Lübeck/Travenbrück. Richter verurteilen Ex-Freund der getöteten Frau aus Schlamersdorf wegen Mordes. Sie glauben dem Angeklagten seine Tatversion nicht.

Das Landgericht Lübeck hat einen 40 Jahre alten Mann zu lebenslanger Haft wegen Mordes an seiner Ex-Freundin Ivonne Runge verurteilt. Die Richter sind nach 16 Verhandlungstagen davon überzeugt, dass Stefan B. die Tat geplant hat, sehen das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als erfüllt an.

„Er hat sich selbst alle Freiheiten zugestanden, war aber nicht damit einverstanden, dass sie ihr eigenes Leben führen wollte“, sagt der Vorsitzende Richter Christian Singelmann in seiner Urteilsbegründung. Ivonne Runge hatte die Beziehung wenige Monate vor der Tat beendet, weil der Angeklagte sie mehrfach betrogen hatte, und sich einem anderen Mann zugewandt.

Ivonne Runge war Fall bei „Aktenzeichen XY…ungelöst“

Das spurlose Verschwinden der 39-Jährigen hatte viele Stormarner rätseln lassen. Auch die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ thematisierte den mysteriösen Fall. Erst nach eineinhalb Jahren, im April 2019, wurde die Leiche gefunden und ihr Ex-Freund verhaftet.

Dieser nimmt das Urteil am Dienstag regungslos entgegen. Wegen der Coronapandemie muss er im Gerichtssaal erneut Mund- und Nasenmaske sowie eine große Schutzbrille tragen. Durch diese blickt er den Vorsitzenden Richter an, während dieser noch einmal die Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem späteren Opfer skizziert, insbesondere in den letzten Tagen und Wochen vor ihrem Tod. „Er war nicht bereit, die Trennung zu akzeptieren“, sagt Singelmann. Stefan B. sei zum Stalker geworden, habe die Frau überwacht und ihre neue Beziehung sabotiert.

Richter sagt: „Zu viele Zufälle, um daran zu glauben“

Die Richter kommen zu dem Schluss, dass ein Großteil seines Geständnisses gelogen war. So hatte Stefan B. zu Prozessbeginn vor einem halben Jahr ausgesagt, seine Ex-Freundin am späten Abend des 25. Oktober 2017 mitten auf der Straße in ihrem Heimatort Schlamersdorf erwürgt zu haben. Ihm seien die Sicherungen durchgebrannt, weil sie ihm die Worte „Ich habe jetzt einen besseren Mann als dich und er ist auch noch besser Bett“ an den Kopf geworfen habe.

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Solche Aussagen „unter der Gürtellinie“ passten nicht zu Ivonne Runge, die sich zuvor in Chatnachrichten ausschließlich empathisch geäußert habe, sagt der Richter. „Zudem wäre es sehr dumm von ihr gewesen, ihn spätabends mitten in der Einsamkeit so zu provozieren, obwohl sie seinen Charakter kannte.“

Stefan B. soll schon zuvor handgreiflich geworden sein

Der heute 20 Jahre alte Sohn des Opfers hatte vor Gericht zum Beispiel von einem Streit erzählt, bei dem Stefan B. seiner Mutter das Handy weggenommen und sie gegen einen Schrank gestoßen habe. Zwei Mal habe sie ihn an diesem Abend aufgefordert, die Polizei zu rufen. Doch er habe es nicht getan, so der junge Mann, der vor Gericht als Nebenkläger aufgetreten war.

Die Schwurgerichtskammer ist sich sicher, dass der Angeklagte Ivonne Runge bereits in seinem Wohnhaus in Rümpel erwürgt und den Plan zu der Tat spätestens am Abend zuvor gefasst hatte. Denn an jenem Tag sei er gut fünfeinhalb Stunden in der Nähe des Pendlerparkplatzes in Hammoor gewesen, wie Standortdaten seines Handys belegten.

Richter: Angeklagter passte Aussage immer wieder an

In einem nahen Waldstück war die Leiche der Frau eineinhalb Jahre nach dem Verbrechen gefunden worden. „Das ist ein ausgeklügelter Ort zum Verstecken einer Leiche, darauf kommt man nicht spontan“, sagt Singelmann. Unmittelbar vor dem Mord sei er am 25. Oktober 2017 erneut dort gewesen, um sich zu vergewissern, den richtigen Ort für sein Vorhaben ausgesucht zu haben.

Justizvollzugsbeamte bringen Stefan B. zur Urteilsverkündung in Saal A der Außenstelle in Lübeck-Blankensee.
Justizvollzugsbeamte bringen Stefan B. zur Urteilsverkündung in Saal A der Außenstelle in Lübeck-Blankensee. © HA | Janina Dietrich

Stefan B. hatte ausgesagt, auf dem Parkplatz nur eine Pause gemacht zu haben, weil er erschöpft gewesen sei. Später erklärte er, häufig im Auto übernachtet zu haben, weil er sich in seinem Haus in Rümpel nach dem Auszug von Ivonne Runge einsam gefühlt habe. Richter Singelmann spricht in dem Zusammenhang davon, dass der Angeklagte seine Einlassungen während des Prozesses immer wieder „angepasst“ habe.

Seine Tatversion hält das Gericht für ausgedacht. „Das sind uns zu viele Zufälle, um daran zu glauben“, sagt Singelmann, verweist zum Beispiel auf die Säcke, in denen die Leiche eingepackt war. Sie werden nur an Betriebe der Mineralölwirtschaft ausgegeben, der Angeklagte hatte als Tankstellenpächter Zugriff. „Der Angeklagte will in ihrem Auto zufällig zwei Säcke gefunden haben – genau so viele, wie zum Verpacken einer Leiche benötigt werden“, so der Richter.

Verteidigerin hatte nur für sechs Jahre Haft plädiert

Eine weitere Ungereimtheit sei, wieso er sie in ihrem Auto nach Schlamersdorf gefahren habe. Die Richter vermuten, dass er keine Spuren in seinem Wagen hinterlassen wollte. Auch die komplexe Legendenbildung über den Abend, mit der er Freunde und Ermittler auf eine falsche Fährte locken wollte, „denkt man sich nicht spontan aus“, sagt der Richter.

Der Angeklagte und sein späteres Opfer hatten kurz vor der Trennung einen gemeinsamen Kaufvertrag für ein Wohnhaus abgeschlossen. Ivonne Runge habe in den Wochen vor der Tat darauf gedrängt, aussteigen zu dürfen. Stefan B. habe ihr gegenüber behauptet, sich darum zu kümmern, jedoch nichts unternommen.

Runge wollte Unterlagen bei ihrem Ex-Freund abholen

Am Abend des 25. Oktobers wollte Ivonne Runge Unterlagen eines Anwalts bei ihrem Ex-Freund abholen, die aber gar nicht existierten. „Dieses unausweichliche Treffen war für ihn die letzte Gelegenheit, seinen zuvor gefassten Plan umzusetzen“, sagt Christian Singelmann. Die Richter vermuten, dass der Angeklagte noch einen zweiten Ort für das Verstecken der Leiche im Visier hatte. So hatte eine Zeugin Stefan B. vor der Tat mehrmals nachts in einem Wald in Rohlfshagen gesehen, nicht weit von seinem Wohnort entfernt.

Das Landgericht Lübeck folgt nun mit seinem Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigerin hatte dagegen für eine Verurteilung des Mannes wegen Totschlags in einem minderschweren Fall plädiert und sich für sechs Jahre Haft ausgesprochen.