Barsbüttel. Mediziner beschreibt Versorgungslage in der Gemeinde als dramatisch. Belastungsgrenze ist erreicht. Es gibt einen Aufnahmestopp.
Donnerstag hatte Markus Dohrmann wieder einen langen Arbeitstag. Um 8 Uhr kam der Mediziner in seine Praxis an der Straße Am Akku in Barsbüttel. In der Mittagszeit standen Hausbesuche auf dem Programm. Feierabend war erst gegen 20 Uhr. Das gemeinsame Abendbrot mit den beiden Kindern fiel aus. Sie hatten bereits gegessen. Das ist keine Seltenheit und in den vergangenen Monaten vermehrt vorgekommen. Der 49-Jährige und sein Team haben die Belastungsgrenze erreicht. Er sagt: „Auf Dauer können wir das nicht schultern. Hier muss etwas passieren.“ In der Gemeinde herrscht Hausärztenotstand.
Das ist zwar nicht neu, aber die Situation hat sich verschlimmert, nachdem eine Praxis an der Hauptstraße seit September geschlossen ist. In der Gemeinde gibt es jetzt nur noch zwei. Beide haben einen Aufnahmestopp verhängt, müssen Anfragen ablehnen. „Die Lage hat sich dramatisch verschärft. Wir können nicht alle Patienten des Kollegen untersuchen, die sich an uns wenden, sondern teilweise nur die Medikamente verschreiben“, berichtet Dohrmann. Auch im benachbarten Jenfeld gebe es nur wenige Hausärzte, die für Neuaufnahmen offen seien.
Allgemeinmediziner will Praxis in Barsbüttel verkaufen
Dohrmann macht sich Sorgen mit Blick auf die demografische Entwicklung: „Das stellt uns vor eine große Herausforderung. Es gibt immer mehr Ältere, die chronisch krank sind.“ Zudem sei Barsbüttel eine wachsende Gemeinde. Durch Zuzug werde die Nachfrage weiter steigen. Er hat darüber vor einiger Zeit mit Bürgermeister Thomas Schreitmüller gesprochen. Dem Verwaltungschef sind allerdings die Hände gebunden. Er hat keinen Einfluss auf den Grad der medizinischen Versorgung.
Ob Michael Odinius seine Praxis an der Hauptstraße wieder öffnet, darf bezweifelt werden. Auf seiner Homepage ist eine Schließung bis 31. März genannt wegen Personalausfalls und Erkrankung. Vor Kurzem war im Hamburger Abendblatt jedoch eine Chiffre-Anzeige zu lesen mit dem Titel „Praxisübergabe“. Der Text lautete wie folgt: „Etablierte Hausarztpraxis (Allgemeinmedizin) in Barsbüttel, nach 23 Jahren abzugeben. Praxisfläche 188 m2, hohe Nachfrage an Neupatienten.“ Dazu muss man wissen: Die beiden Einrichtungen mit laufendem Betrieb wollen nicht verkaufen.
Die Ablöse für eine Praxis beziffert Dohrmann auf 50.000 bis 150.000 Euro – je nach Umsatz. „Eine Neubesetzung scheitert nicht am Geld. Aber an Wochenenden sind Notdienste angesagt und andere Fachdisziplinen daher attraktiver, weil man nicht daran teilnehmen muss.“ Sollte sich ein Interessent finden, der den Arztsitz von Odinius übernimmt, ist es nicht automatisch damit verbunden, dass er sich auch in Barsbüttel niederlässt. Denn die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH), die über Zulassungen entscheidet, betrachtet die Gemeinde nicht isoliert von den Nachbarorten.
Bei Berechnung des Versorgungsgrads unterteilt sie nach sogenannten Planungsbereichen. Dem mit Barsbüttel gehören auch Reinbek, Glinde, Wentorf und Oststeinbek an. „Es ist unsere große Sorge, dass ein freiwerdender Sitz von Barsbüttel in eine der anderen Kommunen wandert und es dort zu einer weiteren Praxisgründung kommt. Das ist möglich“, sagt Dohrmann.
SPD hat Kontakt mit der Kassenärztlichen Vereinigung aufgenommen
In der Region gibt es einen Hausarzt pro 1748 Personen. Den Versorgungsgrad gibt die KVSH mit 109,2 an. Demnach ist alles in Ordnung. Barsbüttel hat 13.100 Einwohner und fünf Hausärzte – vier davon sind in der Gemeinschaftspraxis, die Dohrmann betreibt. Das bedeutet: ein Mediziner pro 2620 Menschen. „Wir haben am Tag im Schnitt fünf Anfragen. Jede Absage tut mir in der Seele weh. Dass die Leute unzufrieden sind, bekommt unser Personal am Tresen zu spüren“, sagt Dohrmann. Einen Aufnahmestopp bestätigte auch die Hausarztpraxis am Stiefenhoferplatz auf Anfrage dieser Redaktion mit dem Hinweis, man sei total überlaufen, versorge nur neue Patienten, die eigentlich zu Odinius gingen.
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Dohrmann macht eine Ausnahme: Nachwuchs von Bestandskunden, der aufgrund des Alters nicht mehr den Kinderarzt aufsucht, wird aufgenommen. Bei jungen Menschen sei die Zahl der Besuche in der Regel jedoch überschaubar, weil sie gesund seien, so der Mediziner. In seiner Gemeinschaftspraxis würden pro Quartal 4000 Personen versorgt, 10.000 seien in der Kartei erfasst. Neben den vier Hausärzten sind dort zehn medizinische Fachangestellte beschäftigt.
Die hohe Anzahl von Infekten in diesem Winter hatte Auswirkungen auf das Personal. Mitarbeiter steckten sich an und fielen aus. Das bedeutete zu bestimmten Zeiten noch mehr Arbeit für alle in der Praxis. Auch jetzt erledigt Dohrmann einen Großteil der Bürokratie, wie er es nennt, also den Papierkram, an Wochenenden daheim.
Barsbüttels SPD hat mit der KVSH Kontakt aufgenommen, „um eine adäquate Problemlösung für die ganzheitliche Versorgung der betroffenen Patienten einzufordern“, sagt die Ortsvorsitzende Marion Meyer. Die Antwort-Mail liegt dieser Redaktion vor. Sie ist allgemeingehalten und bringt keine neuen Erkenntnisse. Meyer war übrigens auch Patientin bei Michael Odinius, lässt sich jetzt in Bramfeld behandeln.