Bargteheide. Schatoh Feldmark, das einzige Weingut in Stormarn, hat sich längst einen Namen weit über die Grenzen des Kreises hinaus gemacht.
Preisfrage: Was passiert, wenn sich 55 Leute auf einem Feld mitten in Stormarn treffen? Die Antwort: Es wird gelesen. Allerdings keine Bücher oder sonstige Publikationen und schon gar keine Handys – sondern Wein. So geschehen am Sonntag zwischen Bargteheide und Delingsdorf, wo es mit Schatoh Feldmark das erste und bislang einzige Weingut des Kreises gibt. Wenn Mitbesitzer Jörn Andresen zur Lese ruft, strömen die Helfer in Scharen. Doch was sind das für Menschen und was treibt sie an?
Projektmanagerin wollte endlich mal mittendrin sein
„Ich habe über Freunde davon erfahren“, sagt Miriam Quell. Die 34 Jahre alte Neuhamburgerin ist zum ersten Mal dabei und begeistert. Weintrinkerin sei die gebürtige Hessin ja schon lange. „Aber so richtig mittendrin bei einer Lese war ich noch nie. Deshalb wollte ich die Gelegenheit unbedingt nutzen“, berichtet die Projektmanagerin im Bereich Erneuerbare Energien, die ihren Urlaub gerade auf einem Chateau in Frankreich verbrachte. „Da hat man doch gleich eine ganz andere Beziehung zum Produkt“, erklärt sie schmunzelnd.
Neugier hat auch Meri Berhane getrieben. Der Gärtner kam vor sieben Jahren aus Eritrea nach Deutschland und lebt jetzt in Ahrensburg. Beim Weinfest in der Schlossstadt hatte er den Cuveé „Drei Trauben“ probiert, der sofort zu seinem Lieblingswein avancierte. „Als ich hörte, dass bei einer Lese Helfer gesucht werden, habe ich mich sofort gemeldet“, so der 30-Jährige.
Ex-Bürgermeister Mitsch ist ein „Wiederholungstäter“
Ein paar Reihen weiter arbeitet sich Werner Mitsch durch die Rebstöcke. Der ehemalige Bürgermeister von Bargteheide ist bereits zum fünften Mal dabei. „Als ich 2017 von der Idee erfuhr, war ich sofort begeistert“, sagt der 74-Jährige. „Wein aus Stormarn, das hat doch was“, so der bekennende Weinfan. So eine Lese habe etwas geradezu Meditatives. Außerdem seien die Erntehelfer stets eine gute Gemeinschaft bei bester Laune.
Zu den „Wiederholungstätern“ gehören auch Piet Zijlstra und Axel Krone, die das Projekt von Beginn an begleiten. Der gebürtige Niederländer Zijlstra, der berufsbedingt 1992 nach Bargteheide kam, war durch Sohn Leon dazugestoßen. Der hatte seine Bachelorarbeit an der berühmten Wein-Uni in Geisenheim zum Thema „Weinanbau im hohen Norden“ geschrieben und mit Jörn Andresen den Weingarten gegründet. „Ich fand das anfangs ja ziemlich verwegen. Doch im Alter muss man einfach ab und an mal was Verrücktes machen“, so der 68-Jährige. So ähnlich war es auch beim früheren Psychologen Axel Krone (70), der ebenfalls nach einer spannenden Beschäftigung nach der Berufstätigkeit suchte, möglichst in der freien Natur.
Mailverteiler umfasst mehr als 300 Namen
Unterdessen haben auch wieder viele Weinfans aus der nahen Hanse-Metropole Hamburg den Weg in die Stormarner Provinz gefunden. Darunter waren in den vergangenen Jahren Prominente wie der Filmregisseur Lars Jessen und NDR-Sportreporter Martin Roschitz. „Mein Mailverteiler für die Weinlese umfasst inzwischen mehr als 300 Namen. Mindestens 50 melden sich immer, da brauchte ich mir noch nie Sorgen machen“, sagt Jörn Andresen, der in Bargteheide eine weithin bekannte Baumschule leitet.
Doch wie ist es überhaupt zu diesem Weingut fernab der bekannten deutschen Anbaugebiete an Rhein, Main und Mosel gekommen? „Ausgangspunkt war die Vergabe neuer Pflanzrechte für streng limitierte Rebflächen 2016 durch das Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftministerium“, berichtet Andresen. Von den fünf Hektar genehmigter Anbauareale seien zwei nach Stormarn vergeben worden.
Geisenheimer prophezeiten „spannende Weine“
Auf dem Feld des alteingesessenen Familienbetriebs hatten früher vor allem Eiben und Lebensbäume gestanden. Und wäre es nach Andresens Vater Hans gegangen, wäre es auch dabei geblieben. „,Was‘, rief er aufgeregt, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, ,du willst mitten in Stormarn ein Weingarten errichten?‘ Ob ich denn von allen guten Geistern verlassen sei und den Betrieb ruinieren wolle, zürnte er“, erinnert sich Jörn Andresen.
Der sich dennoch nicht beirren ließ. Zumal ihm das berühmte Weinbau Forschungsinstitut Geisenheim nach einer Untersuchung attestierte, dass die Bodenstruktur seines Ackers „erstaunlich divers“ sei und auf „spannende Weine“ hoffen lasse. So orderten Andresen und Zijlstra 6000 Rebstöcke der Sorten Solaris, Johanniter, Riesel und Muskaris aus Neustadt an der Weinstraße. „Es sind ausnahmslos pilzwiderstandsfähige und sehr anpassungsfähige Rebsorten, die auch das herbere und feuchtere Klima bei uns im Norden gut vertragen“, erklärt Andresen.
Schon bei der Pflanzung waren 200 Freiwillige dabei
Schon an der Pflanzung der Rebstöcke Ende April 2017 hatten sich mehr als 200 freiwillige Helfer beteiligt. Freunde der Familie und Kunden ebenso wie Kicker-Kumpels der Alten Herren des TSV Bargteheide, mit denen Andresen regelmäßig Fußball spielt. „Es war ein echtes Happening, an das ich mich noch heute gern erinnere. Und als dann Pastor Jan Roßmanek den Weingarten auch noch segnete, konnte doch gar nichts mehr schiefgehen“, sagt der Hobbywinzer mit einem breiten Grinsen.
Von der ersten Ernte 2019 konnten nach einem schädlichen Spätfrost im Frühjahr nur 360 Flaschen gefüllt werden. 2020 waren es aber schon 4500 Flaschen, während 2021 mit 8500 Flaschen dann zum bisherigen Rekordjahr avancierte. Inzwischen hat das Bargteheider Gut sechs verschiedene Weißweine auf dem Markt. Vom trockenen „Original“ aus der Rebsorte Solaris über den Cuveé „Drei Trauben“ aus Solaris, Johanniter und Riesel in einer trockenen und einer feinherben Variante, dem im Barrique gereiften trockenen „Sieben Eichen“ aus Solaris, dem trockenen „Nørd“ aus Johanniter, bis zur feinperligen „Landbrise“ aus Muscaris.
„Schatoh Feldmark“-Kreationen mehrfach preisgekrönt
Sie alle firmieren unter dem Label „Schatoh Feldmark“. Die plattdeutsche Verballhornung des französischen Chateaus hat sich als echter Marketing-Coup entpuppt. Jedenfalls sind die Stormarner Weine längst weit über die Grenzen des Kreises hinaus bekannt und ein beliebtes Geschenk mit regionaler Note. Was aber freilich nicht nur mit dem ausgefallenen Labelnamen zu tun hat.
Bei Blindverkostungen unter Experten auf dem Weinfest in Ahrensburg holten die Stormarner Weine gleich zweimal in Folge erste Plätze und setzten sich dabei jeweils auch gegen zehn Konkurrenten aus den klassischen deutschen Anbaugebieten durch: Im Vorjahr waren die „Drei Trauben“ Champion, in diesem Jahr „Das Original“, das seitdem ausverkauft ist.
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Seit diesem Jahr sind die „Schatoh Feldmark“-Kreationen sogar durchweg als Bio-Weine zertifiziert. „Mal abgesehen davon, dass Bio dem Zeitgeist entspricht und ein besonderes Qualitätsmerkmal darstellt, signalisiert das Siegel mehr Wertigkeit“, sagt Andresen. Geschätzt würden die Weine aber vor allem durch ihr besonderes Aroma aus Rebsorten, die weit nicht so verbreitet seien wie die Klassiker Riesling, Silvaner, Burgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc.
Nach fünf Stunden ist das segens- wie rebenreiche Werk vollbracht. Hunderte Kisten mit den grünen Früchten stapeln sich auf dem Verladeplatz unweit des Haupteingangs. Dort werden sie sogleich auf Andresens Laster und einem Anhänger verladen. Keine 24 Stunden später wird sich Jörn Andresen mit den Trauben auf den Weg ins niederländische Bentelo unweit von Enschede machen, wo die Trauben alsbald fachmännisch gekeltert, couvetiert und später in Flaschen abgefüllt werden.
Um Nachschub muss den Freunden Stormarner Weine also nicht bange sein.