Wentorf. In Wentorf wurde das Künstlerhaus für den 2016 verstorbenen Publizisten eröffnet. Roger-Willemsen-Stiftung verteilt Stipendien.
Er habe eine „Begabung zum Wohnen“ gehabt, sagte die Rednerin Insa Wilke. Und das stimmt wohl: Roger Willemsen lebte in einer Welt der Bücher und der Musik, inmitten vom Schöngeistigen. Die hohen Decken sind in diesem imposanten Wohnhaus Fluchtpunkte vor allem der Literatur. Bis ganz nach oben reichen die Regale. Ob man, auf den Regalleiterchen stehend, tatsächlich bin ins letzte Fach langen kann?
Willemsen, der Vielleser und viel gelesene Buchautor, ist am 7. Februar 2016 in diesem Haus in Wentorf gestorben. Nur 60 Jahre alt wurde der Mann, der einer der bekanntesten und populärsten Intellektuellen und Publizisten im Land war; und lange gewohnt hat er in diesem Haus nicht. Im Sommer 2015 war er aus der Stadt, wo er unweit der Außenalster lebte, nach Wentorf gezogen. Jetzt hängt ein Foto vom ihm im Eingangsbereich. Es begrüßt all diejenigen, die ab sofort hier ein und aus gehen sollen: im neu gegründeten Künstlerhaus Villa Willemsen, das gestern mit einer Matinee feierlich eröffnet wurde.
Werkstattgespräche und Seminare
Stipendiaten aller künstlerischen Disziplinen werden hier in Zukunft ein vorübergehendes Zuhause haben. Es soll Veranstaltungen, Werkstattgespräche und Seminare geben in diesen Räumen, die eben doch auch „herrschaftlich“ oder „repräsentativ“ sind, obwohl genau das die Gastgeber der Eröffnung bestritten. Aber recht hatte die bereits eingangs erwähnte Insa Wilke, hatten Julia Wittgens und Nikolaus Gelpke, die wie Wilke der neu gegründeten Roger-Willemsen-Stiftung angehören: Es ist natürlich auch eine Aura der Behaglichkeit, die sich hier verströmt.
Auf Einladung des Mareverlags – er ermöglichte Kauf und Umbau des Hauses – und seines Leiters Gelpke, der mit insgesamt sieben Freunden Willemsens die Stiftung ins Leben gerufen hat, war man also nach Wentorf gefahren, um sich diese neue Residenz des Kulturlebens in der Metropolregion mal anzusehen. Die ersten Stipendiaten stehen bereits fest und vor dem Einzug, es sind der Schriftsteller Frank Schulz („Onno Viets“) und Claudia Rusch („Mein Rügen“). Sie werden, wie an diesem herrlichen Frühlingstag zu besichtigen war, an einen freundlichen Ort kommen, der in seiner architektonischen Großzügigkeit einladend ist und, hoffentlich auch das, inspirierend.
Auch ein Gedächtnisort
Man hat es im Falle der Villa Willemsen aber nicht nur mit einer zukünftigen Künstlerunterkunft, sondern auch mit einem Gedächtnisort zu tun. Wie soll es auch anders sein, wenn hier doch, von einer bestimmten Warte aus betrachtet, das Persönlichste zu finden ist, das über einen Menschen in Erfahrung zu bringen ist: die Bibliothek und die Musiksammlung Roger Willemsens, die sich über viele, viele Regalmeter in mehreren Zimmern erstrecken. Während die Weggefährten des ehemaligen Hausherrn von der Entstehung des Künstlerhauses erzählten – um sein Nachleben, berichteten sie, habe sich Willemsen bis zuletzt keinerlei Gedanken gemacht, sie seien mit der Idee auf ihn zugegangen –, während also diese schöne Initiative vorgestellt wurde, war Zeit für einen Streifzug durch ein Geistes- und Genussleben.
Wer immer künftig durch die Willemsen-Welt wandeln wird, es wird ihm an Lektüremöglichkeiten und Songs nicht mangeln. In den noch von Willemsen ausgesuchten Regalen stehen Beckett und Joyce, zwei Klassiker der englischen Sprache. Und daneben dann aber Yates, Hustvedt, Boyle. Die Schiller-, Goethe- und Fontane-Ausgaben sind richtig alte Schinken, aber die Neugierde Willemsens machte beim Literatur-Adel nicht halt. Im Arbeitszimmer, das sich im ersten Stockwerk befindet, steht zwischen all den Prachtfolianten, Bildbänden und schicken Hardcoverbüchern auch ein, nun ja, ziemlich zerlesenes Exemplar mit dem Titel „1000 Dessous“. Eine Geschichte der Reizwäsche, was für ein Fundstück, nicht nur auf dem Flohmarkt, sondern auch in dieser erlesenen Privatbibliothek. Wer über all den Büchern auch einmal etwas anderes sehen will, der könnte Gefallen am Spritzdekor der 20er-Jahre finden, das Willemsen sammelte.
Kein Elfenbeinturm
Es sei gar nicht so einfach gewesen, erklärte Initiator Nikolaus Gelpke, die Stiftung aus der Taufe zu heben – die liebe Bürokratie. Im Keller musste renoviert werden, denn die Keller sind ja oft feucht in den alten Prachthäusern. Die Villa Willemsen wurde im Jahr 1889 erbaut, und damals wusste sie noch nicht, dass sie einmal so heißen wird und dass sie mal eines der prominentesten Gebäude des Ortes Wentorf bei Hamburg sein würde. Bürgermeister Dirk Petersen war selbstverständlich zur Eröffnung geladen, das Künstlerhaus will schließlich kein Elfenbeinturm sein. Sondern ein offenes Gebäude in vielerlei Hinsicht, so wie auch die neue Willemsen-Stiftung eine offene Veranstaltung ist. Man wolle, so Gelpke, sich Partner und Stipendiengeber suchen, um jährlich zehn Kulturschaffenden Aufenthalte zu ermöglichen. Der Förderverein „Freunde der Villa Willemsen e. V.“ befinde sich in der Gründung.
Wie um die Ausstrahlung, die von dem Haus fortan ausgehen soll, zu unterstreichen, tauchte übrigens der deutsche Musiksuperstar Herbert Grönemeyer auf. Stand auf einmal im Raum, ließ sich schon vor dem eigentlichen Beginn der Matinee bereitwillig interviewen. Sprach von seiner Freundschaft mit Willemsen und von dessen Bildung, neben der sich die eigene oft wie eine Halbbildung ausnehme.
Der Pianist Frank Chastenier überraschte die Gäste, also auch Grönemeyer, mit einer neuen, getragenen Version von „Mensch“, und überhaupt herrschte eine Atmosphäre zwischen Melancholie und Aufbruch im neuen Künstlerhaus. Willemsen war ein leidenschaftlicher Jazzkenner. Tausende von CDs und auch einige dekorativ aufgestellte LPs warten nun auf die neuen Bewohner, und man kann sich das gut vorstellen: wie hier an einem hellen Sommertag ein Schriftsteller zu leisen oder lauten Jazzklängen seine Sätze zu Papier bringt.
Informationen zum Künstlerhaus unter www.roger-willemsen-stiftung.de