Bad Oldesloe. Weil kein Nachfolger gefunden wurde, ist für den Laden in Bad Oldesloe Schluss. Welches Buch in all den Jahren das meistverkaufte war.
Es gehört zum Lauf des Lebens, dass nichts für immer ist. „Nichts ist so beständig wie der Wandel“, schrieb schon vor über 2000 Jahren der griechische Philosoph Heraklit. Dass Veränderung bevorsteht, ahnt auch jeder, der dieser Tage die Buchhandlung Willfang an der Hude in Bad Oldesloe besucht. Ein Aushang weist auf Rabatte im Räumungsverkauf hin, die Regale sind geleert, im Schaufenster erzählen Bilder und Texte die bewegte Geschichte der Oldesloer Traditionsbuchhandlung.
Für die Inhaber des Geschäfts Uta-Sophia Freund-Jentzsch und Martin Jentzsch beginnt in wenigen Tagen ein neues Kapitel. Nach 32 Jahren Selbstständigkeit geht das Ehepaar in den Ruhestand und wird ihrer geliebten Buchhandlung Lebewohl sagen. Am Sonnabend, 30. September, hat das Geschäft an der Hude zum letzten Mal geöffnet. Am Mittwoch, 11. Oktober, nehmen die Inhaber mit einer letzten Veranstaltung mit Schriftsteller Hans Pleschinski feierlich Abschied. Die Lesung ist restlos ausverkauft.
Die Liebe zu Büchern führte die Inhaber der Buchhandlung in der Ausbildung zusammen
Es war die Liebe zu Büchern, die Uta-Sophia Freund-Jentzsch und ihren Mann einst zusammenführte. 1975 begannen die gebürtige Rendsburgerin und der gebürtige Kieler zeitgleich eine Ausbildung im Buchhandel – sie in Rendsburg, er in Pinneberg. „Ich habe als Kind schnell lesen gelernt“, sagt Uta-Sophia Freund-Jentzsch. Als sie in der zweiten Klasse war, hat ihre beste Freundin sie mit in die Stadtbücherei genommen. „Das war das Paradies für mich. So viele Bücher hatte ich noch nie gesehen.“ Die Leseratte las so ziemlich alles, was die Bibliothek hergab, traute sich schon in jungen Jahren an Erwachsenenliteratur von Kurt Tucholsky und Agatha Christie heran.
Auf der Buchhändlerschule in Malente lernte sie einen jungen Mann kennen, der ihre Begeisterung für das geschriebene Wort uneingeschränkt teilte – ihren späteren Mann Martin. „Es war im zweiten Ausbildungsjahr“, sagt die Buchhändlerin. „Ich war eins von zwei Mädchen in der Klasse, das noch nicht volljährig war. Wir mussten uns einiges einfallen lassen, um Zeit miteinander zu verbringen.“ Doch keine äußeren Umstände konnten ihrer Verbundenheit trotzen.
Das junge Paar zog aus Norddeutschland in die Universitätsstadt Passau
Nach dem Ende ihrer Ausbildungen blieben beide für ein Jahr in ihren Ausbildungsbetrieben. Doch sie sehnten sich nach Ausbruch. „Mit 19 und 20 Jahren zogen wir 900 Kilometer weg von zu Hause nach Süddeutschland“, so Freund-Jentzsch. In einer Universitätsbuchhandlung in Passau arbeiteten sie einige Jahre, übernahmen beide leitende Positionen – Uta-Sophie Freund-Jentzsch im Taschenbuchbereich, Martin Jentzsch im Wissenschaftsbereich.
„Doch dann passierte etwas Schreckliches“, sagt die Buchhändlerin. Mit 49 Jahren starb der Vater ihres Mannes. „Um seine Mutter zu unterstützen, zogen wir zurück in den Norden.“ Vier Jahre lang arbeiteten sie in der einstigen Buchhandlung Weiland in der Lübecker Altstadt, die heute Hugendubel ist. „Es war großartig, weil wir wahnsinnig viel selbst gestalten konnten“, so Freund-Jentzsch. „Auf uns warteten meterlange leere Regale.“
1991 machte das Ehepaar sich mit der Buchhandlung Willfang selbstständig
Doch schließlich entstand bei dem Ehepaar der Wunsch, sich etwas ganz Eigenes aufzubauen. „Wir haben uns auf die Suche gemacht und zwischen Flensburg und Bremen nach einer Buchhandlung gesucht, die wir übernehmen können“, sagt die Buchhändlerin. Schließlich stießen sie auf ein Inserat eines Buchladens in einer, wie es hieß, südholsteinischen Kreisstadt. „Wir dachten, es sei Ratzeburg und freuten uns, weil wir die Stadt kannten und mochten“, sagt die 64-Jährige. Dass sich das als ein Irrtum entpuppte, schmälerte die Begeisterung nur vorübergehend. Als sie sich die Räume in Bad Oldesloe ansahen, war schnell klar: Das wollen wir machen.
1991 machten sich die Eheleute mit der Buchhandlung Willfang an der Hude selbstständig – mit einem besonderen Konzept. Jedes Buch wurde persönlich ausgewählt, nur das Beste sollte über den Ladentisch gehen. „Auch Neuheiten mussten sich erst bewähren, bevor wir sie verkauften“, sagt Freund-Jentzsch. Reiseführer, Kochbücher, Hobbyliteratur, Belletristik und eine große Taschenbuchabteilung führten die Eheleute, boten auch Bücher unabhängiger Verlage wie Wagenbach oder dem Unionsverlag an. Auch mit Veranstaltungen und Lesungen hat sich die Buchhandlung einen Namen gemacht, viele prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller gewonnen. Eine der ersten war 1992 Elke Heidenreich. Auch Martin Walser und Patrick Roth waren zu Gast.
Das meistverkaufte Buch ist „Traum im Polarnebel“ von Juri Rytcheu
„Das meistverkaufte Buch ist ‚Traum im Polarnebel‘ von Juri Rytcheu“, sagt die Buchhändlerin. An zweiter Stelle folge Schriftstellerin Elke Vesper. Ihr persönlicher Lieblingsautor ist der französische Schriftsteller Gustave Flaubert. Auch der ging natürlich über den Ladentisch. Dass die Buchhandlung keine gewöhnliche ist, man hier auf persönliche Beratung zählen kann, hat sich in der Kreisstadt schnell herumgesprochen, den Inhabern viele treue Kunden beschert. „80 Prozent sind Stammkunden“, sagt Uta-Sophie Freund-Jentzsch. Zu vielen habe sich mit der Zeit eine tiefe Verbundenheit entwickelt. „Wir kennen die Lebensgeschichten vieler Kunden, haben ihnen zur Seite gestanden, wenn sie von Krankheit geplagt waren oder ihren Partner verloren haben.“ Der Abschied wird, da ist sich die Buchhändlerin sicher, auf beiden Seiten schwerfallen.
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Denn einen Nachfolger haben die Eheleute trotz intensiver Suche nicht gefunden. Wie es mit den Räumen, die sie zum Jahresende gekündigt haben, weitergeht, wissen sie nicht. „Eine vergleichbare Buchhandlung gibt es in der Stadt nicht“, sagt Freund-Jentzsch. Nur noch bei Thalia können Oldesloer fortan Bücher kaufen. Die Buchhandelskette hat im April eine Filiale in der Mühlenstraße eröffnet. Doch wie es mit der Einzelhandelslandschaft in der Kreisstadt weitergeht, darüber muss sich das Ehepaar künftig keine Gedanken mehr machen.
Im Schaufenster ihrer Buchhandlung sind aktuell Texte und Fotos ausgestellt, die Highlights der vergangenen Jahrzehnte zeigen. Eine der Tafeln blickt aber auch in die Zukunft, listen die Eheleute darin doch ihre Vorhaben ab 2024 auf: Ohne Wecker aufwachen, endlich all die Bücher lesen, die schon zu lange ausharren, wochenlang im Wohnwagen an der mecklenburgischen Ostsee herumlungern, die schöne Oldesloer Wohnung mit Blick in den Wald genießen, die in der Republik verstreuten Freunde besuchen. Wenn sie an den letzten Öffnungstag am Sonnabend denke, dann sei das schon ein komisches Gefühl, sagt Uta-Sophia Freund-Jentzsch. Doch: „Nach 48 Jahren im Beruf mischt sich unter den Abschiedsschmerz auch eine gehörige Portion Vorfreude.“