Westerland. 200 weitere Geflüchtete soll die Insel eigentlich unterbringen. Doch die größte Unterkunft ist komplett marode.
- Auf Sylt wird dringend nach Unterkünften für 200 Geflüchtete gesucht
- Die größte Flüchtlingsunterkunft auf der Insel muss abgerissen werden
- Bereits jetzt wird darüber nachgedacht, die Geflüchteten in Zelten und Containern unterzubringen
Wo bringt man 200 Flüchtlinge auf einer Insel unter, auf der schon Einheimische, Saisonkräfte und Urlauber beharrlich um den stark begrenzten Wohnraum ringen? Sylt sucht dringend Unterkünfte für schutzbedürftige Menschen. „Aber wir haben es die letzten Jahre verschlafen, uns darum zu kümmern“, räumte Gemeindevertreterin Ulrike Körbs (Insulaner) schonungslos ein und trommelte den Sozialausschuss zu einer Sondersitzung im Rathaus Westerland zusammen, um noch vor der Kommunalwahl eine Lösung anzuschieben.
Am Montagabend schoben sich Kommunalpolitik und Verwaltung erst einmal gegenseitig die Schuld an den Verzögerungen zu. „Wir haben wenig Platz zur Verfügung, aber wir müssen jetzt dringend etwas tun“, machte Bürgermeister Nikolas Häckel (parteilos) den Gemeindevertretern gleich zu Beginn unmissverständlich klar.
Sylt sucht Platz für Geflüchtete: „Wir liegen nicht auf der faulen Haut“
„Die Verwaltung müsste erst mal Lösungsvorschläge machen, über die diskutiert und abgestimmt werden könnte“, sagte Gerd Nielsen (SPD) und bekam Zuspruch aus den eigenen Reihen. Von der Politik gebe es bislang aber keinen klar formulierten Auftrag, entgegnete wiederum Häckel und verteidigte seine Mitarbeiter: „Wir liegen nicht auf der faulen Haut.“ Die Gemeinde Sylt habe ihre bisherigen Unterkünfte weitgehend ausgereizt und neue Anmietungsmöglichkeiten einfach nicht gefunden.
Einem Verwaltungsbericht zufolge sind „seit Anfang des Jahres deutlich höhere Zuweisungszahlen und damit einhergehend ein spürbar anwachsender Bedarf an Flüchtlingsunterkünften zu verzeichnen“. Die Menschen kämen weniger aus der Ukraine als vielmehr aus Syrien, der Türkei und Afghanistan.
Sylt: Hochhaus in Westerland ist baufällig – Flüchtlinge müssen umziehen
Allein bis Ende April hatte der Kreis Nordfriesland 150 weitere Geflüchtete für Sylt angekündigt. Daraufhin haben die Gemeindevertreter die Verwaltung damit beauftragt, bis Ende des Jahres vorsorglich Plätze für gut 400 Menschen bereitzuhalten. Das kann sie augenscheinlich nicht.
Es sei ohnehin unrealistisch, dass tatsächlich so viele Menschen neu untergebracht werden müssten, sagte Häckel nun. 200 seien wahrscheinlicher. Doch die Not ist noch aus einem anderen Grund groß: 112 schon auf der Insel lebende Geflüchtete müssen ihre Unterkunft an der Danziger Straße 4 in Westerland bis spätestens zum Ende des Jahres verlassen, da das Hochhaus stark baufällig sei und abgerissen werden müsse.
Leben Flüchtlinge auf Sylt bald in Containern oder Zelten?
Wo sollen die überwiegend alleinerziehenden Frauen und ihre Kinder dann unterkommen? Lars Schmidt (Zukunft) brachte die Katastrophenschutzhalle des DRK ins Gespräch, hält letztlich aber einen Überlastungsantrag beim Kreis für sinnvoller, um zu signalisieren, dass Sylt keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen könne. „Wir sind physisch am Ende. Jede einzelne Fläche ist betrachtet worden“, ist Schmidt überzeugt. „Am Ende müssen wir eben auf beheizte Zelte zurückgreifen.“ Diese Idee bezeichnete Kay Abeling (CDU) als „völligen Quatsch“.
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Die Ausschussvorsitzende Ulrike Körbs dagegen schlug neue Gespräche mit den Betreibern der leer stehenden Sylter Strandklinik vor, in der schon im vergangenen Sommer Kinder aus der Ukraine untergekommen waren. Bürgermeister Häckel stellte das Anschaffen von Containern als Möglichkeit in den Raum. Für zwei Millionen Euro könne man auf diese Weise zügig Unterkünfte für 200 Menschen schaffen. Wo auf der Insel die Container stehen könnten, sei aber noch unklar.
Sylter Flüchtlings-Hochhaus: „Da fallen Fassadenteile ab“
Und so kamen die Kommunalpolitiker schließlich doch wieder auf das marode Hochhaus an der Danziger Straße zu sprechen. „Ist dieses Gebäude wirklich nicht mehr zu sanieren?“, fragte Kay Abeling (CDU) und bekam prompt eine Antwort: „Da fallen riesengroße Fassadenteile ab! Wenn das auf ein Kind fällt …“, warnte Andrea Dunker. Die Sylter Gleichstellungsbeauftragte wohnt in der Nähe des Hochhauses und beobachtet den Verfall der Immobilie täglich. Gerd Nielsen sprach von „porösem Mauerwerk“ und auch Ulrike Körbs sprang ihr bei: „Das Haus ist definitiv baufällig.“
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Ohne politischen Entschluss über eine Alternative bleibt der Verwaltung nach eigenen Angaben nur eine Option: die nach SGB II anerkannten Flüchtlinge „auszuweisen“. Sie müssten ihre Unterkunft also verlassen und sich um eigenen Wohnraum kümmern. Zwar bekämen die Betroffenen bei der Suche Unterstützung von der Wohnraumbörse der Gemeinde, doch die wenigen infrage kommenden Wohnungen befinden sich nicht zwingend auf Sylt und nur „überwiegend“ in Schleswig-Holstein.
Werden Flüchtlinge auf Sylt also bald obdachlos? So weit wollen es die Kommunalpolitiker wohl kaum kommen lassen. Um endlich geeigneten Wohnraum für Geflüchtete auf der Insel zu finden, soll aus Vertretern der Politik und Verwaltung nun ein neues Gremium gebildet werden.