Schaden an, der auch die umliegenden Geschäfte wie einen Bäcker, einen Friseur, einen Blumenladen und die Filiale des Sportgeschäfts Decathlon traf. Der Sachschaden infolge der Explosion am Geldautomaten der Hamburger Sparkasse liegt laut Anklage bei 49.703,98 Euro, die Detonation am Automaten der Sparkasse Holstein verursachte Schäden in Höhe von 29.771,94 Euro. Der insgesamt angerichtete Sachschaden inklusive der Beschädigungen im Center und an benachbarten Shops liegt ungefähr bei 320.000 Euro.

Der Angeklagte soll mit weiteren Tätern am 23. März zwei Geldautomaten im Ostkreuz Center Oststeinbek gesprengt haben.
Der Angeklagte soll mit weiteren Tätern am 23. März zwei Geldautomaten im Ostkreuz Center Oststeinbek gesprengt haben. © ZRB | picture alliance

Am ersten Verhandlungstag machten der Angeklagte und sein Verteidiger keine Angaben zur Tat. Regungslos lauschte der mutmaßliche Täter seinem Dolmetscher. Als Zeugen wurden hauptsächlich Polizeibeamte gehört, die an den Ermittlungen beteiligt waren. Sie berichteten von Trümmerfeldern und großer Zerstörung am Tatort. Laut eines Polizisten, der zur Tatmittelbestimmung eingesetzt worden war, deuteten die Spuren am Tatort eindeutig auf Festsprengstoff hin.

Nach der Tat kommt es zu einer Verfolgungsjagd in Niedersachsen

Gehört wurde auch eine Zeugin, die maßgeblich an der Festnahme des Angeklagten beteiligt gewesen ist. Durch eine Alarmanlage wurde direkt nach der Tat die Polizei alarmiert. Unmittelbar danach wurde eine groß angelegte Fahndung eingeleitet. Polizisten hatten wenige Stunden nach der Tat am frühen Montagmorgen zunächst versucht, das verdächtige Auto auf der Autobahn 1 bei Ahlhorn in Niedersachsen anzuhalten. Der Fahrer hat sich der Anweisung jedoch widersetzt und ist geflüchtet. Die Polizei verfolgte das Auto mit mehreren Wagen. Nach rund einer Stunde fuhr der Fluchtwagen auf der Autobahn 29 in Richtung Osnabrück über ein Nagelbrett und kam zum Stehen.

„Wegen eines technischen Defekts konnte der Polizeiwagen nicht so schnell kommen wie erhofft“, sagte vor Gericht ein Polizist, der an der Verfolgungsjagd beteiligt war. Die Täter konnten ihre Flucht zu Fuß fortsetzen. Wo das Auto zum Stehen kam, grenzt ein Waldstück an die Autobahn. „Der Motor lief noch, die Warnblinkanlage war eingeschaltet und die Beifahrertür geöffnet“, sagte der Polizist über das, was er und seine Kollegen vorfanden. Außerdem soll der Zaun zum Wald eingeknickt gewesen sein. Spürhunde sollen dort wenige Tage später DNA-Spuren des Angeklagten gefunden haben, nach denen mit einer Speichelprobe gesucht worden war. Es wird von mehreren Tätern ausgegangen. Nur einer von ihnen muss sich seit Montag vor dem Landgericht Lübeck verantworten, weitere sind teilweise noch unbekannt.

Eine Bürgerin bemerkt den Angeklagten, wie er hilflos umherirrt

Drei Tage später bemerkte eine Bürgerin, die zum Tatzeitpunkt in Garthe unweit des Waldstücks wohnte, den Angeklagten. „Ich war am 23. März mit meiner Tochter spazieren“, sagte die 38 Jahre alte Frau. „Mir kam ein junger Mann auf einem neongelben Fahrrad entgegen, der sehr hilflos aussah.“ Sie habe ihn angesprochen. Er habe ihr gesagt, dass er seit drei Tagen draußen unterwegs sei, nichts zu essen und zu trinken habe. Seine Freunde hätten ihn zurückgelassen. Auf die Frage, warum, habe er nur gesagt: Trouble, also: Ärger.

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Nachdem sie ihn mit Wasser und Brötchen versorgt hatte, habe sie die Polizei gerufen, berichtete die Zeugin. „Ich hatte zuvor von der Fahndung nach der Geldautomatensprengung mitbekommen und wusste, dass die Täter Holländer sein sollten“, sagte sie vor Gericht. „Als der junge Mann ein paar Sätze gesprochen hatte, habe ich vermutet, dass er damit zu tun hat.“ Sein Zustand sei besorgniserregend gewesen. „Er war komplett dehydriert, schlapp und hat geweint“, so die Frau. Als die Polizei gekommen sei, habe er sich widerstandslos festnehmen lassen, berichtete ein Polizist. Ein Haftbefehl wurde erlassen. Der Angeklagte sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Prozess wird am 11. Dezember fortgesetzt. Das Urteil soll am 15. Dezember gefällt werden. Dem Angeklagten droht eine mehrjährige Haftstrafe.