Bad Oldesloe. Stormarner Apotheker verzweifelt: 435 Arzneimittel sind derzeit nicht nachbestellbar. Worauf Patienten sich jetzt einstellen müssen.

Die Erkältungswelle ist in vollem Gang. Zu den typischen Symptomen einer akuten Atemwegsinfektion zählt eine verstopfte Nase. Linderung versprechen abschwellende Nasensprays, die in Apotheken erhältlich sind. Vorausgesetzt, sie sind vorrätig oder lieferbar. Denn das ist sogar bei so gängigen Medikamenten längst keine Selbstverständlichkeit mehr, wie Daniel Lemme, Inhaber der Apotheke am Markt und der Spitzweg Apotheke in Bad Oldesloe, berichtet.

Er sagt: „Der Engpass ist da.“ Die Verfügbarkeit bei abschwellenden Nasensprays sei wechselhaft. Bestimmte
Packungsgrößen oder Dosierungen seien zeitweise kaum noch erhältlich. „Aktuell haben wir beispielsweise kein Nasenspray für Erwachsene von Ratiopharm mehr“, so Lemme. Das AL Nasenspray von Aliut Pharma habe er lange Zeit überhaupt nicht bestellen können.

Medikamentenmagel herrscht auch im Bereich Selbstmedikation

Die Lieferbarkeit sei durch die Bank hinweg schlecht. Selbst die Lage bei der Selbstmedikation sei angespannt. „Da konnten wir bislang noch Alternativen anbieten. Doch jetzt fehlt immer mal was, wo es vorher nie Probleme gab.“ Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, bestätigt diese Entwicklung. „Es gibt eine erhöhte Nachfrage bei pflanzlichen Mitteln und Inhalationsprodukten wie Eukalyptus- und Fichtennadelöl“, sagt er. Der Krankenstand sei höher als vor Corona und die Infektionen viel leichter übertragbar.

Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, appelliert bei Medikamentenmangel an die Solidarität der Bürger.
Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, appelliert bei Medikamentenmangel an die Solidarität der Bürger. © Zwenke | Zwenke

Bei Antibiotika hätten die Hersteller die Produktion schon hochgefahren, „aber die Engpässe sprechen für einen deutlich höheren Bedarf“. Nach Angaben von Lemme „sieht es im verschreibungspflichtigen Bereich genauso katastrophal aus“. Antibiotika wie Clindamycin und Clarythromycin seien nicht lieferbar. Gleiches gelte für Cotrim, das bei Harnwegsinfektionen zur Anwendung komme. „Wir haben nur noch einzelne Packungen vorrätig, und keine Firma kann aktuell liefern.“

Generika-Hersteller streicht Winterbevorratung für Apotheken

Schlechte Nachrichten hat er auch für Patienten mit Bindehautentzündung, denen corticoid- und antibiotikahaltige Salben verordnet wurden. „Sie sind nicht verfügbar, und es gibt nur wenige Augentropfen.“ Eng sieht es zudem bei einigen Blutdrucksenkern aus. „Bei einzelnen Wirkstoffen sucht man im Dialog mit dem behandelnden Arzt nach Alternativen.“ Solche Rücksprachen sind nicht nur zeitintensiv, sie binden auch
personelle Kapazitäten und sind somit ein Kostenfaktor.

Hinzu kommt, dass Ratiopharm die Winterbevorratung gestrichen hat. Denn im Frühjahr decken die Apotheken sich üblicherweise mit den Vorräten für den Winter ein. Dass ausgerechnet der Platzhirsch unter den Generika-Herstellern diesen Schritt vollzogen hat, verschärft die Lage der Apotheken zusätzlich. Wenn die Infektionszahlen in die Höhe schießen, könnte das eine ähnliche Situation wie im vorigen Winter zur Folge haben. Vor allem Eltern dürften sich mit Schrecken daran erinnern, dass verschiedene Antibiotikasäfte und fiebersenkende Mittel für Kinder zeitweise gar nicht zu bekommen waren.

Apotheker müssen Versorgung für sieben Tage sicherstellen

„Aktuell haben wir kleine Bestände von Kinderantibiotika wie Amoxicillin mit 250 und 500 Milligramm. Stand heute könnte ich eine Verordnung beliefern“, sagt Lemme. Laut Paragraf 15 der Apothekenbetriebsordnung müssen „Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind“, von den Apotheken so bevorratet werden, dass sie den durchschnittlichen Bedarf für eine Woche decken können. Diese Vorschrift bringt Apotheker in eine Zwickmühle. „Da gibt es Bereiche, wo ich diese Pflicht eigentlich nicht erfüllen kann“, stellt Lemme fest.

Immerhin rechnet er bei Schmerz- und Fiebermitteln diesmal nicht mit Versorgungslücken. „Paracetamol und Ibuprofen haben wir in ausreichender Menge am Lager“, glaubt er. „Auch bei Hustenblockern mit Paracodin oder Codein, die zeitweilig ausverkauft waren, haben wir uns gut bevorratet.“ Hustenlöser seien kürzlich wieder eingetroffen, nachdem er im Oktober noch Kunden, die Ambroxol nehmen sollten, habe wegschicken müssen. Bei Salbutamol, einem Wirkstoff, der bei Asthma, Bronchitis oder chronischen Atemwegserkrankungen zum Einsatz kommt, „ist der Lieferengpass bis April 2024 erklärt“, so Lemme. „Die Versorgung mit Einzelpackungen bei akuter Erkältung mit Atemnot funktioniert gerade noch so.“ Asthmatiker bekämen die Dreierpackung nicht mehr. „Dadurch wird der Rezeptanteil für Versicherte teurer. Er liegt bei fünf Euro pro Packung – egal, ob es sich um eine Einser-, Zweier oder Dreierpackung handelt.“

Verfügbarkeit der Ware muss stets im Blick behalten werden

Insgesamt führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf seiner laufend aktualisierten Liste 516 Medikamente (Stand Freitag) auf, bei denen es zu Lieferschwierigkeiten kommt. Davon betroffen sind auch Insulin- und Insulinersatzpräparate. „Es gibt keine verlässliche Planbarkeit“, moniert Daniel Lemme. Wenn Ware geliefert werde, gehe sie oft direkt wieder raus. „Aktuell liegen wir bei 435 Arzneimitteln, die wir nicht nachbestellen können.“ Über eine technische Schnittstelle werde die Verfügbarkeit live angezeigt. „Sobald
der Haken auf Grün geht, muss man schnell sein.“ Eine Minute zu spät – und nichts sei mehr lieferbar. „Wir haben nahezu eine Vollzeitstelle, sich nur um die Waren kümmert, die nicht bestellt werden konnten“, sagt Lemme, und Frust klingt mit. Er habe keine Freude daran, den Patienten zu sagen: „Das habe ich nicht.“

Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, bereitet es Sorgen, dass immer mehr Apotheken schließen.
Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, bereitet es Sorgen, dass immer mehr Apotheken schließen. © Apothekerkammer | Apothekerkammer

„Wir brauchen mehr Sicherheit am Markt“, fordert Georg Zwenke. Etwa elf Prozent der Apotheken arbeiteten defizitär, weitere elf Prozent stünden auf der Kippe. „Ein Viertel der Apotheken werden sich verabschieden“, schätzt er. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, sieht vielfältige Gründe für
das Apothekensterben: „Die Kolleginnen und Kollegen finden keine Nachfolger, die bereit sind, das wirtschaftliche Risiko einzugehen.“ Als weitere Faktoren nennt er die aufwendigen bürokratischen Hürden, die Mehrarbeit durch Lieferengpässe und den Personalmangel.

Mehr zum Thema Gesundheit

„Die seit über zehn Jahren ausbleibende Anpassung unserer Honorierung bringt viele Betriebe in wirtschaftliche Schieflage“, führt Christiansen aus. Der Krankenkassenrabatt wurde indes von 1,77 auf zwei Euro erhöht. Die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung hätten sich seit 2005 verdoppelt, ebenso die der Ärzte. „Von
dieser Entwicklung sind die Apotheken abgekoppelt.“

Durch Hamstern kommt ein System schnell an seine Grenze

Eine Folge: das Apothekensterben. In Spitzenzeiten stellten 739 Apotheken die Medikamentenversorgung in Schleswig-Holstein sicher. 626 waren es im Jahr 2020, ein Jahr später 614, 2022 noch 603. „Ende September waren es 585, bis Jahresende dürfte er der Wert bei 575 liegen“, vermutet Christiansen. In Stormarn wurden 2020 zwei Apotheken in Ahrensburg und Reinbek geschlossen, 2022 eine weitere in Ahrensburg. „Auf den ersten Blick sieht es nicht so dramatisch aus, aber jede geschlossene Apotheke führt gerade in einem solchen Landkreis zu längeren Wegen“, gibt Christiansen zu bedenken. Das könne insbesondere für nicht mehr mobile, ältere Patienten zum Problem werden.

Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen die Branche aktuell zu kämpfen hat, sieht Daniel Lemme die Versorgung der Patienten nicht gefährdet. „Bei Mangelwirtschaft ist die Solidarität in der Bevölkerung gefragt“, meint Georg Zwenke. „Vom Hamstern raten wir ab, weil nachher viel weggeschmissen und der Engpass so noch
verschärft wird.“ Auch so könne man ein System an seine Grenzen bringen. „Das haben wir ja in der Corona-Pandemie beim Toilettenpapier gesehen, weil alle gleichzeitig losgerannt sind.“