Trittau. Viele Stellen unbesetzt, hoher Krankenstand: In Stormarn fallen immer wieder Busfahrten aus. Verkehrsbetriebe starten Personalkampagne.
Wer im Kreis Stormarn auf verlässliche Busverbindungen angewiesen ist, steht nicht selten auf verlorenem Posten, insbesondere im ländlichen Raum. „Bis zu acht Busse fallen derzeit pro Tag aus, an einem Wochenende waren es sogar 14“, sagt Heidrun Arndt aus Grönwohld. Sie nutzt regelmäßig die Linie 364, die zwischen Trittau und Hamburg-Rahlstedt verkehrt.
Die Misere stehe exemplarisch für die prekäre Situation auf vielen Strecken im Kreisgebiet, bestätigte jüngst im Verkehrsausschuss des Kreistags Björn Schönefeld. „Hauptgrund ist ein eklatanter Personalmangel, von dem alle bei uns operierenden Verkehrsbetriebe gleichermaßen betroffen sind“, so der ÖPNV-Experte der Kreisverwaltung.
ÖPNV-Experte spricht von einem Teufelskreis
Schönefeld spricht von einem regelrechten Teufelskreis. Weil es an ausreichend Fahrern fehle, um die vereinbarten Touren im Busnetz abdecken zu können, seien die einsatzbereiten Kollegen durch zusätzliche Fahrten oft überlastet. Dadurch komme es zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen, die immer schwerer kompensiert werden könnten.
„Der Krankenstand bei unseren ÖPNV-Partnern liegt teilweise um zehn Prozent über den Werten während der Corona-Pandemie. Erhöht hat sich zudem der Anteil von Langzeiterkrankten“, berichtet Schönefeld. Aus diesem Grund würden jetzt in fast allen Verkehrsbetrieben sogar Kollegen aus den Werkstätten und der Verwaltung Touren übernehmen, um die größten Engpässe zu bewältigen. „Wer einen Busführerschein hat, der fährt, höre ich aus allen Unternehmen“, so Schönefeld.
In der Ferienzeit wird Taktung verlängert
Das bestätigen etwa die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Dennoch sei es seit Anfang Juli zu 451 Fahrtausfällen in Stormarn gekommen. Bei insgesamt 92.966 Fahrten bedeutet dies eine Ausfallquote von 0,49 Prozent. Im ersten Halbjahr waren es bei 194.003 Fahrten 601 Ausfälle (0,31 Prozent).
„Im Ernstfall wird auf dichtvertakteten Linien zuerst auf einzelne Fahrten verzichtet, weil hier die Wartezeit auf den Folgebus noch am ehesten tolerabel ist“, erläutert VHH-Sprecher Lennart Meyer. Beispielhaft dafür stehe etwa die Linie 133 im Bereich Glinde/Oststeinbek. In Ahrensburg sei während der Sommerferien in Abstimmung mit Stadt und Kreis der Takt der Linie 469 sonnabends von 30 Minuten auf 60 Minuten verlängert worden.
VHH-Mitarbeiter werden zu Markenbotschaftern
Die VHH haben sich mit ihrer neuen Personalkampagne „Gemeinsam was bewegen“ als attraktive Arbeitgeberin mit Zukunftspotenzial positioniert. Denn aktuell gibt es in dem drittgrößten kommunalen Busunternehmen mit etwa 2500 Mitarbeitern mehr als 200 offene Stellen, die kurzfristig nicht besetzt werden können. Auch deshalb, weil der Job als Fahrer durch die zeitliche Beanspruchung an sieben Tagen in der Woche insbesondere bei Menschen zwischen 20 und 40 Jahren als wenig attraktiv im Hinblick auf die Work-Life-Balance gilt.
Bei den VHH seien deshalb prinzipiell jede und jeder willkommen – unabhängig von Herkunft, Aussehen, Religion, Alter, Geschlecht und sexueller Orientierung. Dafür werben in der Kampagne keine gecasteten Models, sondern waschechte VHH-Mitarbeiter. Sie sollen laut Marketingchefin Susanne Rieschick-Dziabas als „authentische Markenbotschafter“ fungieren.
Neue Fahrer können ihre Arbeitszeit frei wählen
Laut Informationen des ÖPNV-Experten Björn Schönefeld haben große Vertragspartner des Kreises wie die die VHH oder die Bahn-Tochter Autokraft ihre Personalakquise inzwischen bis weit über die Grenzen Deutschlands ausgedehnt. Das Recruiting erfolge jetzt sogar in Ländern Afrikas und Südamerikas.
Eine dreisprachige Stellenanzeige in Deutsch, Spanisch und Englisch findet sich auch auf der Startseite der Homepage des deutlich kleineren Busunternehmens Dahmetal aus Kastorf im Herzogtum Lauenburg. Bewerber können dort nicht nur ihren Einsatzort selbst wählen, sondern zudem die gewünschte Arbeitszeit. Möglich ist faktisch alles: Vollzeit ebenso wie Teilzeit oder der Minijob auf 520-Euro-Basis.
Von Ausfällen früh und abends vor allem Pendler betroffen
Eigenen Angaben zufolge bedient das Unternehmen mit 50 Bussen neun Linien innerhalb des Hamburger Verkehrsverbunds. In Stormarn sind es drei Hauptlinien sowie fünf Schulbusverbindungen. Die eingangs erwähnte Linie 364 ist eine davon. Die Busse verkehren an sieben Tagen in der Woche, zumeist im Stundentakt.
„Genau da liegt aber ist das Problem: Wenn dann ein Bus ausfällt, verlängert sich die Wartezeit gewaltig, und vereinbarte Termine können kaum noch wahrgenommen werden“, sagt Heidrun Arndt. Weil die 78-Jährige, die 1989 von Hamburg nach Grönwohld gezogen ist, als ehemaliges Mitglied des Gemeinderats und stellvertretende Amtsvorsteherin noch immer sehr gut vernetzt ist, wenden sich viele Bürger des Dorfes noch immer an sie.
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„Da es auch morgens und abends oft zu Ausfällen kommt, sind davon nicht zuletzt Berufspendler betroffen. Deshalb muss hier dringend etwas geschehen, zumal es im Ort nur diese eine Linie gibt“, moniert Arndt. Taxifahrten an die Hamburger Stadtgrenze würden zwischen 80 und 100 Euro kosten, dabei sei das HVV-Monatsticket doch längst bezahlt.
In diesem Zusammenhang erweise sich überdies die mangelnde Digitalisierung als echtes informelles Handicap. Vor allem die älteren Bürger seien mit der Nutzung von Apps oft nicht vertraut. „Elektronische Fahrplananzeiger wie an Hamburger Haltestellen sind in der Stormarner Provinz aber leider noch nicht angekommen, auch das muss sich möglichst schnell ändern“, so Heidrun Arndt. Sollte sich das Bus-Dilemma nicht bald lösen lassen, sieht die engagierte Seniorin die Verkehrswende für einen besseren Klimaschutz ernsthaft in Gefahr.