Wentorf. 82 Stipendiaten haben seit 2018 an der Golfstraße an ihren Projekten arbeiten können – samt freier Logis und 1000 Euro Taschengeld.

Sie thront auf einem kleinen Hügel nahe dem Mühlenteich, der Blick öffnet sich von mehreren Fenstern aus ins Grüne. Auf einem Spaziergang im Sommer 2015 hat sich Roger Willemsen in die traumhafte gelegene Wentorfer Villa, heute Sitz der nach ihm benannten Stiftung, am Mühlenteich verliebt. Vor allem die Nähe zum Wald hatte es ihm angetan. Da stand das Anwesen schon seit elf Jahren leer, seit neun Jahren zum Verkauf. Fast schien es so, als hätte die Villa nur auf Roger Willemsen gewartet. Doch er selbst konnte in seinem neuen Zuhause kaum richtig ankommen, wurde dem damals 60-Jährigen doch noch im selben Jahr seine schwere Krebserkrankung diagnostiziert.

Desto mehr gefiel dem beliebten Publizisten, Schriftsteller, Humoristen und Humanisten die Idee, dass dort nach seinem Tod Künstlerinnen und Künstler verschiedener Gattungen als Stipendiaten die Ruhe und Abgeschiedenheit für ihre Kreativität und ihre Projekte nutzen konnten. Und das funktioniert: „Ich bin während meines Stipendiums hier in Wentorf viel im Wald spazieren gegangen“, erzählt der Autor Erik Wunderlich, einer der Autoren, die ein vierwöchiges Residenzstipendium der Roger-Willemsen-Stiftung ergattert haben.

Villa, in der Roger Willemsen Inspiration gesucht hat

Wäre die Idee zu seinem Roman nicht bereits so weit gediehen gewesen, hätte der Schriftsteller sich auch von der Umgebung der Villa an der Golfstraße zu der Handlung seines Erstlings inspirieren lassen können. In dem Aussteigerroman zieht sich die Hauptfigur in den Wald zurück, um dort in einem Campingbus zu leben. „Motiviert von dem Gedanken, ‚wenn es nicht mit den Menschen klappt, klappt es vielleicht mit den Tieren“, erzählt der Schriftsteller. „Aber da ist auch viel Wunschdenken dabei, es geht viel um die Sehnsucht nach der Wildnis, aber dieser Mann stößt auch auf seine Grenzen.“

In seinem Roman versenke er sich einerseits in die detailliert beschriebene Natur, andererseits trage die Handlung auch fantastische Züge, verrät Erik Wunderlich. Er ist sehr zufrieden damit, was er während seines Projektaufenthaltes an der Golfstraße geschafft hat: „Es war eine große Herausforderung, ich hatte mir viel vorgenommen, aber es hat geklappt“, sagt der 40-Jährige, der gerade versucht, vom Schreiben zu leben.

Die Roger-Willemsen-Villa thront auf einem Hügel am Mühlenteich.
Die Roger-Willemsen-Villa thront auf einem Hügel am Mühlenteich. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Vom Schreiben leben, ist nicht einfach

Nach ersten Preisen und Stipendien hat der SWR Ende 2022 Wunderlichs Hörspiel-Debüt „Unearthing“ gesendet und ihn mit der Fortsetzung beauftragt. Bislang lebt er als freiberuflicher Vermessungsassistent, aber jetzt konnte er seinem Agenten die fertige Fassung des Romans schicken, bevor er wieder nach Hause, nach Hessen, fährt.

Auch Roger Willemsen kannte Existenzängste, hatte als Nachtwächter, Museumswärter und in der Erwachsenenbildung seinen Lebensunterhalt verdient, bevor er bekannt wurde. Deshalb entsprach ihm die Idee des Künstlerhauses ohne Verpflichtungen so sehr. Realisiert hat sie nach Willemsens Tod 2016 dessen Freund und Mare-Verleger Nikolaus Gelpke. Er hat Willemsens Villa in Wentorf gekauft und die Roger-Willemsen-Stiftung gegründet. Noch heute haben die in die Villa eingeladenen Kulturschaffenden die Möglichkeit, Willemsens Bibliothek, seine Musik- und seine CD-Sammlung zu nutzen. Große Teile der Einrichtung sind erhalten geblieben.

Freiheit von Druck steigert die Produktivität

„Roger Willemsen war wichtig, dass die Stipendiaten nichts abliefern, auf kein Ziel hinaus arbeiten müssen“, berichtet Julia Wittgens, Stiftungsvorstand, langjährige Mitarbeiterin und Freundin Roger Willemsens. Die Unterkunft ist frei, jeder Stipendiat erhält ein Taschengeld in Höhe von 1000 Euro für Kost und Anreise. Mittlerweile sind die Stipendien auf Vier-Wochen-Aufenthalten verkürzt worden. „Viele Kulturschaffende können das besser mit ihrem Alltag vereinbaren, wenn sie vielleicht noch einen Brotjob haben.“

So wie die Autorin Lara Rüter, die eigentlich vor allem Lyrik schreibt. In Wentorf aber widmete sich die 33-Jährige aus Leipzig einem Essay über Affen. Nach zahlreichen Preisen soll ihr literarisches Debüt im Frühjahr im Verlag Das Wunderhorn erscheinen. „Für meine Prosa habe ich noch keinen Verlag, aber das Thema liegt mir am Herzen“, sagt die Dichterin. „Ich habe mich hier ein bisschen gefühlt wie auf einer Raumstation und hätte es hier auch acht Wochen ausgehalten.“

Die Arbeitsatmosphäre in der Villa wird gelobt

Doch mit ihrem Arbeitgeber, dem Max-Planck-Institut, konnte sie nur vier Wochen vereinbaren. Bei vier Wochen habe sie sich ranhalten müssen und tatsächlich auch einen Großteil fertiggestellt. „Das war hier ein sicherer Ort ohne Druck. Den möchte ich beim Schreiben auch nicht, den mache ich mir schon selbst“, beschreibt Lara Rüter die Arbeitsatmosphäre in der Villa Willemsen.

Die Dritte in der WG auf Zeit ist die bildende Künstlerin Frenzy Höhne, die sonst ebenfalls in Leipzig wohnt. Die 48-Jährige lebt schon lange von ihrer Kunst, von Performances, Verkäufen, Ausstellungen, Sammlungen und Museen. „In meiner Arbeit hat sich vieles ergeben und entwickelt“, erzählt die Stipendiatin. Künstlerinnen und Künstler seien heute jedoch auf Stipendien angewiesen.

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Gut angelegtes Geld: Spenden für Stipendien

„Die Spenden sind auf jeden Fall gut angelegt“, sagt sie. „Bei mir zu Hause liegt nach den vier Wochen viel Organisatorisches und Büroarbeit an. Hier in Wentorf konnte ich hoch konzentriert an der nächsten Etappe meiner Hörskulptur arbeiten.“

Dafür sammelt sie Sinnsprüche und Lebensweisheiten der Welt, die von einer Schauspielerin eingesprochen werden und später im öffentlichen Raum wiedergegeben werden sollen. Die Idee dahinter sei es zu zeigen, wie enorm das Wissen unserer Gesellschaft sei, und dass es viele Antworten auf relevante Fragen bereits gebe. Frenzy Höhne hat auch Willemsens Bibliothek genutzt und war fasziniert, von seinen Anmerkungen und Widmungen, die sich in vielen Büchern noch fänden. „Sie ist so schön“, schwärmt sie. „Aber es ist auch so viel, das ist nicht zu schaffen.“.

Julia Wittgens wirbt um Spenden für die Stipendien, damit noch mehr Kulturschaffende die 1889 vom Hamburger Architekten Martin Haller für den Hamburger Augenarzt Karl Gustav Haase entworfene Villa nutzen können. Mehr unter www.rwstiftung.de