Friedrichsruh. Die Aumühlerin Claudia Spielmann vereint auf sich drei Karrieren: als freie Künstlerin, Kostüm- und Bühnenbildnerin. So schafft sie das.
Unter dem alten Gebälk des Ateliers von Claudia Spielmann gibt es viel zu entdecken. Der Raum spiegelt die Vielfalt in ihrem Werk wider: An der Wand hängt ein Moodboard mit Ideenskizzen, an den Wänden lehnen gerahmte Zeichnungen, Skizzen und Entwürfe für Kostüme, hängen Druckgrafiken und großformatige Tafelbilder. Auf aufgebockten Tischen stehen Mini-Bühnen aus Leichtschaumplatten neben Fotografien, und an einer Wand blinkt ein bunter Neon-Schriftzug: „Atelier“.
Zur „tollsten Zeit“ am Thalia-Theater: Sie arbeitet mit Bob Wilson
Die erfolgreiche Künstlerin, Bühnen- und Kostümbildnerin Claudia Spielmann teilt sich in Friedrichsruh mit ihrem Mann, Autor Ralf Hoppe, ein 250 Quadratmeter großes Atelier nah am Sachsenwald. In dieser Abgeschiedenheit arbeitet die kreative Aumühlerin gattungsübergreifend und oft auch parallel an mehreren Werken gleichzeitig. In unmittelbarer Nähe des Bismarckschen Schlosses entstehen Entwürfe für Bühnen im gesamten deutschsprachigem Raum.
Die gebürtige Hamburgerin, die mit Kunst und Musik groß geworden ist, wusste sehr früh, was sie will – ihre Mutter war Kunstlehrerin, der Vater Kunsthistoriker. Nach einer Schneiderlehre studiert sie gleichzeitig Kostüm-, Bühnenbild und Malerei in Hamburg. Und erlebt als Kostümassistentin am Thalia-Theater unter Bob Wilson mit der bahnbrechenden Produktion „Black Rider“ eine „tolle und fordernde Zeit“. Bereits mit 26 Jahren macht sich die heute 60-Jährige als Bühnenbildnerin selbstständig – und wird überall engagiert: in Düsseldorf, München, Wiesbaden, Basel, Bern, Zürich und am Wiener Burgtheater.
Ein halbes Jahr in Tokio prägt ihre Kunst
Trotz des Erfolges als Bühnenbildnerin bleibt die Liebe zur Malerei. „Ich war unschlüssig, ob ich nicht doch nur als freie Malerin arbeiten wollte“, erinnert sie sich – und gewinnt ein gut dotiertes Stipendium der japanischen Regierung. Kurz zuvor hatte sie ihren Mann kennengelernt, ist noch für eine Woche mit ihm nach Köln gezogen. „Aber ich wusste, wenn ich mir diesen Traum nicht erfülle, verpasse ich etwas“, sagt sie.
In Japan arbeitet sie als Kostüm- und Bühnenbildnerin am Nationaltheater und am Minamiza Theatre. „Ich habe in Tokio rund um die Uhr geschuftet, bin in Ausstellungen gegangen und habe Aufführungen besucht.“ Ihre Eindrücke vom Land verarbeitet sie in ihren ersten Monotypien, einem besonderen Druckverfahren, bei dem Unikate entstehen. „Eine intensive, prägende Zeit“, fasst die Künstlerin zusammen. „Außerdem hatte ich in Tokio die unglaubliche Ehre und das Glück, den Galeristen Masomi Unagami kennenzulernen. Er verstand meine Monotypien quasi als europäische Sicht auf und als Ergänzung zur japanischen Kalligrafie und hat mich bis zu seinem Tod vertreten.“
Nach der Geburt der Söhne widmet sie sich der freien Kunst
Zurück in Köln nach der Geburt ihres ersten Sohnes 1996 widmet sie sich ganz der freien Kunst: „Ich war leidenschaftlich gern Mutter und habe parallel als freie Malerin gearbeitet“, sagt sie. „Damit habe ich gut verdient.“ In Hamburg vertritt sie 15 Jahre lang der Galerist Peter Borchert. Zur Jahrtausendwende zieht die Familie nach Aumühle. Ein Jahr später kommt der zweite Sohn zur Welt.
Und dann meldet sich nach zehn Jahren plötzlich wieder Daniel Karasek, den sie noch vom Thalia-Theater kennt. Er ist mittlerweile Generalintendant am Theater Kiel. „Das war auch deshalb spannend, weil so für mich plötzlich das Thema Oper hinzukam“, erzählt sie. Denn mit klassischer Musik sei sie groß geworden.
Nach zehn Jahren kehrt sie zum Theater zurück
Seitdem arbeitet sie parallel in der abstrakten wie in der angewandten Kunst – manchmal für bis zu fünf Theaterproduktionen pro Jahr. Ob „Madame Butterfly“ oder „Die Zauberflöte“ – eine Bühnenproduktion erfordert eine ausgeklügelte Logistik. Denn es können 120 Menschen und mehr für eine Oper auf der Bühne stehen, etwa wenn Tänzer dabei sind. Für die Produktion werden rund 350 Menschen aus allen Gewerken, Malersaal, Technik, Schneiderei gebraucht. Für den Ring von Wagner hat sie zwei Jahre gebraucht, die Vorbereitung für eine einzelne Oper könne bis zu einem Jahr dauern.
Ihre Entwürfe sind ein Prozess, der eine ständige, wechselseitige Abstimmung mit dem Regisseur und den beteiligten Gewerken erfordert. Erste kleine maßstabsgetreue Bühne entstehen im Friedrichsruher Atelier, und sie fertigt technische Zeichnungen. Parallel fertigen Schlosser, Tischler, Maler und Techniker den Bühnenbau. Probenstart ist sechs Wochen vor der Premiere.
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Bühnenproduktion: Eine logistische Meisterleistung
Als Nächstes macht sie sich an die Figurinen, die Entwürfe für die Kostüme. „Bis zu 30 Leute setzen diese in der Schneiderei um“, erläutert sie. „Durch meine Ausbildung habe ich Respekt gegenüber dem Handwerk. Mein Wissen ist eine unglaublich gute Voraussetzung, um dem Team meine Vorstellungen zu vermitteln.“ Claudia Spielmann besorgt die Stoffe, nimmt die ersten Anproben persönlich ab.
Alle arbeiten gemeinsam auf den aufregenden Moment hin, wenn bei der ersten Durchlaufprobe eine Woche vor der Premiere alles zusammenläuft. „Das ist großartig. Wenn man einmal in dieser Komplexität gearbeitet hat, schreckt einen nichts mehr“, verrät die Künstlerin. Bis zum Schluss müsse sie immer neue Lösungen finden.
In der Kunst wird ihr nie etwas zu viel
Zu viel wird es ihr nie. Die Künstlerin arbeitet zwar länger als die klassischen acht Stunden, betont aber: „Ich arbeite wenig fremdbestimmt, deshalb ist das so beglückend. Kunst zu schaffen ist wie eine ständige Selbstentzündung.“ Inspiration findet sie bei Spaziergängen durch den Sachsenwald und beim Bad im Tonteich. Aber auch Architektur, Musik oder Literatur geben ihr Impulse – nicht nur für die Bühnenbildnerei, auch für Malerei und Grafik. Aktuell stehen die wieder an erster Stelle: Mit ihrem neuen Galeristen Thomas Holthoff bereitet sie sich auf die Kunstmesse „Paper Position 2023“ in Berlin vor. Im Fokus: Ihre aktuellen Bilder aus schwarzen Tafellack, Pastell, Tusche und Kreide.