Ahrensburg. Ausschuss beschließt vorzeitiges Aus für Expertenkommission. WAB-Chef nennt Debatte „Konjunkturprogramm für politische Genervtheit“.

Bismarck, Schimmelmann, Bonsels, Rust – alle vier waren ohne Zweifel bedeutende Männer ihrer Zeit. Gemein ist ihnen auch, dass ihr Wirken rückblickend längst nicht mehr nur positiv gesehen wird. Dennoch sind sie in Ahrensburg Namensgeber für Straßen und Gebäude. Und dabei wird es vorerst auch bleiben. Am Donnerstag haben die Politiker in der Schlossstadt das vorzeitige Aus für die Expertenkommission beschlossen, die sich mit der kritischen Aufarbeitung der historischen Ortsnamen befasst.

Der Entscheidung des Bildungs-, Kultur- und Sportausschusses ging eine intensive, teils emotionale Debatte voraus. Peter Egan, Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft WAB, bezeichnete die Diskussion über die Straßennamen als „Konjunkturprogramm zur Förderung politischer Genervtheit“ und warnte vor einer Spaltung der Stadtgesellschaft. Stephan Lamprecht (SPD) nannte die Auseinandersetzung mit dem Wirken der Namensgeber hingegen „eine Frage der Gerechtigkeit“ gegenüber den Opfern von Kolonialismus, Nationalsozialismus und Antisemitismus.

Aus für Kommission: Umstrittene Staßennamen in Ahrensburg bleiben

Die Debatte schwelt in Ahrensburg schon seit drei Jahren. Im Oktober 2020 hatten die Stadtverordneten auf Initiative der Grünen die Einsetzung einer Kommission beschlossen, um die Biografien aller Namensgeber für Straßen, Plätze und Gebäude in der Stadt überprüfen zu lassen. Das achtköpfige Gremium, dem Vertreter der Verwaltung, des Landesarchivs, der Politik, des Historischen Arbeitskreises und des Runden Tisches für Zivilcourage und Menschenrechte angehören, sollte anschließend eine Empfehlung abgeben, wie mit den Ortsbezeichnungen umzugehen ist. Auch eine Umbenennung sollte erörtert werden.

Auslöser der Debatte war der Wunsch des damaligen Leiters der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule, der Aula der Bildungseinrichtung einen neuen Namen zu geben. Der Alfred-Rust-Saal ist benannt nach dem Prähistoriker, der in den 1930er-Jahren bedeutende steinzeitliche Funde im Ahrensburger Tunneltal machte. Er steht in der Kritik, weil er für seine Forschungen mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hat.

Experten legen Richtlinie und Kriterienkatalog für Benennungen vor

Daraufhin kamen auch andere Ortsbezeichnungen auf den Prüfstand. Allen voran die Schimmelmannstraße, die den Namen des ehemaligen Ahrensburger Schlossherren Heinrich Carl von Schimmelmann trägt, dessen Familie durch den Sklavenhandel zu Reichtum kam, und der Waldemar-Bonsels-Weg, benannt nach dem in Ahrensburg geborenen Erfinder der Biene Maja, dem nachgesagt wird, Antisemit gewesen zu sein.

Im September präsentierte die Kommission nach drei Jahren Arbeit schließlich ein Zwischenergebnis in Form des Entwurfs einer Richtlinie für zukünftige Benennungen sowie eines Katalogs mit Kriterien, nach denen sie die Biografien der vorhandenen Namensgeber untersuchen und bewerten will. Die Überprüfung aller 52 Personen, nach denen Orte im Stadtgebiet benannt sind, sollte in einem zweiten Schritt folgen.

Kommission will Verlängerung bis 2026 und 205.000 Euro für Bürgerbeteiligung

Dafür schlug die Kommission eine Verlängerung des Projektzeitraums um drei Jahre bis 2026 vor. Aufgrund von Erfahrungen aus anderen Kommunen wollten die Experten zudem verschiedene Formate der Bürgerbeteiligung durchführen, um die Akzeptanz des Bewertungsprozesses und der daraus abzuleitenden Konsequenzen zu erhöhen. Vorgesehen waren etwa Workshops und eine Ausstellung. Laut Kalkulation lägen die Kosten dafür bei rund 205.000 Euro.

Dieses Geld, so hatten es CDU, SPD, WAB und FDP bereits bei der Vorstellung des Zwischenergebnisses klargemacht, werde die Stadt nicht zur Verfügung stellen. Auch die Verwaltung sprach sich dagegen aus und schlug eine deutlich abgespeckte Variante vor, wonach eine Bewertung der von der Kommission erstellten Biografien nur im Einzelfall auf Antrag der Stadtverordneten erfolgen soll. Statt einer Ausstellung wollte das Rathaus die Ergebnisse auf einer Internetseite präsentieren. Noch liegen allerdings nicht alle 52 Biografien vollständig vor. Um deren Erstellung abzuschließen, müsste die Projektstelle im Stadtarchiv mit 20 Wochenstunden bis Ende 2024 verlängert werden. Die Kosten: Rund 48.500 Euro.

FDP möchte Geld lieber in Bauvorhaben an Schulen investieren

Für FDP-Vertreter Wolfgang Schäfer ist klar, dass Ahrensburg das Geld lieber anderweitig investieren sollte. „Wir haben derzeit drängendere Baustellen“, sagte er und verwies auf die zahlreichen, geplanten Investitionen in die Schulen, darunter den Neubau des Schulzentrums Am Heimgarten für mehr als 100 Millionen Euro. Im kommenden Jahr drohe zudem ein Haushaltsdefizit von 15 Millionen Euro bei geplanten Projekten mit einem Volumen von 30 Millionen Euro.

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Diese Argumentation stieß bei SPD-Kommissionsmitglied Lamprecht auf scharfe Kritik. „Die angespannte Haushaltslage droht zum Totschlagargument für jedes Projekt zu werden“, warnte er. „Ich habe ein Problem damit, in einen Alfred-Rust-Saal zu gehen, während wir gleichzeitig auch in Ahrensburg über die Stolpersteine der Menschen laufen, die im Nationalsozialismus abtransportiert wurden“, so Lamprecht.

Grüne warnen: Debatte um umstrittene Namen wird weitergehen

Schäfer erwiderte, es dürfe bei der Aufarbeitung der Geschichte nicht darum gehen, „die Vergangenheit durch Umbenennungen zu löschen, sondern aus ihr zu lernen.“ Es sei nie das Ziel der Kommission gewesen, Straßennamen zu ändern, stellte daraufhin Stefan Gertz, Vertreter der Grünen in dem Gremium, klar. Dies sei nur der letzte Ausweg, das habe die Kommission immer kommuniziert. „Es geht erstmal darum, kritische Punkte zu identifizieren. Wie wir damit umgehen, entscheiden letztlich die Stadtverordneten“, sagte er. Könne die Kommission ihre Arbeit nicht zu Ende führen, drohten die Ergebnisse „in einer Schublade zu verschwinden“.

WAB-Fraktionschef Egan betonte, die Wählergemeinschaft sehe eine Fortführung nicht nur aus monetären Gründen skeptisch. „Wir treiben mit dieser Debatte die Leute auf die Bäume für eine Frage, die sehr von persönlichen Wertvorstellungen abhängt“, sagte er. Es sei kaum möglich, das Wirken von Personen wie Bismarck objektiv als gut oder schlecht zu bewerten. Lasse Thieme (Grüne) warnte, ein vorzeitiges Aus für die Kommission werde Ahrensburg „über kurz oder lang auf die Füße fallen.“ Die gesellschaftlichen Debatten um die Würdigung umstrittener Personen gingen weiter. „Und wir fangen dann irgendwann von vorn an, uns damit zu befassen.“

CDU, WAB und FDP lehnen auch Minimallösung ab

Am Ende gab es für die Richtlinie für zukünftige Benennungen einstimmigen Zuspruch. Auch dem Vorschlag der Verwaltung, die erstellten, unbewerteten Biografien auf einer Internetseite zu präsentieren, folgten die Politiker. Die Grünen scheiterten dagegen mit dem Antrag, die Kommission ihre Arbeit fortführen und die Biografien bewerten zu lassen. Nicht nur das: Auch die von der Verwaltung vorgeschlagene Minimallösung, das Gremium auf Abruf zu halten und gegebenenfalls einzelne Personen überprüfen zu lassen, lehnten CDU, WAB und FDP mit ihrer Mehrheit ab.

Die Arbeit der Experten wird somit zum Jahreswechsel enden. Offen ließ der Ausschuss die Frage, ob die Projektstelle im Stadtarchiv verlängert wird, um die Dokumentation der Biografien abzuschließen. Auf Antrag der CDU soll darüber erst während der Beratungen für den Haushalt 2024 entschieden werden.