Lübeck/Travenbrück. Verteidigerin plädiert für Verurteilung wegen Totschlags im minderschweren Fall. Für die Staatsanwaltschaft war es Mord.

Als der Vorsitzende Richter ihm das letzte Wort erteilt, spricht Stefan B. den Sohn, die Verwandten und die Freunde des Opfers direkt an. „Es tut mir leid“, sagt der 40-Jährige. „Ich schäme mich auch dafür, nicht den Mut aufgebracht zu haben, es früher aufzuklären.“ Wie ernst der Mann aus Rümpel diese Worte meint, ist zumindest seinem Gesichtsausdruck nicht zu entnehmen: Wegen der Coronavorschriften sitzt er erneut mit Mund- und Nasenmaske sowie Schutzbrille auf der Anklagebank vor dem Landgericht Lübeck, mögliche Gefühlsregungen bleiben dadurch für die Besucher verdeckt.

Der Sohn leidet stark unter dem Verlust seiner Mutter

„Für meinen Mandanten stand im Vordergrund, durch den Prozess Klarheit über das Schicksal seiner Mutter zu erlangen“, sagte Alexander Kienzle, Anwalt vom Sohn des Opfers.
„Für meinen Mandanten stand im Vordergrund, durch den Prozess Klarheit über das Schicksal seiner Mutter zu erlangen“, sagte Alexander Kienzle, Anwalt vom Sohn des Opfers. © Andreas Laible

Kurz zuvor hatte seine Verteidigerin in ihrem Plädoyer eine Verurteilung des Angeklagten nur wegen Totschlags in einem minderschweren Fall gefordert. „Ich halte eine Haftstrafe von sechs Jahren für Schuld und Tat angemessen“, sagt Astrid Denecke, löst damit ungläubiges Schnaufen und Kopfschütteln bei den anwesenden Angehörigen des Opfers aus. Stefan B. hatte zu Prozessbeginn gestanden, seine Ex-Freundin Ivonne Runge getötet zu haben – und zwar mitten auf der Straße in ihrem Heimatort Schlamersdorf. Dort habe er am späten Abend des 25. Oktober 2017 nach einem Streit die Kontrolle verloren, seine Hände um ihren Hals gelegt und sie erwürgt. Die Leiche habe er dann in einem Waldstück bei Hammoor abgelegt. Dort war sie erst eineinhalb Jahre später, im April 2019, gefunden worden.

Insbesondere für den heute 20 Jahre alten Sohn des Opfers war es eine extrem belastende Zeit der Ungewissheit, wie dessen Anwalt Alexander Kienzle in seinem Plädoyer am Donnerstag noch einmal betont. Der Sohn tritt vor Gericht als Nebenkläger auf, blieb den Prozesstagen aber weitgehend fern. „Er wollte sich dem Verfahren nur sehr bedingt aussetzen“, sagt Kienzle. Der junge Mann sei weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. „Für ihn stand im Vordergrund, durch den Prozess Klarheit über das Schicksal seiner Mutter zu erlangen“, sagt der Anwalt. „Er war jahrelang im Unklaren, nachdem sie von jetzt auf gleich weg war.“

Tat ist laut Verteidigerin nicht einem kaltblütigen Plan entsprungen

„Die Tat ist nicht einem kaltblütigen Plan entsprungen. Er wurde durch eine Kränkung dazu hingerissen“, sagte Astrid Denecke, Verteidigerin des Angeklagten.
„Die Tat ist nicht einem kaltblütigen Plan entsprungen. Er wurde durch eine Kränkung dazu hingerissen“, sagte Astrid Denecke, Verteidigerin des Angeklagten. © Janina Dietrich

Es sei seinem Mandanten nicht erspart geblieben, immer wieder mit den Ermittlern zu sprechen und auch eine Alibi-Prüfung über sich ergehen zu lassen. Auch nach der Beweisaufnahme blieben bei dem Sohn „viele Unsicherheiten, was die letzten Stunden im Leben seiner Mutter angeht“, so Kienzle weiter. Denn einige Aussagen des Angeklagten stünden im Widerspruch zu Beweismitteln und zu dem, was der Sohn selbst wahrgenommen habe. Ein konkretes Strafmaß fordert er nicht.

Verteidigerin Astrid Denecke betont in ihrem Plädoyer, dass die Tat aus den Entwicklungen an jenem Tag entstanden sei. „Sie ist nicht einem kaltblütigen Plan entsprungen.“ Ein „kaltblütiger Täter“ hätte ihrer Ansicht nach ein Loch gegraben, um die Leiche zu verstecken, und sie nicht einfach nur auf der Erde abgelegt, wo sie leicht zu finden gewesen sei. Ein solcher Täter hätte die Leiche auch nicht, so die Verteidigerin weiter, in Spezialsäcke verpackt, die nur an Betriebe der Mineralölwirtschaft herausgegeben werden. Doch genau das habe der Tankstellenpächter getan und damit den Verdacht direkt auf sich gelenkt. Zudem hätte ein solcher Täter auch die Spuren auf seinem Handy verschwinden lassen.

Fachärztin sah keine Anzeichen für verminderte Schuldfähigkeit

Stefan B. hatte vor Gericht ausgesagt, Ivonne Runge habe ihm vor der Tat die Worte „Ich habe jetzt einen besseren Mann als dich und er ist auch noch besser im Bett“ an den Kopf geschleudert. Diese sexuelle Kränkung habe bei ihrem Mandanten einen besonderen Nerv getroffen, sagt Denecke. „Er wurde durch die Kränkung zu der Tat hingerissen.“ Zudem gebe es viele Hinweise, dass er sie in einem Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit und in einem „emotionalen Ausnahmezustand“ begangen habe. Strafmindernd komme hinzu, dass er bisher unbestraft sei und die Tat bereue.

Die psychiatrische Sachverständige war in ihrem Gutachten dagegen zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Tat um einen „klassischen Intimizid“ handelt. Unter dem Fachbegriff wird das Töten eines Liebespartners verstanden. Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit sah die Fachärztin nicht. Die Ausführungen zum Intimizid seien für sie eine „hanebüchene Geschichte“ gewesen, sagt die Verteidigerin. Zudem wirft sie der Staatsanwaltschaft vor, „wesentliche Details zu ignorieren“.

Staatsanwalt fordert wegen Mordes lebenslange Haft

Der Vertreter der Anklagebehörde, Niels-Broder Greve, hatte in seinem Plädoyer vor der coronabedingten Unterbrechung des Prozesses eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes für den Angeklagten gefordert. Er ist überzeugt, dass Stefan B. die Tat geplant und den Ablageort der Leiche zuvor ausgekundschaftet hat. Dabei stützt sich die Staatsanwaltschaft auf die Handydaten von Stefan B. Zudem geht sie davon aus, dass Ivonne Runge bereits im Haus des Angeklagten in Rümpel getötet wurde und dass dieser mit der anschließenden Fahrt nach Schlamersdorf nur seine Spuren verwischen wollte.

Das Urteil will die Schwurgerichtskammer am Landgericht Lübeck am kommenden Dienstag, 21. April, um 9 Uhr verkünden.