Hamburg. Mit künstlicher Intelligenz gegen Lieferengpässe. Welche Arzneimittel derzeit fehlen und was man bei kranken Kindern wissen muss.

Die sogenannte Abnehmspritze sorgt für einen großen Hype unter allen, die meinen, mit ein bisschen Piksen lasse sich eine Diät oder ausgewogene Ernährung und Bewegung ersetzen. Das hat zur Folge, dass dieses „Lifestyle-Medikament“ namens Ozempic denen fehlt, die es aus gesundheitlichen Gründen dringend brauchen: Diabetiker.

Dieses Ozempic als Injektionslösung im Fertigpen hat es mittlerweile auf eine offizielle Liste des Bundesgesundheitsministeriums gebracht, auf die Experten sowie Patientinnen und Patienten in der infektschwangeren Jahreszeit mit Bangen schauen: die schier endlose Tabelle mit Lieferengpässen bei Arzneimitteln.

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Zuletzt waren 501 nicht lieferbare Pillen, Säfte und Sonstiges dort vermerkt, am Freitag waren es 515, darunter auch Penicillin. Alle Gesetze von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Krisengipfel haben nicht verhindern können, dass auch in Hamburg nach wie vor wichtige Tabletten fehlen.

Die Krankenkassen wie die größte deutsche, die Techniker, weisen allerdings den Vorwurf von sich, das liege an den Rabattverträgen, die sie mit Pharma-Herstellern abgeschlossen haben. TK-Vorstand Thomas Ballast sagte bei einer Veranstaltung des universitären Hamburg Center for Health Economics (HCHE): „Wir bewerten Lieferengpässe weniger emotional. Alternativen haben immer zur Verfügung gestanden.“

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Das heißt, dass gleich wirksame Medikamente verfügbar gewesen seien, wenn das eigentlich verschriebene Arzneimittel mal in der Apotheke aus war. Dass ein Wirkstoff gefehlt habe, so Ballast, sei „nur vereinzelt“ vorgekommen. Doch das führt nach Auskunft von Ärzten und Apothekern dazu, dass sie für Medikamente für ihre Patienten und Kunden extrem viel herumtelefonieren müssen, ob es irgendwo in der Stadt noch eine Packung gibt.

Nach der möglicherweise ungeschickten Ankündigung von Lauterbach, dass es mal zu Engpässen bei Fiebersäften für Kinder kommen könne, hat es wie bei Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Pandemie Hamsterkäufe gegeben. Das bestätigte auch TK-Mann Ballast.

Fachleute des HCHE wollen ein Modell entwickeln, wie man zukünftig mithilfe künstlicher Intelligenz Lieferengpässe vorhersagen kann. HCHE-Leiter Prof. Jonas Schreyögg sprach von „einem der heißesten Themen“ der Gesundheitspolitik. Es gehe darum, den Patienten neue, patentgeschützte Arzneimittel zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Preise so zu bemessen, dass die Beiträge zur Krankenversicherung stabil bleiben. Seit Jahren beklagen sich die Krankenkassen darüber, dass sie in Deutschland zu viel Geld für Medikamente ausgeben.

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Auf der anderen Seite sagen die Pharmahersteller, dass sie vor allem für patentfreie Pillen in Deutschland zu wenig abrechnen können. Die großen Produzenten sitzen längst in Indien und China. Von dort haperte es mit der Belieferung, sodass vor allem in der vergangenen Corona- und Erkältungssaison Fiebersäfte und Antibiotika knapp waren. Dass es bei Kindern Antibiotika-Engpässe gab, räumte auch TK-Vorstand Ballast ein.

Der Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Han Steutel, erklärte: 90 Prozent des deutschen Marktes für Fiebersäfte würden von einer Firma dominiert. Er sagte, es gebe keine Kostenexplosion bei Arzneimitteln, wie von den Kassen behauptet. „Lauterbach hat gesagt: Wir bezahlen nur noch Durchbrüche in der Pharmaforschung. Alles andere brauchen wir nicht zum Überleben.“ Das sei falsch. Bei den häufigsten Krebsarten Brustkrebs und Prostatakrebs gebe es dank moderner Medikamente eine Überlebenschance von 87 Prozent. „Die restlichen 13 Prozent können wir auch schaffen. Aber das ist teuer. Vieles in der Forschung scheitert. Das bezahlt uns keiner.“ Steutel versprach sogar: „Bei Alzheimer werden wir bald etwas haben, das Hoffnung macht.“

Videosprechstunden auch bei Kinderärzten

Auf Hoffnung bei der Chronik eines angekündigten Mangels will man in Hamburg nicht setzen. Angesichts voller Praxen haben sich Ärzte und Apotheker sowie ihre Mitarbeiter bereits wieder ans Dauertelefonieren nach speziell auf ihre Patienten abgestimmte Medikamente gemacht. Und der Senat erklärte in einer Antwort auf eine Anfrage des Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik: Das Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Rahlstedt habe bereits sein Notdienst-Angebot erweitert. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) habe Videosprechstunden für Kinderärzte eingerichtet, die man bei Bedarf ausbauen könne. Das sehen manche Kinderärzte jedoch skeptisch.

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Die Sozialbehörde spricht sich für eine telefonische Krankmeldung bei Kindern aus. Das muss offenbar im Sozialgesetzbuch geändert werden. Die Schulbehörde soll zudem die Schulen anweisen, nur im Ausnahmefall Atteste zu verlangen. All das soll Druck von den Praxen und den Apotheken nehmen.

Über das Ausmaß bei Atemwegsinfekten, RS-Viren, Corona und Grippe macht sich die Behörde von Melanie Schlotzhauer (SPD) keine Illusionen. „In dieser Saison wird der Höhepunkt der Hospitalisierungswelle bei Kindern zwischen Mitte Dezember 2023 bis Ende Januar 2024 und bei Erwachsenen etwa vier Wochen später erwartet.“

Wie das Center for Disease Control and Prevention an Daten aus Australien erklärt habe, habe man in Deutschland in diesem Winter ein „erhöhtes Infektionsgeschehen für Influenza“. Auch in Hamburg soll es bereits die ersten Grippe-Toten gegeben haben.