Elmenhorst. Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen beim Abbiegen. Die AWSH setzt neue Technik ein. Doch wie verlässlich sind die Geräte?

Diesen einen Tag wird Marco Wulf nie vergessen. Damals war der heutige Disponent der Firma Damm Entsorgung Südholstein (Desh) noch als Fahrer bei der Müllabfuhr tätig, hat wohl eine der schlimmsten Erfahrungen gemacht, die man in diesem Beruf machen kann: „Ich habe einen tödlichen Unfall miterlebt“, sagt der heute 56-Jährige. Immer wieder kommt es beim Abbiegen großer Fahrzeuge wie Müllautos und Lkw wegen des toten Winkels zu tödlichen Unfällen. So war es auch an diesem Tag vor rund 20 Jahren in Steinhorst. Ein sechsjähriges Mädchen wurde überfahren.

Wulf: „Ich war hinten auf dem Fahrzeug, ein Kollege ist gefahren.“ Jener Kollege sei mittlerweile im Ruhestand, habe immer noch an dem Vorfall zu knabbern. Auf Kinder üben Müllfahrzeuge oft eine besondere Faszination aus. Deshalb gelten sie bei derartigen Unfällen als besonders gefährdet. „Das Mädchen hatte sich von seiner Mutter losgerissen und ist zu dem Wagen gelaufen“, erinnert sich Wulf. „Sie war die Großnichte eines Mitarbeiters. Das war ganz schlimm.“

AWSH will mit Abbiegeassistenten tödliche Unfälle verhindern

Damals waren die Müllautos noch nicht mit Abbiegeassistenten versehen. Das ist heute anders. Seit knapp drei Jahren beauftragt die Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH), die für die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg zuständig ist, die Firma Desh mit der Müllabfuhr. „Seitdem fahren alle Fahrzeuge in unserem Auftrag mit Abbiegeassistenten“, so Olaf Stötefalke, Prokurist der AWSH. 86 Mitarbeiter sind bei der Firma Desh angestellt. Die Flotte umfasst 34 Fahrzeuge.

„Vor gut zehn Jahren wurden die ersten Abbiegeassistenten verbaut“, so Marco Wulf. „Seit einigen Jahren kommen sie flächendeckend zum Einsatz.“ Entwickelt wurde die Technik aus gutem Grund: 2019 gab es laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 9906 Unfälle mit Personenschaden beim Rechtsabbiegen. Schuld ist in den allermeisten Fällen der tote Winkel. Jedes Jahr zählt die Polizei im Schnitt 140 tödlich verletzte Fahrradfahrer und Fußgänger, die in Deutschland von einem rechtsabbiegenden Lastwagen erfasst wurden.

Erst vor einem Monat war ein 15-Jähriger in Hamburg ums Leben gekommen

Erst vor etwa einem Monat war es in Groß Flottbek in Hamburg zu einem tragischen Unfall gekommen: Ein 15 Jahre alter Fahrradfahrer wurde von einem Lkw beim Rechtsabbiegen überrollt und kam ums Leben. Mittlerweile ist bekannt, dass das Fahrzeug nicht über einen Abbiegeassistenten verfügte. Laut einer Verordnung der Europäischen Union sind diese seit Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab Juli 2024 für alle neu zugelassenen Fahrzeuge Pflicht. Laut Schätzungen des ADAC sind bislang weniger als fünf Prozent der gemeldeten Lkw mit der Technik ausgestattet, obwohl Prognosen zufolge über 60 Prozent der schweren Unfälle so verhindert werden könnten.

Markierte Flächen zeigen den Schülern, wo sich für den Lkw-Fahrer der tote Winkel befindet. 
Markierte Flächen zeigen den Schülern, wo sich für den Lkw-Fahrer der tote Winkel befindet.  © Torben Müller | Torben Müller

Auch deshalb will die AWSH mit gutem Beispiel vorangehen, hat bei der Vergabe ihres Auftrages an die Firma Desh die Bedingung gestellt, dass Abbiegeassistenten an allen Fahrzeugen vorhanden sein müssen. „Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung“, so Stötefalke. „Sicherheit steht bei uns an erster Stelle.“ Die Anschaffung eines solchen Systems kostet etwa 3000 Euro. „Laufende Kosten für die regelmäßige Wartung und Überprüfung kommen dazu“, so Marco Wulf.

Bei den Fahrzeugen der Firma Desh kommen zwei Techniken zum Einsatz

Bei den Fahrzeugen der Firma Desh kommen zwei verschiedene Techniken zum Einsatz. „Je nach Größe der Fahrzeuge sind sie entweder mit Kameras oder mit Radaren ausgestattet“, so Wulf. Seitdem die Technik zum Einsatz komme, habe sich die Zahl der Unfälle mit Müllautos seiner Einschätzung nach spürbar verringert. „Für die Fahrer ist das eine enorme Arbeitserleichterung“, sagt Wulf. „Sie sind beim Fahren nicht so angespannt und dadurch auch aufmerksamer.“ Tödliche Unfälle seien nicht nur für die Hinterbliebenen eine Tragödie. Auch die Fahrer hätten damit oft ihr Leben lang zu kämpfen.

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Doch bei aller positiven Entwicklung neuer Techniken: Komplett fehlerfrei seien Abbiegeassistenten dann auch nicht. Wo Technik zum Einsatz komme, gebe es immer auch Schwachstellen und Fehlerpotenzial. „Natürlich kann Technik auch ausfallen“, so Wulf. Ein weiteres Problem aus seiner Sicht: „Bei schlechtem Wetter verschmutzen die Kameras. Das beeinträchtigt dann auch die Sicht.“ Sein Vorschlag: „Ein eingebautes Waschsystem könnte Abhilfe schaffen.“ In dieser Sache seien Hersteller gefragt, die Abbiegeassistenten stetig weiterzuentwickeln.

Warum es trotz Technik keine hundertprozentige Sicherheit gibt

Doch selbst, wenn die Technik absolut fehlerfrei funktioniert: „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie“, so Olaf Stötefalke. Auch der beste Abbiegeassistent sei kein Versprechen dafür, dass keine Unfälle passieren. Deshalb sei es unverzichtbar, auch die Bevölkerung für die Gefahr des toten Winkels zu sensibilisieren. „Vor allem Kinder sollten unbedingt geschult werden“, so Marco Wulf.

Genau das tun die AWSH und die Firma Desh: Kürzlich war eine vierte Klasse der Grundschule Schwarzenbek-Nordost auf dem Betriebsgelände des Entsorgungsunternehmens in Elmenhorst zu Gast. Marco Wulf zeigte den Mädchen und Jungen am Beispiel eines Müllautos, wo sich die toten Winkel befinden und warum in der Nähe eines solchen Fahrzeuges äußerte Vorsicht geboten ist. Wer wollte, durfte selbst in die Fahrerkabine klettern und konnte ganz deutlich erkennen, wann die Klassenkameraden noch zu sehen sind – und wann nicht mehr.