Sylt. Höhe der Anlagen an Nordseeküste wäre neuer Weltrekord. Gemeinden auf der Insel alarmiert. Erster Widerstand gegen Dänen-Projekt.

Es sei ein wahrhaftiges „Schreckensszenario“, was die dänische Regierung an der Nordseeküste plane, sagt der Lokalpolitiker Allan Kenneth Svendsen. Und das nicht nur für die Menschen im Süden des Landes, auf der Insel Rømø und in Südjütland. Auch Norddeutschland könnte unter dem Vorhaben leiden – vor allem die Bewohner und Besucher der beliebten Urlaubsinsel Sylt.

Gigantische Windräder will Kopenhagen entlang der nordfriesischen Küste errichten. Ein drittes nationales Zentrum für Windenergie soll dort entstehen. Mit einer ungeheuren Höhe von 450 Metern würden die Anlagen nicht nur den Hamburger Elbtower in den Schatten stellen (geplante Höhe 245 Meter), sondern auch das legendäre Empire State Building in New York (443 Meter). Es wären die höchsten Turbinen der Welt.

Dänemark plant mit Giga-Windrädern neues Energie-Projekt

Für die Landschaft, die Bewohner und den Tourismus könnte das Folgen haben, die sich die meisten Betroffenen gar nicht vorstellen wollen. So würde man bei einem Gläschen Prosecco im Hafen von List künftig auf die gigantischen Riesen blicken, die nahe der gegenüberliegenden Küste wie Wolkenkratzer in den Himmel ragen.

„Schleswig-Holstein hätte keinen Horizont mehr“, sagt Svendsen dem Abendblatt. Er wohnt auf der dänischen Insel Rømø, ist also selbst betroffen und in der Region gut vernetzt. Deshalb wandte er sich an die Verwaltung der Gemeinde Sylt. Gemeinsam mit Verbänden und Kommunen will er den Widerstand organisieren. „Wir wollen Gas geben, um der Politik zu zeigen, was das für eine schlechte Idee ist.“

Giga-Windräder könnten auch an der Küste direkt gegenüber von Sylt entstehen

Das dänische Parlament habe sich mit breiter Mehrheit darauf geeinigt, die guten Bedingungen der nationalen Windindustrie zu sichern. Das erklärt Eva Sanvig dem Abendblatt. Sie ist Chefberaterin der dänischen Behörde für Planung und ländliche Entwicklung. Aus diesem Grund werde derzeit der Bau des dritten nationalen Zentrums geprüft.

Der dänische Lokalpolitiker Allan Kenneth Svendsen organisiert im Süden Dänemarks den Widerstand gegen ein geplantes Windkraftprojekt. Die Regierung in Kopenhagen will nahe der Insel Sylt bis zu 450 Meter hohe Anlagen bauen.
Der dänische Lokalpolitiker Allan Kenneth Svendsen organisiert im Süden Dänemarks den Widerstand gegen ein geplantes Windkraftprojekt. Die Regierung in Kopenhagen will nahe der Insel Sylt bis zu 450 Meter hohe Anlagen bauen. © privat | Privat

In Høvsøre und Østerild gibt es bereits solche Testfelder. Allerdings sind die Prototypen dort bei Weitem nicht so riesig, 278 Meter misst das Höchste. Hersteller bekommen in diesen Zentren die Möglichkeit, ihre Anlagen auszuprobieren, bevor sie in Produktion gehen und sie diese auf dem Weltmarkt verkaufen, erklärt Sanvig. Außerdem dienten die Felder auch der Forschung.

Windräder werden immer größer – Dänemark will nun gigantische Anlagen bauen

Windräder werden immer größer. Davon versprechen sich die Betreiber einen höheren Stromertrag. Sollten die Dänen aber ihre Pläne an der nordfriesischen Küste in die Tat umsetzen, so würden sie damit etwas bisher nie Dagewesenes schaffen. Es wäre ein neuer Weltrekord. Zum Vergleich: Derzeit entsteht im brandenburgischen Schipkau das höchste Windrad der Welt; stolze 365 Meter hoch soll es werden. Mehr als dreimal müsste man die Elbphilharmonie (110 Meter) aufeinanderstapeln, um diese Höhe zu erreichen.

Die gigantischen Windräder an sich sind aber nicht alles: Pro Anlage sind zwei Mess- und Lichtmasten geplant. Die sind rund 300 Meter hoch, sollen den Betreibern Daten liefern und – wie der Name sagt – mithilfe von grellen Leuchten den Flug und Schiffsverkehr vorwarnen, so die Informationen von Lokalpolitiker Svendsen.

Im dänischen Østerild gibt es bereits ein nationales Testzentrum für Windenergie. Allerdings sind die Prototypen dort bei Weitem nicht so hoch wie die Anlagen, die nun geplant werden.
Im dänischen Østerild gibt es bereits ein nationales Testzentrum für Windenergie. Allerdings sind die Prototypen dort bei Weitem nicht so hoch wie die Anlagen, die nun geplant werden. © IMAGO/ingimage | via imago-images.de

Dänemark hat für Testzentrum acht Standorte im ganzen Land im Blick

Für das aktuelle dänische Projekt, so erklärt Chefberaterin Sanvig, kommen acht Standorte in ganz Dänemark infrage. Drei davon befinden sich am Wattenmeer, eines liegt nahe der deutschen Grenze – gegenüber von Sylt. Es handelt sich um folgende Standorte:

  • Auf Höhe der Insel Fanø
  • etwas südlicher gegenüber der Insel Rømø
  • und ganz im Süden am Margrethe Koog auf Höhe von Sylt

Luftlinie beträgt die Entfernung von List auf Sylt bis zur dänischen Küste etwa 15 Kilometer. Dazwischen könnten die Giga-Windräder aufgestellt werden. Sie lägen damit quasi nur einen Steinwurf von der Lieblingsinsel der Hamburger entfernt. Außerdem befände sich dieser Standort in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Im Frühjahr und Herbst rasten dort bis zu 12 Millionen Vögel.

Die Umstände machen es zu einem Dilemma. Immerhin ist der Ausbau erneuerbarer Energien grundsätzlich etwas, was der Umwelt auch zugutekommt.

„Die Deutschen wissen nichts davon“ – was das MEKUN dazu sagt

Lokalpolitiker Svendsen hat die Befürchtung, dass Kopenhagen diese drei Orte für den Bau bevorzugt. Und dass dieses „Schreckensszenario“ Wirklichkeit wird, will er um jeden Preis verhindern. „Das Schlimmste ist, dass die Deutschen nichts davon wissen“, betont er. Dabei würden die gewaltigen Turbinen direkt vor ihrer Haustür gebaut.

Eine Anfrage beim schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur (MEKUN) bestätigt Svendsens Aussage nur in Teilen. Zwar seien die Pläne grundsätzlich bekannt, erklärte Ministeriumssprecher Steffen Regis, „allerdings bisher nur über mündliche Informationen im Rahmen der Ausschusssitzungen der Trilateralen Wattenmeerkooperation im Mai 2023.“

Das MEKUN gehe davon aus, dass die Nachbarn im Norden eine formale Beteiligung nach ESPOO durchführen werden. Das bedeutet, dass die Dänen das Land Schleswig-Holstein bei der sogenannten Umweltverträglichkeitsprüfung miteinbeziehen würden.

Sylter Gemeinden beobachten die Pläne Dänemarks mit Sorge

Auf der Insel Sylt werden die Pläne aus Kopenhagen mit großer Sorge betrachtet. Das teilten alle Sylter Gemeinden und der Landschaftszweckverband (LZV) dem Abendblatt in einer gemeinsamen Stellungnahme mit. Darin heißt es: „Sylt sieht hierbei den einzigartigen Naturraum Wattenmeer, insbesondere die reiche Vogelwelt und Meeressäuger durch Giga-Windräder bedroht.“ Die Kommunen sähen die Notwendigkeit, erneuerbare Energien auszubauen. „Allerdings bitten wir dringendst darum, alle Interessen zu beachten“, heißt es.

Widerstandsorganisator Svendsen hofft, Menschen aus beiden Ländern und aus verschiedenen Lagern für seinen Kampf gegen das Projekt zu gewinnen. Naturschützer wie Kommunen, Anwohner wie Touristen. Vonseiten der Behörde für ländliche Entwicklung heißt es, dass eine Entscheidung frühestens 2025 erwartet wird.

Svendsen und seine Mitstreiter haben dänische Politiker nach Tønder eingeladen

Lokalpolitiker Svendsen hat Sorge, dass besagtes „Schreckensszenario“ eintritt. Wahrscheinlich sei das, weil den Dänen schlicht der Platz ausgehe. „Das Problem ist, dass die Regierung auf die Karte schaut und sieht: Da leben wenige Menschen und da ist viel Platz“, sagt er. „Dabei unterstelle ich einigen, dass sie noch nie hier waren und gar nicht wissen, was hier los ist.“

Das möchte er nun ändern. Am kommenden Sonnabend (25. November) hat er mit seinen Mitstreitern mehrere Politiker in die Stadt Tønder eingeladen. Dort sitzt Svendsen im Stadtrat. Die Organisation hat einen Bus gechartert, damit sollen die Besucher durch die Landschaft gefahren werden. „Wir hoffen sehr, dass sie die Eindrücke mit nach Kopenhagen nehmen und merken, dass das eine schlechte Idee ist“, sagt er.