Wentorf. Werke zahlreicher zeitgenössischer Künstler im WAI in Wentorf. Eröffnung am Sonntag, 23. April. Warum sich ein Besuch lohnt.
Rik Reinking rückt das Bild gerade. „Da kann ich nicht drüber hinwegsehen“, sagt der Kunstsammler und Inhaber der Woods Art Institute (WAI) an der Golfstraße in Wentorf fast ein wenig entschuldigend. Möglichst perfekt soll es sein, wenn am Sonntag, 23. April, um 11 Uhr die vierte Ausstellung auf der 2500 Quadratmeter großen Fläche im WAI eröffnet wird. Der 47-Jährige rechnet mit einem großen Besucheransturm, zumal das Wetter verspricht, schön zu werden.
Nationale und internationale Liebhaber moderner zeitgenössischer Kunst aus Schweiz, Belgien und Österreich warten bereits gespannt darauf, welche Werke der Hamburger diesmal zeigt. Im Vergleich zur vorherigen Ausstellung im vergangenen Jahr widmet sich die aktuelle nicht nur einem Künstler, sondern ist ein Querschnitt seiner umfangreichen Sammlung.
Reinkings Sammlung zeitgenössischer Kunst zählt zu den spannendsten Europas
Die zählte die Initiative der Bundesregierung Deutschland – Land der Ideen, bereits 2006 „zu den spannendsten junger zeitgenössischer Kunst in Europa“ und würdigte „seinen außergewöhnlichen Blick für Qualität“. Seitdem sind viele weitere Bilder, Skulpturen, Kunstobjekte und Artefakte zeitgenössischer Künstler aus verschiedenen Kulturkreisen und der ganzen Welt hinzugekommen.
Streng genommen sind es zwei Ausstellungen, die am Sonntag beginnen und bis Ende dieses Jahres zu sehen sein werden. Die eine in den lichtdurchfluteten Räumen mit Blick in den weitläufigen Park trägt den Titel „Homo Ludens“. Frei nach Schiller, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt – ist sie Rik Reinkings Antwort auf die aktuellen Krisen. „Das Spiel ist das, was den Menschen ausmacht und was ihn durch diese Zeit trägt“, ist sich Reinking sicher.
Einige Ausstellungsstücke erzielen auf dem Kunstmarkt hohe Preise
Spielzeug im herkömmlichen Sinn allerdings sucht der Besucher in den 16 Ausstellungsräumen vergebens. Lediglich die aus Holz gefertigten Actionfiguren des Hamburger Künstlers Patrick Sellmann erinnern daran. Die hat Sellmann als Erwachsener gefertigt – als Kompensation, weil ihm solche Figuren in seiner Kindheit verwehrt wurden.
So geht es in den anderen reich gespickten Ausstellungsräumen vor allem um die verschiedenen Spielarten auf allen gesellschaftlichen und menschlichen Ebenen – in der Wissenschaft, der Musik, der Politik, in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei der Identitätssuche und der Endlichkeit des Lebens. Es sind also die großen Themen, die die Künstler hier in großen und kleinen Objekten und Installationen ver- und bearbeiten. Viele Künstler sind international bekannt, ihre Werke erzielen teils hohe Preise auf dem Markt.
Ohne Korsett würde die Mauer einstürzen und zu Staub zerfallen
Leicht ist die Kost für den Betrachter nicht immer. Und nicht immer auf den ersten Blick verständlich. Damit die Besucher nicht ratlos zurückbleiben, führt Marco Berg sie regelmäßig in kleinen Gruppen und nach vorheriger Anmeldung (ganz einfach online auf der Homepage) durch die Ausstellungsräume. Der WAI-Mitarbeiter bezeichnet sich selbst als „professionellen Kunstvermittler“ und ist den Ausstellungsstücken in den vergangenen Monaten sehr nah gekommen, wie er scherzhaft sagt.
Berg hat beim Aufbau geholfen, und der war nicht immer leicht – wie im Fall der sechs Meter langen und zwei Meter hohen Mauer mit dem Titel „Tresors“ der Künstlerin Madeleine Dietz. Die „Mauer“ besteht aus vielen einzelnen aus Erde gepressten Quadern, die mit sechs Personen aufeinander geschichtet werden mussten und von einem Stahlkorsett zusammengehalten werden. Ohne Korsett würde die Mauer einstürzen und zu Staub zerfallen – ein Sinnbild für das Lebensende.
Weniger leicht wird es im Untergeschoss der Galerie
Doch auch Leichtigkeit und Humor kommen in der Ausstellung nicht zu kurz. Die rote „Clownsnase“ auf weißer Wand des in Kassel lebenden Bildhauers Johannes Espers ruft beim Betrachter ein Schmunzeln hervor. Poetisch mutet das Objekt des japanisches Künstlers Rikuo Ueda an. Es heißt „Winddrawing“ – die ausgestellte Zeichnung aus Papier stammt von einem Stift, den Ueda in einen Baum gehängt und den allein der Wind hin- und herbewegt hat. „Eine schöne Idee, auf die man erst einmal kommen muss“, sagt Berg, der dieses Objekt zu seinem Liebling auserkoren hat.
Weniger leicht wird es im Untergeschoss der Galerie. Hier ist parallel die zweite Ausstellung „Times“ zu sehen. Die Arbeiten der italienischen Künstlerin Vanessa Beecroft, des griechischen Malers Dimitris Tzamouranis und des Dresdners Thomas Judisch kreisen um die hochaktuellen Themen Flucht und Migration und den medialen Umgang mit den Themen.
Einige Besucher kommen auch nur wegen des einmalig schönen Parks
So wirken die großformatigen Meeresansichten von Dimitris Tzamouranis auf den ersten Blick schön und imposant. Sie sind mit geografischen Koordinaten betitelt, die der Künstler und Segler mit seinem Boot angefahren hat. Es sind die Orte, an denen Schiffe mit Flüchtlingen aus Nordafrika bei der Flucht nach Italien oder Griechenland untergegangen sind.
„Fühlen und verstehen. An die eigenen Grenzen kommen, das ist das, was Kunst schaffen kann, wenn man sich darauf einlässt“, sagt Rik Reinking. Nicht alle WAI-Besucher wollen das. Einige kommen auch nur wegen des einmalig schönen Parks, der, wenn die Rhododendren im Mai blühen, „besonders kitschig ist“, wie Reinking sagt. Allen Besuchern aber gleich ist: Sie sind beeindruckt von der Anlage und davon, was Rik Reinking in den vergangenen fünf Jahren daraus gemacht hat.
Vision von einem Ort der Begegnung realisiert
Schon lange war der Kunstmäzen, der als Schüler mit 16 Jahren seinen ersten Horst Janssen erworben hat, auf der Suche nach passenden Ausstellungsräumen. 2017 fand er in der Wentorfer Liegenschaft, in der zuvor eine Sprachheilschule in den mehreren reetgedeckten Häusern und dem dazugehörigen zehn Hektar großen Park untergebracht war, mehr als das. Er erhielt bei der Versteigerung den Zuschlag und entwickelte die Vision, an diesem historischen Ort einen Ort der Begegnung zu schaffen.
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Diese Vision hat er bereits nach kurzer Zeit umgesetzt. Es ist ihm gelungen, einen Ort zu schaffen, an dem nicht nur Kunst ausgestellt, sondern auch gemacht wird – zehn der zwölf Ateliers sind vermietet. Es gibt eine Malschule, ein Café, Seminarräume, in denen regelmäßig Studenten der Hamburger Hochschule für bildende Künste zu Gast sind. Filmteams bauen hier Kameras auf.
Der belgische Versicherungsunternehmer George Fester ließ den Landsitz 1914 erbauen
Und wer über Nacht bleiben will, kann in einem der 20 Betten im Boardinghaus schlafen. Finanziert hat Reinking, der als Kunsthändler sein Geld verdient, aber seine Leidenschaft und Beruf voneinander getrennt wissen will, alles selbst. Es ist dieser „Dreiklang aus Natur, Kunst und Begegnung, den dieser Ort so besonders macht und der die meisten fasziniert“, sagt Reinking.
Über 100 Jahre alt ist das Anwesen: 1914 ließ sich hier der belgische Versicherungsunternehmer George Fester in enger Nachbarschaft zu Politik- und Wirtschaftsgrößen der damaligen Zeit einen Landsitz, die Villa Weltevreden, erbauen und beauftragte den Landschaftsarchitekten Rudolph Jürgens mit der Gestaltung des zehn Hektar großen Parks. Jürgens war damals ein Star seiner Branche und bekannt fürs Weitläufige. Am Sonntag, 23. April, haben Interessierte alle Zeit der Welt, um in Ruhe und bei freiem Eintritt durch die Ausstellung und den Park zu spazieren. Das große Tor öffnet um 11 Uhr und schließt um 18 Uhr.