Reinfeld/Reinbek. Reinfelder Spedition Bode fährt mit mindestens vier Lastwagen nach Warschau. In Trittau organisieren Jugendliche Transport.

Kleidung und Decken, Hygieneartikel und Spielzeug, Taschenlampen, Batterien, Schutzmasken: Alle paar Minuten rollt ein Auto auf das Gelände der Spedition Bode in Reinfeld. Die Kofferräume sind voll mit allem, was jemand gebrauchen könnte, der gerade seine Heimat verliert und vor der Flucht nur ein paar Habseligkeiten zusammenpacken konnte. Russlands Angriff auf die Ukraine hat eine Welle ungeahnter Hilfsbereitschaft in Gang gesetzt. Stormarner organisieren Konvois und bieten Flüchtlingen freie Zimmer an.

Marc-Philipp Bode steht in der Lagerhalle der gleichnamigen Spedition in der Feldstraße. Hinter ihm ein Berg aus Umzugskartons, blauen Säcken und Kleidung. „Wir mussten zwischenzeitlich einen Annahmestopp machen“, sagt der Geschäftsführer. So viel Hilfsbereitschaft sei schon beeindruckend. „Es rührt einen“, sagt der Reinfelder. Privatpersonen bringen Hilfsgüter vorbei, Kunden melden sich per Telefon oder E-Mail und fragen, wie sie helfen können.

Kunde aus Lübeck bietet lange haltbare Lebensmittel an

„Ein Lebensmittelhandel aus Lübeck hat Nahrungsmittel angeboten, die lange haltbar sind“, sagt Kai Bode, der geschäftsführende Gesellschafter. Auf dem Firmengelände sortieren Mitarbeiter und Freiwillige die Hilfsgüter, packen sie in Kisten, die anschließend auf Paletten in Lastwagen verladen werden.

Das alles fing an mit einer Anfrage von Magdalena von Ostrowski, der Chefin der Reinfelder Tagespflege „Fliedergrün“. „Es ging um einen kleinen Transport von Reinfeld nach Warschau“, so Kai Bode. Der Unternehmer sagte sofort zu. Aus dem Kleintransport wurde ein 25-Tonner mit 33 Paletten. Mittlerweile sind es schon vier Lastwagen.

Firmenchef will einen Truck selbst nach Warschau fahren

Der erste Lkw startet an diesem Mittwoch oder Donnerstag Richtung Warschau. Einen Truck fährt Kai Bode selbst. Auch bei der Tagespflege „Fliedergrün“ an der Ahrensböker Straße geben Menschen bergeweise Sachspenden ab. Am Sonntagmorgen hatte Magdalena von Ostrowski den Aufruf über soziale Medien verbreitet. Nach wenigen Stunden konnte sie sich vor Angeboten kaum retten. „Ich habe das Gefühl, dass ganz Schleswig-Holstein gerade kopfsteht“, sagt die Reinfelderin.

Nahezu pausenlos klingelt das Telefon. Ein Anrufer fragt, was noch benötigt wird. „Kleidung nehmen wir gerade nicht mehr an“, sagt sie ihm. Allerdings würden Hygieneartikel wie Corona-Schutzmasken und -Tests, Babynahrung, Windeln, Verbandsmaterial, Taschenlampen und Batterien gebraucht.

Empfänger ist ein Hotel in Warschau, in dem Flüchtlinge leben

Geliefert wird alles an Rafal Tomala. Er ist der Bruder einer Freundin von Magdalena von Ostrowski und betreibt ein Hotel in Warschau. Statt Touristen kommen dort jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine unter. Weil Männer zwischen 18 und 60 das Land nicht verlassen dürfen, sind es vor allem Mütter mit Kindern und Ältere. Alle sind erschöpft von einer Reise ins Ungewisse, viele traumatisiert und verängstigt.

„Babys werden dort zur Welt gebracht. Kinder mögen nicht draußen Fußball spielen, schauen aus Angst vor Bomben in die Luft“, sagt Magdalena von Ostrowski. Es fehle an vielen Dingen des täglichen Bedarfs. Deswegen sei ihr sofort klar gewesen, dass es nicht reiche, nur Solidarität zu bekunden: „Ich wollte etwas tun.“ Ihr mittlerweile verstorbener Vater Albrecht Werner hatte während der Flüchtlingskrise 2015 den Verein Pro Asyl in Reinfeld gegründet. „Es ist schon ein Zufall. Sein Geburtstag fällt auf den 24. Februar“, sagt Magdalena von Ostrowski. Es ist der Tag, an dem Putin die Ukraine angegriffen hat.

Zahl der freiwilligen Helfer wächst weiter

Auch ihre Arbeit mit älteren Menschen spiele eine Rolle. Viele Senioren fingen jetzt an zu erzählen, was sie selbst im und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hätten. Wenn sie im Radio hörten, „dass der Russe kommt“, wecke das bei vielen Erinnerungen.

In Reinfeld werden weiterhin Spenden gesammelt – von immer mehr freiwilligen Helfern. Auch in anderen Stormarner Orten engagieren sich die Bürger. In Trittau nehmen Jugendliche am Mittwoch, 2. März, auf dem Schützenplatz zwischen 14 und 18 Uhr Hilfsgüter entgegen, um sie in ein Erstaufnahmelager zu bringen. „Ich bin über Freunde aus anderen Städten, in denen Konvois organisiert werden, darauf gekommen“, sagt Mitorganisator Edwin Panier.

Trittauer Jugendliche können auch Lagerplatz gebrauchen

Die Gruppe hat einen Transporter und einen VW-Bus. „Wir haben die Hoffnung, dass sich weitere Menschen anschließen“, so der Trittauer. Vor allem Winterkleidung, Schlafsäcke, Elektronik (Handys, Taschenlampen, Powerbanks, USB-Kabel), Isomatten, Zelte und Gaskocher werden benötigt. Aber auch Taschen, Rucksäcke und Tiertransportkisten sowie Kinderartikel (Windeln und Trinkflaschen), Hygieneartikel (Binden, Tampons, Feucht- und Taschentücher, Toilettenpapier und Zahnbürsten). Edwin Panier: „Wir rechnen mit großer Spendenbereitschaft. Daher wäre eventuell auch Lagerplatz hilfreich, falls wir ein weiteres Mal fahren müssen.“

Direkt an der Stormarner Kreisgrenze hat die Aumühler Unternehmerin Kerstin Kleenworth eine private Initiative gestartet. „Ich war 2014, als die Krim überfallen wurde, schon einmal mit einem Spendentransport dort“, sagt sie. „Daher habe ich eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was die Menschen dort brauchen.“ Die beiden Transporter, mit denen ihr Mann und sie am Mittwoch losfahren wollen, sind voll.

Rotes Kreuz will mit Geldspenden gezielt vor Ort helfen

Das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hat seine Ortsvereine angeschrieben. „Uns ist ausdrücklich davon abgeraten worden, Sachspenden anzunehmen“, sagt Thomas Fleckenstein, Ortsvorsitzender in Reinbek.. „Es ist sinnlos, zahlreiche einzelne Transporte mit Unmengen an Sachspenden an die Grenze zu schicken.“

Eine größere Hilfe sei es, Geld zu spenden, damit das Ukrainische Rote Kreuz gezielt das kaufen könne, was gebraucht werde. „Wir sind darauf vorbereitet, den Menschen zu helfen, die aus der Ukraine zu uns kommen“, sagt Fleckenstein. In Lübeck solle zunächst eine Unterkunft mit 1000 Plätzen eingerichtet werden.

Reinbek erstellt für Kontakte Homepage in drei Sprachen

Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer sagt: „Wir sind dabei, alles zu kanalisieren und zu organisieren.“ Seit Sonntag wendet er sich mit Videobotschaften an die Bürger. Er sagt: „Wir müssen in dieser Situation alle zusammenrücken und den Geflüchteten, die meisten sind Frauen und Kinder, ein Obdach anbieten.“ Die Verwaltung erstelle eine Homepage auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch für Hilfesuchende und Spender. Björn Warmer hat selbst Familie in der Nähe von Kiew.

In Barsbüttel ruft Viktor Bilenkyi zu gezielten Hilfsaktionen für die Menschen aus seiner Heimat auf. Mit Landsleuten koordiniert er die Hilfen und bittet dafür um Spenden. Die ersten Kontakte stehen unter www.feineukraine.de, einer Homepage im Aufbau.