Hamberge. Die Mitarbeiterin soll überfordert gewesen sein. Es herrscht Personalnot, die Leitung hat hingeschmissen. Ist es ein Grundsatzproblem?
Es ist ein Grundsatz, der fest im deutschen Recht verankert ist: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Eltern, die ihr Kind einer Kita anvertrauen, verlassen sich darauf, dass es dort gut aufgehoben ist.
Entsprechend erschütternd wirkt ein Vorfall, der sich am Dienstag, 5. September, in einer Kindertagesstätte in Hamberge bei Lübeck zugetragen hat. Eine Erzieherin hat ein Kind in der Kita Regenbogen in Trägerschaft des Kirchenkreises Plön-Segeberg ins Gesicht geschlagen. Das bestätigt auf Nachfrage unserer Redaktion Sebastian von Gehren, der Sprecher des Kirchenkreises.
Gewalt gegen Kind: Erzieherin sei sich ihres Fehlverhaltens sofort bewusst gewesen
„Es handelte sich um grenzverletzendes Verhalten einer Erzieherin gegenüber einem Kind im Elementarbereich. So ein Vorfall ist inakzeptabel und darf, auch wenn er wie in diesem Fall aus einer Überforderungssituation heraus geschehen ist, nicht passieren“, so von Gehren. Das Kind soll verhaltensauffällig gewesen sein. Die Erzieherin sei sich ihres Fehlverhaltens sofort nach dem Vorfall bewusst gewesen. „Sie hat es unmittelbar danach bei der stellvertretenden Leitung angezeigt, die wiederum den Träger informiert hat“, so der Sprecher. Auch die Mutter des Kindes sei von der Erzieherin informiert worden.
Als der Träger von dem Vorfall erfuhr, habe er unverzüglich reagiert, so von Gehren: „Am gleichen Abend hat der Träger einen Brief an die Eltern der betroffenen Gruppe geschickt, um sie über den Vorfall in Kenntnis zu setzen“, sagt der Sprecher. Am Folgetag sei ein Gespräch mit der Erzieherin geführt worden. Das Einrichtungsteam sei informiert und der Vorfall bei der Heimaufsicht und der Kommune gemeldet worden. Diverse Institutionen wie der Verein Wendepunkt, der sich für gewaltfreie Erziehung einsetzt, seien eingebunden worden.
Erzieherin bekommt von Eltern viel Lob und Zuspruch für die bisherige Arbeit
Zwei Tage nach dem Vorfall sei die gesamte Elternschaft der Kita schriftlich informiert worden. In der Hamberger Kita werden 125 Kinder in vier Elementargruppen, einer altersgemischten und drei Krippengruppen von 18 Erzieherinnen betreut. Es seien diverse Gespräche unter anderem mit den Eltern des Kindes geführt worden. Am Donnerstag, 14. September, habe ein Elternabend stattgefunden. „Die Eltern konnten ihre Sorgen und Ängste thematisieren“, so von Gehren. „Aus der Elternschaft gab es während des Elternabends und nach Bekanntwerden des Vorfalls viel Lob und Zuspruch für die bisherige Arbeit der betroffenen Erzieherin.“
In der Kita soll Personalnot geherrscht haben. Die Kitaleitung und die Stellvertreterin haben die Einrichtung im Frühjahr verlassen. Die Position der Stellvertreterin sei laut von Gehren zwar zum 1. Juli nachbesetzt worden. Eine neue Leitung kommt aber erst im Oktober. Einen Zusammenhang zwischen der angespannten Personallage und dem Vorfall will der Kirchenkreis Plön-Segeberg aber nicht sehen: „Die Umstände haben nicht zu dem Vorfall beigetragen“, so von Gehren.
Sind Erzieherinnen so überlastet, dass das Kindeswohl gefährdet ist?
Gleichwohl seien Fachkräftemangel und die damit verbundenen Herausforderungen grundsätzliche Probleme, so der Sprecher weiter: „Das betrifft allerdings nicht nur die Kita Hamberge oder die kirchlichen Kitas, sondern sämtliche Kitas in Schleswig-Holstein und bundesweit. Hier ist aus Trägersicht die Politik dringend gefordert, Abhilfe und Anreize zu schaffen.“
Der aktuelle Vorfall gibt Anlass zu der Frage: Sind die Erzieherinnen und Erzieher derart überlastet, dass das Wohl der Kinder nicht gewährleistet ist? Viele Kitas haben mit Fachkräftemangel und Personalnot zu kämpfen. Die Kitakrise war monatelang Gegenstand der öffentlichen Debatte in Stormarn, hat Anfang des Jahres in Bad Oldesloe die Gründung einer Initiative bewirkt. Erzieherinnen und Eltern berichteten gegenüber unserer Redaktion von untragbaren Zuständen, großer Arbeitsbelastung, Langzeiterkrankten, Gruppenschließungen und kurzfristigen Ausfällen.
Kinderschutzbund Stormarn verurteilt den Vorfall
Nach dem Vorfall in der Hamberger Kita gefragt, warnt Oliver Ruddigkeit, aktuell Vorsitzender und ab 2024 Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) in Stormarn, davor, Handgreiflichkeit mit herausfordernden Umständen zu legitimieren. „Gewalt gegen Kinder ist völlig inakzeptabel, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Das geht überhaupt nicht.“ Er wolle auf keinen Fall, dass der Eindruck entstehe, die Erzieherin könne nichts für den Vorfall, sondern die Umstände seien schuld.
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„Gleichwohl möchte ich auf die Belastungssituation vieler Erzieherinnen und Erzieher hinweisen. Sie werden aus verschiedenen Gründen mit vielen schwierigen Situationen konfrontiert. Die Aufgaben sind heutzutage sehr anspruchsvoll.“ Trotz allem dürfe es nie dazu kommen, dass Kinder zu Schaden kommen. „Der Kitaträger hat dafür Sorge zu tragen, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vernünftige Arbeitsbedingungen haben“, so Ruddigkeit. Das sei zwingend notwendig, damit es auch den Kindern gut gehe. Das Wohl der Kinder stehe über allem.
Hamberges Bürgermeister steht hinter der Erzieherin
Ähnlich sieht es auch Hamberges Bürgermeister Albert Iken. Zu dem Vorfall sagt er auf Nachfrage unserer Redaktion: „Es wurde eine Grenze überschritten und das geht nicht, Punkt. Nichtsdestotrotz ist die Frau so eine tolle Erzieherin, die jahrelang einen guten Job gemacht hat.“ Gewalt gegen Kinder sei natürlich zu verurteilen. Iken: „In diesem speziellen Fall stehe ich trotzdem hinter der Erzieherin.“ Das Kind sei verhaltensauffällig, die Personalnot groß. „Ich denke, dass diese Umstände zu dem Vorfall beigetragen haben. Und ich denke auch, dass die hohe Arbeitsbelastung in Kitas ein grundsätzliches Problem ist“, so der Bürgermeister.
Die Entscheidung, wie es für die Erzieherin weitergeht, obliegt dem Kirchenkreis Plön-Segeberg. „Es wird Konsequenzen geben“, sagt der Sprecher. Welche genau, könne er aus rechtlichen Gründen nicht sagen. In jedem Fall tue der Kirchenkreis alles, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Von Gehren: „Die Maßnahmen für das Team und die betroffene Mitarbeiterin bestehen aus Supervision, Aufarbeitung des Schutzkonzeptes, Fachberatung des Kirchenkreises und Fortbildung für den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern.“