Reinbek. Immer mehr Patienten mit Erkältungssymptomen gehen ins Krankenhaus. Ein Trend, der einem Mangel an anderer Stelle geschuldet ist.

Gefühlt hustet, schnieft und schnupft halb Deutschland. Auch vor Reinbek macht die Erkältungswelle nicht halt und erfasst aktuell alle Altersschichten. In den Schulen fällt der Unterricht aus, in den Kitas wird das Personal knapp.

„Die Personalsituation ist momentan extrem schwierig“, sagt auch Dirk Böckmann, Leiter der Gemeinschaftsschule am Mühlenredder. 15 Prozent der Lehrkräfte seien aktuell erkrankt. Damit nährt sich der Krankenstand bereits jetzt am Anfang des Winters der Höchstmarke von 20 Prozent aus dem vergangenen Jahr. „Wir setzen alles daran, den Unterricht nicht ausfallen zu lassen. Aber manchmal kommen wir nicht drumherum“, sagt der Schulleiter.

Immer mehr kommen mit Erkältungssymptomen in die Notaufnahme

Wen es erwischt, der geht zum Arzt, wenn er denn dran kommt und überhaupt einen hat. Wer keinen hat, landet immer öfter in der Notaufnahme des Reinbeker Krankenhauses. „Mit eigentlich banalen Erkältungssymptomen“, sagt Andrea Schulz-Colberg, Sprecherin des St. Adolf-Stifts. Da aber gehören sie nicht hin, sondern zum Hausarzt.

Andrea Schulz-Colberg, Pressesprecherin des Reinbeker Krankenhauses
Andrea Schulz-Colberg, Pressesprecherin des Reinbeker Krankenhauses © Krankenhaus Reinbek | Zuchold/Krankenhaus Reinbek

Der aber ist in Reinbek und Umgebung immer schwerer zu finden. Die Suche danach gleicht einem Marathon, schreibt eine Reinbekerin zu dem Thema auf Facebook, nachdem die Liste der Praxen in der Umgebung mit Aufnahme-Stopp immer länger wurde.

Die etablierte und viel geschätzte Gemeinschaftspraxis am Rosenplatz gehört dazu und geht damit auch offensiv um. „Massive und ständige Überlastung und erhebliche Unzufriedenheit bei allen Beteiligten“ haben dazu geführt, dass der Aufnahme-Stopp im Bereich der hausärztlichen Versorgung für Neupatienten nun konsequent und ohne Ausnahmen umgesetzt wird. Die Praxisinhaber „bedauern diesen Schritt zutiefst und hoffen auf eine nachhaltige Besserung in unserem gesetzlichen Gesundheitswesen“, heißt es auf der Homepage.

Auf drei freie Hausarztstellen bislang nur ein Bewerber

Die Besetzung der aktuell drei freien Hausarztstellen im Versorgungsgebiet Reinbek/Glinde/Wentorf mit 82.607 Menschen würde sicher schon für Entlastung sorgen. Diese sind bei der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist endete Anfang November. Eingegangen ist bislang aber nur eine Bewerbung. Ein Problem, das Nikolaus Schmidt, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, auch von anderen Regionen im Land kennt. Ob in der Hamburger Metropolregion oder in der Provinz: „Es ist generell schwieriger geworden, Kassensitze zu besetzen“, sagt Schmidt.

Ein Grund, warum die Vereinigung die Ärzte und Patienten aufruft, sich an der Online-Petition gegen „Praxen-Kollaps und zum Erhalt der ambulanten Versorgung“ zu beteiligen. Bis zum 20. Dezember müssen mindestens 50.000 Unterschriften zusammenkommen, damit die Petition Wirkung erzielt und im Petitionsausschuss des Bundestags angehört wird.

Doch auch ohne drei zusätzliche Hausärzte gilt die Region mit einem Versorgungsgrad von 104 Prozent als ausreichend versorgt. „Ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent wird der Bereich für Neuzulassungen gesperrt“, sagt Schmidt. Statistisch gesehen wäre das der Fall, wenn die drei freien Stellen besetzt würden.

Krankenhaus schickt Patienten mit Infekten in Notfallpraxis

„Statistisch gesehen“ nützt Kranken ohne Hausarzt oder Neureinbekern aber wenig. Wenn sie dann mit Schnupfen und Husten in der Notaufnahme des Krankenhauses landen, werden sie wieder weggeschickt, um die Versorgung von Schwerstkranken nicht zu behindern.

„Diese leicht Erkrankten sind besser in der Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg aufgehoben“, sagt Schulz-Colberg. Die ist praktischerweise im Erdgeschoss des St. Adolf-Stifts untergebracht. Nur da können die Ärzte eine Krankschreibung oder Rezepte ausgeben, in der Notaufnahme hingegen nicht.

Trotz Erkältungswelle gleichbleibende Patientenzahlen in der Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung, die ihren Sitz im St. Adolf-Stift hat.
Trotz Erkältungswelle gleichbleibende Patientenzahlen in der Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung, die ihren Sitz im St. Adolf-Stift hat. © BGZ | Undine Gerullis

Dieser Weg scheint aber offenbar vielen Akut-Patienten noch zu wenig bekannt, denn trotz Erkältungswelle ist die Zahl der Patienten hier bislang nicht angestiegen. „Das Patientenaufkommen lag in den vergangenen Monaten bei zirka 1000 Patienten und ist auch im November nicht angestiegen“, sagt Jochen Kriens, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. Der Anteil der Patienten mit Infekten liegt aktuell bei zehn bis 20 Prozent.

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Ein weiterer Grund, warum sich immer noch Erkältungspatienten in die Notaufnahme verirren, dürften die Öffnungszeiten der Notfallpraxis sein: dienstags, donnerstags und freitags von 19 bis 24 Uhr, mittwochs von 13 bis 24 Uhr, sonnabends, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 24 Uhr. Wer allerdings am Montagmorgen ohne Hausarzt ist und eine Krankschreibung braucht, steht vor verschlossener Tür. „In diesen Fällen verweisen wir dann an die KV-Hotline 116 117, die einen Termin bei einem niedergelassenen Arzt organisieren kann“, sagt Schulz-Colberg.

Die Notfallpraxis wurde im April 2019 eröffnet, auch um die Versorgung von Kranken nach Praxisschluss sicherzustellen und um die Notaufnahme des Reinbeker Krankenhauses zu entlasten. Die Notfallpraxis ist die kleinste von fünf Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, aber mit der Entwicklung seien sie zufrieden, sagte Jochen Kriens in einem Interview mit dieser Redaktion.

Dass die Patientenzahlen stimmen, ist nicht ganz unerheblich. In anderen Notfallpraxen Schleswig-Holsteins, die weniger frequentiert wurden, werden die Öffnungszeiten nun nach einem Urteil des Bundessozialgerichts zur Sozialversicherungspflicht der sogenannten Poolärzte reduziert. Neun von 32 Praxen bleiben ab dem 1. Januar montags, dienstags und donnerstags geschlossen. Zu den betroffenen Praxen zählen auch die in Bad Oldesloe und in Ratzeburg. In diesen Praxen war die Nachfrage zu gering, wurden an den Wochentagen weniger als vier Patienten in zwei Stunden behandelt.