Ahrensburg. 20-Jähriger soll versucht haben, Elfjährige auf Schulweg in Ahrensburg zu vergewaltigen. Jetzt muss er ins Gefängnis.

Wie jemand, der nicht zurechnungsfähig ist, wirkt Siakoh T. (Namen geändert) nicht, als Richter Ulf Thiele das Urteil verkündet: Drei Jahre und sechs Monate Jugendgefängnis wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und versuchter Vergewaltigung. Während der Ausführungen des Vorsitzenden Richters zur Urteilsbegründung blickt T. die meiste Zeit konzentriert auf den Tisch vor sich. Hin und wieder wendet sich der schmächtige junge Mann der Dolmetscherin zu, die neben ihm sitzt und alles Gesagte für den 20-Jährigen, der 2019 als Flüchtling aus Guinea nach Deutschland kam, ins Französische übersetzt.

Ein elf Jahre altes Mädchen soll Siakoh T. am 24. November 2024 in Ahrensburg überfallen haben, um sich an ihm zu vergehen. Das Kind war gerade auf dem Schulweg. Viel mehr war zu der Tat bislang nicht bekannt. Das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Ahrensburg, vor dem der Fall verhandelt wurde, hatte zum Auftakt des Verfahrens in der vergangenen Woche entschieden, die Öffentlichkeit auszuschließen. Zur Begründung führte Thiele das „schutzwürdige Interesse“ des Angeklagten an.

Versuchte Vergewaltigung einer Elfjährigen: Jugendstrafe für 20-Jährigen

Eigentlich gilt für Gerichtsverhandlungen in Deutschland der Grundsatz der Öffentlichkeit. Eine Geheimjustiz soll so vermieden, die Entscheidungen für jeden nachvollziehbar gemacht werden. Ausnahmen sieht das Jugendgerichtsgesetz für Verfahren vor, in denen Kinder oder Jugendliche angeklagt sind. Diese sind grundsätzlich nichtöffentlich, um die Minderjährigen zu schützen. Handelt es sich bei Geschädigten einer Straftat um Kinder oder Jugendliche, kann die Allgemeinheit während ihrer Aussage ausgeschlossen werden.

Weniger eindeutig ist die Rechtslage bei Personen, die bereits volljährig sind, aber das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Sie gelten rechtlich als Heranwachsende, können noch nach Jugendstrafrecht beurteilt werden. Abhängig ist das von der geistigen Reife des Angeklagten. Dann ist es eine Ermessensentscheidung des Gerichts, die Öffentlichkeit auszuschließen.

Gericht kann keine geistige Beeinträchtigung feststellen

In diesem Fall sah das Gericht die Voraussetzungen dafür erfüllt. Ausschlaggebend war laut Thiele nicht nur das junge Alter des Angeklagten sondern auch der Verdacht, dass T. unter einer psychischen Erkrankung leiden könnte, die seine Schuldfähigkeit beeinträchtigt. Seit Oktober 2022 hat der 20-Jährige eine gesetzliche Vertreterin. Eine solche kann ein Gericht bestellen, wenn eine Person aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln.

Ausreichende Beweise für eine geistige Beeinträchtigung und eine daraus resultierende Schuldunfähigkeit hätten jedoch weder das Gericht noch ein eigens zur Beantwortung dieser Frage bestellter psychiatrischer Gutachter feststellen können, sagte Thiele nun. Deshalb entschied das Gericht, die Öffentlichkeit zur Verkündung des Urteils zuzulassen.

Mutter des Kindes bekommt den Übergriff am Telefon mit

In seiner Begründung der Entscheidung zeichnete Thiele das Tatgeschehen im Detail nach. Es ist der frühe Morgen des 24. November 2022, gegen 7.30 Uhr, Gohar Y. ist zu Fuß auf dem Weg zur Schule. Das Mädchen biegt in einen Waldweg an der Straße Syltring im Ahrensburger Stadtteil Gartenholz ein. Dort ist zu diesem Zeitpunkt auch Siakoh T. unterwegs.

Auch mit Spürhunden suchten die Polizei das Umfeld der Flüchtlingsunterkunft ab.
Auch mit Spürhunden suchten die Polizei das Umfeld der Flüchtlingsunterkunft ab. © HA | Filip Schwen

Weil Gohar Angst auf dem schwer einsehbaren Waldweg hat, telefoniert sie mit ihrer Mutter. „Sie gingen zunächst vor dem Kind, bis dieses beschloss, sie zu überholen“, schildert Thiele das Geschehen, wie es sich nach Ansicht des Gerichts zugetragen hat. In diesem Moment habe der dem Mädchen unbekannte Angeklagte, eine schwarze Mütze über das Gesicht gezogen, sodass nur die Augen durch dafür selbst hereingeschnittene Öffnungen sichtbar waren, die Elfjährige gepackt, ihr die Hand auf den Mund gedrückt, damit sie nicht um Hilfe rufen konnte.

Der 20-Jährige wird am selben Tag in Flüchtlingsunterkunft festgenommen

Das Gericht sei überzeugt, dass T. die Tat geplant, bewusst ein Kind als Opfer auserkoren hat. „Mit Ihrer überlegenen Kraft haben Sie das Mädchen zu Boden geworfen“, so der Thiele. Anschließend habe T. das Kind entblößt und dessen Intimbereich mit den Fingern berührt. Zum Geschlechtsverkehr kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht, auch, weil sich die Elfjährige heftig mit Händen und Füßen zur Wehr setzt. Erst als die Mutter, die den Übergriff am Telefon mitgehört hat und sich sofort auf den Weg zu ihrem Tochter gemacht hat, an dem Wanderweg eintrifft, lässt T. von dem Kind ab und flüchtet.

Der 20-Jährige wird am Nachmittag desselben Tages in einer Flüchtlingsunterkunft am Kornkamp festgenommen, nur wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt. Dort lebte T. seit Anfang 2022. „Dass der Beschuldigte so schnell identifiziert werden konnte, ist der Tatsache zu verdanken, dass Polizeibeamte und eine Rechtsmedizinerin die Geschädigte unmittelbar nach der Tat nach Spuren untersuchen konnten“, sagt Thiele.

Ermittler finden DNA des Angeklagten an Körper und Kleidung des Kindes

An Körper und Kleidung des Mädchens stellen sie die DNA von Siakoh T. sicher, finden außerdem genetisches Material des Kindes an den Händen des 20-Jährigen und Faserspuren ihrer Jacke und Hose an seinen Klamotten. Später entdecken Polizeibeamte auch das Handy der Elfjährigen mit einem Fingerabdruck des 20-Jährigen gefunden, welches dieser auf der Flucht ins Gebüsch geworfen hatte.

„Die Spurenlage ist so eindeutig, dass für das Gericht keine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen“, sagt Thiele. Dennoch habe T. seine Schuld in dem Verfahren bis zuletzt geleugnet – einer der Gründe, warum die Richter an der Zurechnungsfähigkeit des jungen Mannes zweifelten. Auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe habe sich der 20-Jährige wenig kooperativ gezeigt.

Mädchen muss nicht erneut im Gerichtssaal aussagen

„Wir hatten immense Schwierigkeiten festzustellen, ob dieses Verhalten Ausdruck Ihres Unwillens mitzuwirken ist oder Ihren möglicherweise eingeschränkten geistigen Fähigkeiten geschuldet“, so Thiele. Während des Verfahrens hatten insgesamt 13 Zeugen sowie zwei Sachverständige, ein Psychiater und eine Rechtsmedizinerin, ausgesagt.

Gohar Y. blieb eine Vernehmung im Gerichtssaal erspart, stattdessen wurde die Videoaufzeichnung ihrer mehr als einstündigen Aussage bei der Polizei eingespielt. Siakoh T. und seine beiden Verteidiger hatten sich zuvor bereit erklärt, auf ein Erscheinen des Mädchens zu verzichten – eines der wenigen Dinge, die Thiele dem 20-Jährigen in der Urteilsbegründung zugute hält.

Das Opfer war selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen

An den Angaben des Kindes zur Tat habe das Gericht nicht den geringsten Zweifel, betont Thiele. „Die Geschädigte hat das Geschehene sehr differenziert dargestellt und währenddessen sehr spontane, emotionale Reaktionen gezeigt“, so Thiele. Besonders verwerflich sei, dass es mit der Elfjährigen ein Kind getroffen habe, das selbst mit seinen Eltern aus Syrien nach Deutschland gekommen sei, um Schutz zu suchen.

Siakoh T. kann das Urteil binnen einer Woche anfechten. Unabhängig davon, ob die Entscheidung rechtskräftig wird, wird der 20-Jährige Deutschland aber wohl schon bald verlassen müssen: Sein Asylantrag wurde laut Thiele im Januar abgelehnt. „Über den Zeitpunkt der Abschiebung entscheiden die Asylbehörden“, so der Richter.