Glinde. Grüne möchten den Namen auf Erinnerungstafeln sofort unkenntlich machen. Doch andere Parteien wollen sich damit Zeit lassen.
Stein des Anstoßes ist das sogenannte Buchdenkmal im Wohngebiet Alte Wache in Glinde. Es ist an einem Wanderweg platziert und erinnert an die Geschichte des Heereszeugamtes. Auf acht silbernen Tafeln gibt es jede Menge Informationen, in zwei davon ist der Begriff „Negerdorf“ graviert. Gemeint ist eine angrenzende Siedlung aus sieben Reetdachhäusern mit 24 Wohnungen.
Das Ensemble wurde 1936 gebaut für Offiziere und Beamte. Die Grünen wollen die Bezeichnung sofort entfernen, halten sie für rassistisch und diskriminierend. Andere Parteien haben keine Eile, möchten in Ruhe darüber diskutieren. Deshalb ist ein Streit entbrannt.
CDU und SPD wollen vorerst am Namen der Glinder Siedlung festhalten
„Ich werfe CDU und SPD keine Böswilligkeit vor, wohl aber Gedankenlosigkeit“, sagt Wolf Tank. Der 75-Jährige hat die Grünen in Glinde 1983 gegründet und ist derzeit stellvertretender Vorsitzender.
Das Denkmal wurde 2013 eingeweiht. Bislang hat sich keiner an der Beschriftung gestört. Offenbar war diese niemandem wirklich aufgefallen. Die Idee, ein solches Gebilde zu erstellen, hatte laut Bürgermeister Rainhard Zug der frühere Bauamtsleiter Frank Thiemann.
Offizielle Bezeichnung wurde bereits geändert
Die Politik hatte seinerzeit zugestimmt. Wie die Siedlung zu ihrem Namen gekommen ist, darüber gibt es zwei Annahmen: Da ist zum einen der schwarzblaue Tarnanstrich als Schutz vor Bomberangriffen im Zweiten Weltkrieg, andererseits wirkt der Bereich wie abgeschlossen und erinnert an einen „Neger-Kral“ – eine kreisförmige Siedlung, wie sie in Afrika verbreitet war. Ein Übriges taten die Strohdächer. Sicher ist, dass der Volksmund hier prägend gewirkt hatte.
Der Name „Negerdorf“ ist auch in Akten vermerkt, wurde zum Beispiel 1961 durch das Landesbauamt Lübeck übernommen. Die offizielle Bezeichnung lautet seit 2015 Siedlung Oher Weg. „Wir vermissen das klare Zeichen der Glinder Parteien, die sich immer deutlich gegen Rechts gestellt haben, sich genauso deutlich gegen jede Form des Rassismus und der Diskriminierung zu stellen“, heißt es in einer Mitteilung der Grünen nach den Geschehnissen in den jüngsten politischen Gremiumssitzungen.
Grünen wollen den rassistischen Begriff unkenntlich machen
Was war genau passiert? Im Hauptausschuss am 6. Dezember präsentierte die Partei einen Antrag mit dem Ziel, die Tafeln sofort abzunehmen und erst wieder anzubringen, wenn das Wort „Negerdorf“ durch die novellierte Sprachregelung ersetzt ist. Christ- und Sozialdemokraten verwiesen das Thema in den zuständigen Kulturausschuss, der erst wieder am 6. Februar 2023 zusammenkommt. So lange wollten die Grünen aber nicht warten.
Sie schlugen in der Stadtvertretung am vergangenen Donnerstag schließlich vor, den Begriff unkenntlich zu machen. Auch dazu waren die beiden größten Fraktionen im Parlament nicht bereit. Die Aufnahme des Antrags in die Tagesordnung wurde abgelehnt. Das ärgert die Grünen maßlos.
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CDU und SPD wollen lieber in Ruhe eine Lösung suchen
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach sagt: „Wir sehen keine Dringlichkeit. Außerdem haben die Grünen eine namentliche Abstimmung verlangt. Es ging nur darum, uns zu brandmarken.“ Das Thema sei zu ernst, um es mal so nebenbei in der Stadtvertretung zu behandeln.
Ähnlich argumentiert auch Matthias Sacher (CDU), Vorsitzender des Kulturausschusses: „Ich halte nichts von einer Hauruckaktion, zum Beispiel, wenn man mit einer Flex die Buchstaben herausschneidet. Wir brauchen einen konstruktiven Vorschlag. Der Kulturausschuss wird sich sensibel damit auseinandersetzen.“
Neubaugebiet mit 750 Wohneinheiten auf Ex-Bundeswehrareal
Hans-Peter Busch, der frühere Bürgermeister, sagt, die Bezeichnung „Negerdorf“ sei aus heutiger Sicht unangebracht. Er würde den Bereich Reetdachsiedlung Oher Weg nennen, der Zusatz „ehemaliges Negerdorf“ auf der Tafel wäre für ihn eine Alternative. Busch wohnt nach wie vor in der Stadt und hat sich auch nach seiner Amtszeit mit ihrer Geschichte beschäftigt.
Das Wachstum in den 30er- und 40er-Jahren ist maßgeblich geprägt durch Ansiedlung von kriegswichtiger Industrie. 1936 gründeten die Nationalsozialisten das Heereszeugamt für die X. Armee und das Kurbelwellenwerk. Das zum Krupp-Konzern gehörige Unternehmen beschäftigte zeitweilig mehr als 6000 Menschen. Rund die Hälfte davon waren Zwangsarbeiter aus ganz Europa und Kriegsgefangene vor allem aus Osteuropa, für die ein Lager auf dem Wiesenfeld gebaut wurde.
Nach dem Krieg fanden Geflüchtete dort ein Zuhause
Das Heereszeugamtareal wurde später und bis Ende 2005 als Gerätehausdepot der Bundeswehr genutzt. Dann entstand dort das Neubaugebiet Alte Wache mit 750 Wohneinheiten, darunter Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser, Eigentums- und Mietwohnungen. Spatenstich war am 14. März 2008. Das Projekt auf dem 35 Hektar großen Areal zwischen Möllner Landstraße und Oher Weg wurde bis 2014 umgesetzt.
In der Reetdachsiedlung wohnten nach dem Krieg auch Flüchtlingsfamilien und Heimatvertriebene. 1969 zogen Bedienstete der Bundeswehr in die Häuser. 2003 wurde das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt.
Im selben Jahr kaufte es die Baugenossenschaft freier Gewerkschafter eG (BGFG). Sie sanierte und modernisierte die Wohnungen, änderte an den Gebäuden nur wenig. Die Lage ist exponiert. Zum Rathaus und den Einkaufsmöglichkeiten zum Beispiel in der Marktpassage sind es nur wenige Meter.