Bürgermeister Nikolas Häckel will die Punks unbedingt loswerden. Doch die planen schon wieder etwas Neues und wollen Fakten schaffen.
- Punks sollen das Camp auf Sylt bis Sonnabend endgültig räumen
- Gemeinde Sylt überreicht den 9-Euro-Gästen eine Liste mit 450 Vorwürfen
- Die Punks ohne Wohnsitz wollen bleiben – obdachlos, mit dem Lebensmittelpunkt Sylt
Jörg Otto ist ein Frühaufsteher. Zwischen vier und fünf Uhr morgens ist im Protestcamp der Punks auf Sylt die Nacht für ihn zu Ende. „Ich bin dann auf dem Platz unterwegs und schaue, ob es irgendwelche Schäden gibt“, sagt der 45-Jährige. „Dann entmülle ich erst mal.“ Danach pflegt er die Internet-Foren wie „Chaostage Sylt" oder „Asyltziale Armee Fraktion“, tauscht sich in Gruppenchats mit Gleichgesinnten aus.
An diesem Mittwochmorgen musste sich Otto, der eigentlich Jörg Hellmut Serdar Otto heißt und als Mitorganisator und Sprecher das Protestcamp nach außen vertritt, nach wochenlangem Sommerwetter auf Regenfälle und Wind einstellen. Ungemütliches Inselwetter eben, das zur aktuellen Lage der Punks passt, nachdem das Verwaltungsgericht in Schleswig die Auflösung der Versammlung durch das Verwaltungsgericht zum 31. August bestätigt hat.
Ende des Protestcamps auf Sylt: Punks wollen sich nicht quer stellen
Am Nachmittag hatten Polizeibeamte und das Ordnungsamt der Gemeinde Sylt Otto das offizielle Schreiben des Gerichts übergeben, ihn und den anderen Organisator „Flippy“ in einem Gespräch aufgefordert, den Platz zeitnah zu räumen.
Otto wusste gleich, dass er den Kampf um das Protestcamp auf dem Rathausplatz verloren hat. „Für mich ist das schwer zu ertragen“, sagt er mit hängenden Schultern. „Ich dachte, wir machen eine befriedende Sache und wollten als politische Aktion weitermachen.“
Otto: Versammlungsleitung muss rund 1000 Euro Prozesskosten tragen
Am Dienstagabend tagte das Plenum der Punks, um zu besprechen, wie es weitergeht. „Der Tenor war, dass wir erst mal aufhören", berichtet er danach und beklagt, dass die Gegenseite mit unfairen Mitteln gearbeitet habe. In dem Bescheid hieß es unter anderem, dass die Kosten des Verfahrens der Antragsteller, also die Versammlungsleitung, tragen müsse. Diese dürften rund 1000 Euro betragen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt, der Streitwert des Verfahrens mit 10.000 Euro beziffert.
Außerdem wurden in dem Schreiben insgesamt 450 Ereignisse wie Ruhestörungen in einer mehrseitigen Liste aufgeführt. Nachdem Otto zunächst befürchtet hatte, dass er auch diese Kosten tragen müsse („Erst war ich durch Corona pleite, jetzt bin ich schon wieder ruiniert"), hoffte er am Mittwochmittag nach der Besprechung am Vormittag mit dem Ordungsamt und der Polizei, dass ihm hier nicht noch weitere Kosten drohen.
Punk-Camp auf Sylt muss bis Sonnabend geräumt werden
Klar ist aber auch, dass Beamten genau registrieren werden, ob und wie zeitnah die Aufräumarbeiten durchgeführt werden. Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, hatte bereits Ende der vergangenen Woche Amtshilfe bei der Polizei beantragt. Die Beamten haben laut Otto den Punks im Protestcamp bis Sonnabend Zeit geben, den Stadtpark zu räumen.
Häckel selbst bestätigte das Ultimatum am Mittwoch via Facebook. Camp-Vertreter hätten zugesagt, „den Rathauspark binnen drei Tagen freiwillig und friedlich zu räumen“. Sollte die Frist nicht eingehalten werden, würde der Platz geräumt, sobald dies rechtlich zulässig sei. Der Hauptausschuss werde sich bei seiner öffentlichen Sitzung am kommenden Dienstag mit dem weiteren Umgang mit dem Protestcamp sowie dessen Folgekosten befassen.
Obdachlose wollen sich beim Einwohneramt auf Sylt anmelden
Etwas mehr als 30 Personen befinden sich noch im Protestcamp. „Die meisten sind obdachlos“, sagt Otto, der selbst nur noch übergangsweise ein WG-Zimmer in Hamburg hat und Hartz IV empfängt. Für die Linken sitzt der Ahrensburger im Vorstand des Bezirks Hamburg-Mitte.
Wie es nun weitergeht? Einige Protestcamper werden wohl die Insel verlassen nach der Räumung des Rathausplatzes, andere wiederum sehen ihre Zukunft weiter auf der Insel. Die Punks aus der Gruppe ohne Wohnsitz wollen sich obdachlos beim Einwohnermeldeamt melden – mit dem Lebensmittelpunkt Sylt. Schon heute Nachmittag sollen zudem die ersten Beratungen in der Obdachlosenunterkunft anstehen. Otto: „Es gibt schon den Wunsch, hier zu bleiben. Punks und Sylt, das passt gut zusammen, allein durch die Geschichte der Surf Punks.“
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Was Otto wichtig ist: „Wir wollen legal bleiben. Wir machen hier Politik und auch Quatsch, wollen aber keine Gefahr sein und nicht übelst rumrandalieren.“ Deshalb habe er einen Notartermin für Ende der Woche vereinbart. Das Ziel ist die Gründung eines Vereins, der den Namen „Sylt für alle e.V." tragen soll. Basisdemokratisch natürlich, und gemeinnützig. 15, 16 Punks, so schätzt er, wollen sich beteiligen.
Punk auf Sylt bedeutet für Otto, gegen schlechten Kapitalismus zu demonstrieren
Otto sagt, ihm gehe es darum, die politische Arbeit mit dem harten Kern fortzusetzen. Zwar nennt er auf die Frage, was sie mit ihrer Präsenz in den vergangenen Monaten bewegt hätten, auch die bundesweite mediale Beachtung. Dies hatte aber auch schnell die negative Nebenwirkung, dass immer weniger über die Themen berichtet wurde, die ihm wichtig seien, wie er selbst einräumt.
Dass die „Normalos“ genervt waren vom Lärm des Camps und vom Wildpinkeln, dass sich Anzeigen häuften, empfindet Otto „persönlich als ein bisschen unangenehm. Ich wollte mit meiner Truppe immer im Recht bleiben.“ Was Otto hervorhebt: „Wir wollen den Reichen nicht ein Loch in die Tasche schießen.“ Aber antikapitalistischer Rabbatz müsse eben sein. „Punk auf Sylt bedeutet, gegen das Establishment, gegen schlechten Kapitalismus aufzustehen. Auf der Insel der Reichen der Schönen gibt es eine Form von Verdrängung und Repression, die alle normalen Leute von der Insel drängt.“
Zentrale Punkte der Dauer-Demo seien immer auch „Finanzskandale“ gewesen. Otto zählt einige auf, etwa die Haushaltssperre der Gemeinde Sylt, den Verkauf der HSH Nordbank an amerikanische Privatanleger oder die Privatisierung von Krankenhäusern. „Der Superfeind als juristische Person ist der Kapitalismus, beziehungsweise der Neoliberalismus.“
Protestcamp auf Sylt: Satirische Aktionen wie die Drogenanbetung gehören dazu
Dass nebenbei auch schrullig-satirische Aktionen dabei waren, gehört für ihn dazu – so zum Beispiel eine sektenähnliche Drogenanbetung vor einer Drogerie. Ein Teil der Campbewohner sympathisiert nicht umsonst mit der APPD, der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands. „Klar, einigen, die hier durchgewandert sind im Camp, war wahrscheinlich egal, was wir politisch bewirken wollten“, gibt er zu. „Aber immerhin waren sie hier und nicht in den Dünen. Sie haben nicht in der Weltgeschichte herumgefeiert, sondern hier, wir haben sie geistig abgeholt.“
Und durch die vielen Aktionen und Workshops hätten die Punks auch viel gelernt für die Zukunft. „Ich habe ihnen den Unterschied von einer Demonstration und einer Versammlung erklärt, die Modalitäten einer Demo-Anmeldung und so weiter. Politische Bildung eben.“