Hohe Mieten und Inflation machen den Zugezogenen und Pendlern zu schaffen, Ein neuer Verein soll helfen.
- Viele Polen zog es aus wirtschaftlichen Gründen nach Sylt
- Doch die teuren Wohnungen und die Inflation machen ihnen zu schaffen
- Marta Skorecka will mit einem Verein verhindern, dass sie wieder gehen
Danuta Dodat fällt es sichtlich nicht leicht, darüber zu sprechen, wie die 67-Jährige nach Sylt gekommen ist. Auch nach knapp 30 Jahren steigen der heutigen Rentnerin die Tränen in die Augen, wenn sie ansetzt, um zu erzählen. Zu tief sitzt der Schmerz und das schlechte Gewissen darüber, nicht für ihre Tochter Marta dagewesen zu sein können. Zumindest nicht so, wie es die Zehnjährige in Polen gebraucht hätte.
Sylt: Viele Polen zog es auf die Insel
„Das war wirklich hart damals. Alle vier Wochen bin ich mit dem Bus zwischen Breslau und Niebüll gependelt“, erinnert sich Dodat und schaut dabei ihre Tochter mit müden Augen an. Ganze 14 Stunden habe die Fahrt von der nordfriesischen Insel in den Westen von Polen gedauert.
Dorthin, wo Marta, damals noch ein Grundschulkind, zusammen mit ihrem Vater lebte und sehnsüchtig darauf wartete, dass ihre Mutter endlich wieder nach Hause kommt. Doch dieser Wunsch sollte unerfüllt bleiben, denn Dodat musste Geld verdienen. „Bei uns in Lissa gab es einfach keine Arbeit für mich. Als dann die Mauer fiel und die Grenze der DDR geöffnet wurde, habe ich die Gelegenheit ergriffen und bin wie meine Schwägerin nach Sylt gefahren, um als Haushälterin zu arbeiten.“
Weil Dodat sich aber keine dauerhafte Wohnung auf der Insel leisten konnte, kommt die damals mitte dreißig-Jährige vorerst nur monatsweise nach Sylt. Doch mit diesem Lebensweg ist Dodat nicht allein.
Viele Polinnen und Polen haben es so gemacht – und machen es auch heute noch. Aktuell sind es über 1000 der insgesamt rund 20.000 Sylter Einwohner, die eine polnische Staatsbürgerschaft besitzen. Steigende Mieten, fehlender Wohnraum und die Inflation machen den Zugezogenen allerdings so zu schaffen, dass viele nun überlegen, die Insel zu verlassen. Das will Marta Skorecka verhindern. Aber wie?
Sylt: Die meisten Polinnen und Polen arbeiten im Niedriglohnsektor
Für Marta Skorecka war das Wegbleiben ihrer Mutter prägend: „Ich kann gar nicht sagen, wie schlimm das damals für mich war“, sagt Marta Skorecka, die heute 40 Jahre alt ist und ebenso wie ihre Mutter auf Sylt lebt. Die gebürtige Polin hat ihre halbe Kindheit auf der Insel verbracht und fuhr, wann immer sie konnte, von Polen nach Sylt.
Solange, bis schließlich auch sie Geld verdienen musste. „Ich weiß ganz genau wie es sich anfühlt, hier ganz vorn vorne anzufangen.“ Insbesondere, so Skorecka, in einer nationalen Minderheit aufzuwachsen. Zwar spricht die Zugezogene Deutsch, weil sie es damals in der Schule gelernt hat. Doch habe es einige Zeit gedauert, ehe Skorecka richtig angekommen war.
Die meisten der polnischen Sylt-Bewohner arbeiten im Niedriglohnsektor, sagt Skorecka. Die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten sorgen deshalb bei fast allen dafür, dass am Monatsende nicht viel übrigbleibt. Ein großer Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter pendele deshalb auch auf das Festland. Die gebürtige Polin weiß dies so genau, weil sie sich 2006 mit ihrem eigenen Reinigungsservice „BienenRein“ selbstständig machte und derzeit acht Festangestellte so wie je nach Saison zusätzliche Arbeitskräfte auf Minijobbasis beschäftigt.
Sylt: Abwanderung auf das Festland oder nach Polen
„Ich habe viele meiner Beschäftigten überhaupt erst auf die Idee gebracht, nach Deutschland und insbesondere nach Sylt zu kommen“, erzählt Skorecka. Die meisten ihrer Angestellten erfuhren über Mundpropaganda von der Möglichkeit, auf der Insel zu arbeiten.
Momentan aber, so die 40-Jährige, überlegen viele wieder nach Polen zurückzukehren oder auf das Festland abzuwandern. Doch daran sind nicht nur die Mieten und der fehlende Wohnraum Schuld. Vielmehr ist es auch die Tatsache, dass es keinen Anlaufpunkt gibt, an dem sich die polnisch-stämmigen Zugezogenen treffen und beisammen sein können. „Klar gibt es hier auf der Insel Veranstaltungen, aber aufgrund der Sprachbarriere trauen sich viele von uns dort nicht hin.“
Zwar gebe es an der örtlichen Volkshochschule Deutschkurse. Doch seien diese oftmals schnell ausgebucht. Darüber hinaus fehle vielen ein Ort wie etwa ein Restaurant, in dem es polnische Küche gibt. Auch wenn Discounter mittlerweile polnische Produkte anböten, fehle den meisten einfach ein Ort, an dem man bezahlbares polnisches Essen bekommt. Alternativ wäre auch ein Ort denkbar, an dem sie selbst kochen. „Hauptsache zusammen sein und bezahlbar muss es sein“, sagt Skorecka.
Wie groß der Bedarf nach solch einem Treffpunkt polnischer Lebensart ist, merkt man an diesem Dienstagabend im Dezember in der Kinowelt Westerland. Über 50 polnisch-stämmige Personen darunter sowohl Frauen wie auch Männer tummeln sich im Foyer und unterhalten sich angeregt. Das ist kein Zufall, denn es läuft die polnische Weihnachtskomödie „Listy do M.“ (Deutsch: Briefe an M.).
„Es tut so gut, hier einfach mal zusammenzukommen“, sagt Dodat. Es ist bereits das dritte Mal, dass sich die polnische Community hier zu einem Kinoabend trifft. Auch die beiden letzten Male seien die Kinosäle fast ausverkauft gewesen, erzählt der Lokalpolitiker Lars Schmidt, der den polnisch-deutschen Kinoabend zusammen mit Marta Skorecka ins Leben gerufen hat. „Ich möchte, dass sich auch die polnisch-stämmigen Bewohner auf unserer Insel wohlfühlen. Außerdem brauchen wir sie doch, denn der Fachkräftemangel schlägt auch bei uns auf Sylt zu“, so Schmidt.
Es fehlt ein Treffpunkt für die polnische Community auf Sylt
Auch Theaterleitung Anna Kugel findet, es müsse mehr Angebote geben, damit sich Personen, die dauerhaft auf der Insel leben, begegnen können. Dass die Kinowelt nun einmal pro Monat einen polnischen Kinofilm mit englischem Untertitel zeigt, geht auch auf sie zurück. „Kino hat was Integratives und es ist superschön, wenn sich hier Personen aller Altersklassen und Herkunftsländer treffen, um gemeinsam einen Film anzuschauen.“
Kugel empfinde es deshalb auch gewissermaßen als Auftrag ein Angebot zu schaffen, dass sich an alle richtet und nicht nur den Mainstream zeigt. Doch auch dieser kann manchmal verbinden. So wie letztens bei dem Film „Rheingold“, der die Aufstiegsgeschichte eines nach Deutschland eingewanderten iranisch-stämmigen Mannes zeigt. „Als wir den Film gezeigt haben, kamen hier 14-Jährige mit Migrationshintergrund mit alteingesessenen Sylter Rentnern zusammen.“
Damit es jedoch nicht allein bei Kinoabenden bleibt, planen Skorecka und Schmidt einen Verein zu gründen. Ziel sei es, neben einem Anlaufpunkt für die polnische Community auch eine Begegnungsstätte für alle Inselbewohner zu schaffen. Dazu seien die beiden auch bereits mit der deutsch-polnischen Gesellschaft in Hamburg in Kontakt.
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„Bei uns soll jeder willkommen sein“, sagt Skorecka. Wie fruchtbar so etwas ist, merke die Unternehmerin bereits, wenn sie über die Straße geht und polnisch-stämmige Bewohner treffe: „Jetzt sagen wir uns auch mal hallo und wissen, wer wir sind. Davor hat jeder für sich gelebt und teilweise weiß man gar nicht, wer alles noch aus Polen kommt und auf der Insel lebt.“
Einen konkreten Zeitpunkt, wann es mit dem Verein losgehen soll, gebe es noch nicht, so Schmidt. „Ich bin mir aber ganz sicher, dass er großen Zulauf erhalten wird.“