Ahrensburg. Schüler in Schleswig-Holstein stürzen ab. In Deutsch ist die Verschlechterung teilweise stärker als in anderen Bundesländern.
Die Ergebnisse sind erschreckend: Die Leistungen im Fach Deutsch haben sich bei Schülerinnen und Schülern in Schleswig-Holstein ebenso wie bundesweit seit der letzten Erhebung 2015 dramatisch verschlechtert. Das geht aus der Studie Bildungstrend 2022 hervor. Im Auftrag der Kultusministerkonferenz hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) untersucht, inwieweit Schülerinnen und Schüler des 9. Jahrgangs in den Fächern Deutsch und Englisch die vorgegebenen Bildungsstandards erreichen.
Bundesweit erreichen demnach knapp 33 Prozent der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler in Deutsch nicht den Mindeststandard im Lesen für den Mittleren Schulabschluss (MSA), das sind 16 Prozent mehr als 2015. In Schleswig-Holstein sind es 31 Prozent. Die Standards im Lesen für den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) verfehlen bundesweit immer noch 15 Prozent. In Schleswig-Holstein liegt der Wert mit zwölf Prozent zwar knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Er ist aber gegenüber 2015 um sieben Prozentpunkte gestiegen. Auch in den Bereichen Rechtschreibung (plus vier Prozent) und Hörverstehen (plus 14 Prozent) ist der Anteil der Schüler, die den Mindeststandard verfehlen, erheblich größer geworden. Teilweise hat Schleswig-Holstein sich so stark verschlechtert wie kein anderes Bundesland.
Schule Stormarn: 28,1 Prozent der Neuntklässler in Schleswig-Holstein haben einen Migrationshintergrund
In Englisch geht der Trend zwar nach oben. Doch auch hier bleibt das nördlichste Bundesland mit seinen Verbesserungen hinter denen anderer Bundesländer zurück. Besonders von Leistungsdefiziten betroffen sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Bundesweit haben 37,7 Prozent der Neuntklässler einen Migrationshintergrund, in Schleswig-Holstein liegt der Anteil bei 28,1 Prozent.
Die schlechten Ergebnisse treffen auch die Schulen in Stormarn. Martin Habersaat, Landtagsabgeordneter aus Reinbek und bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, sieht mehrere Ursachen für das schlechte Abschneiden. Einer davon: Der Nachholbedarf in Sachen Ganztag. „Vollgebundene Ganztagsschulen haben in Deutschland einen Anteil von 19,2 Prozent, Schleswig-Holstein liegt mit 1,8 Prozent weit abgeschlagen auf dem letzten Platz“, so Habersaat.
Stadtschule in Bad Oldesloe ist die einzige gebundene Ganztagsgrundschule in Stormarn
Zahlreiche Schulen in Stormarn, Grundschulen wie weiterführende, sind offene Ganztagsschulen. Das bedeutet, dass am Nachmittag Angebote stattfinden, an denen Schülerinnen und Schüler freiwillig teilnehmen können. Die Grundschule Stadtschule in Bad Oldesloe ist die einzige gebundene Ganztagsgrundschule in Stormarn – seit mittlerweile 16 Jahren.
Schulleiterin Sabine Prinz ist von dem Modell überzeugt: „Der gebundene Ganztag erweitert die Schulzeit. Die Kinder sind 37,5 Zeitstunden pro Woche in der Schule.“ Das ist für alle Kinder verpflichtend. „Einige Eltern waren deshalb anfangs schon skeptisch“, sagt Prinz. Doch: „Ein Vorteil ist auch, dass die Kinder in der Schule schon die Hausaufgaben erledigen, was Familien entlastet. Die Rückmeldungen sind sehr positiv.“ Die zahlreichen unterschiedlichen Angebote reichen von Yoga über Schach bis hin zu einem Kunstatelier. Prinz: „Dadurch können die Kinder Talente entdecken, was sie motiviert und mitunter auch ihre Leistungen steigern kann.“ Ab 2026 gilt für Grundschulen bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.
Fachkräftemangel in Kitas und Grundschulen sorgt für Lerndefizite
Martin Habersaat kritisiert angesichts der Ergebnisse aus dem Bildungstrend auch, dass Kinder vom Übergang von der Kita in die Grundschule nicht genug gefördert werden. Defizite in diesem Bereich sieht auch Marco Heidorn, Co-Vorsitzender der Kreiselternvertretung der Kitas in Stormarn. „Ein offensichtlicher Grund ist der Fachkräftemangel sowohl in Kitas als auch in Grundschulen“, so Heidorn auf Nachfrage unserer Redaktion.
„Es kommt zu Gruppenschließung, Zusammenlegung von Gruppen und Notbetreuungen, die es erschweren, Kita-Kinder zu fördern und auf die Grundschule vorzubereiten“, sagt Heidorn. Weil der Fachkräftemangel sich in Grundschulen fortsetze, könnten Versäumnisse nicht nachgeholt werden. Es sei dringend notwendig, in die Anwerbung und Ausbildung von Fachkräften zu investieren.
Bildungsministerin Prien macht Pandemie für schlechte Ergebnisse verantwortlich
Heidorn kritisiert auch, dass es keinen einheitlichen Übergang von Kita zu Grundschule gibt, dass in jeder ersten Klasse im Zweifel bei null angefangen werden muss. „Klare Richtlinien auf Kreis- oder sogar Landesebene wären mehr als sinnvoll, um die Bildungslaufbahn der Kinder gleichermaßen zielführend einzuleiten und auch frühzeitig die Chancengleichheit herzustellen“, so Heidorn.
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Bildungsministerin Karin Prien sieht die Corona-Pandemie als einen der Hauptgründe für die schlechten Ergebnisse in Schleswig-Holstein. „Es zeigt sich, dass Schulschließungen, Wechsel- und Distanzunterricht sich negativ auf die Lernentwicklung der Jugendlichen ausgewirkt haben“, so Prien. Als weitere Herausforderung für die Lehrkräfte bezeichnet sie die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft und die fortschreitende Inklusion.
Auch Martin Nirsberger, Leiter der Theodor-Storm-Schule in Bad Oldesloe, eine Offene Ganztagsschule, sieht die Corona-Pandemie als mindestens mitverantwortlich für die schlechten Ergebnisse. Aber auch Defizite bei Schülern mit Migrations- und Fluchthintergrund stellt er fest. „Wir haben einen großen Zuzug. Teilweise sind Schülerinnen und Schüler, die zu uns kommen, nicht einmal in ihrer Heimatsprache alphabetisiert und müssen komplett bei null anfangen.“ Auch in dieser Sache können Ganztagsangebote helfen, so Nirsberger: „Leistungsschwache Schüler haben so die Möglichkeiten aufzuholen, was für mehr Chancengerechtigkeit sorgt.“ Auch an der Theodor-Storm-Schule sollen künftig verpflichtende Ganztagsangebote eingeführt werden, so der Schulleiter.