Westerland. Germain Gouèn ist Pfarrer der katholischen Kirche St. Christophorus in Westerland. Zur Arbeit muss er jede Woche vom Festland anreisen.

Die Geschichte klingt reichlich übertrieben, ist aber wahr: In Westerland auf Sylt, eher Synonym für Sonne, Strand und Alkohol als für den Glauben, steht eine katholische Kirche, deren Pfarrer Germain Gouèn aus Kamerun stammt und in Irland studiert hat. Und der Woche für Woche vor mit Einheimischen und Touristen prall besetzten Bänken in perfektem Deutsch predigt – er könnte es ebenso auf Französisch oder Englisch tun.

Während andere Gemeinden über Mitgliederschwund und leere Kirchen stöhnen, strömten auch am Sonntag rund 120 Menschen trotz des sommerlichen Wetters in die Kirche St. Christophorus (Schutzheiliger der Reisenden). Im Vergleich sogar ein eher schwacher Besuch. Im Schnitt sind es doppelt so viele, manchmal sogar 400.

Germain Gouèn greift gerne aktuelle Themen auf, so auch dieses Mal. Er spricht in seiner Predigt über das gerade beschlossene Entlastungspaket der Bundesregierung und zieht Parallelen zur Heiligen Schrift, ermutigt die Menschen, aufeinander zu achten, und hofft auf Solidarität besonders mit den Bedürftigen.

Sylt: Pfarrer Gouèn muss jede Woche mit dem Zug anreisen

Nach dem Ende des einstündigen Gottesdienstes verabschiedet sich Gouèn an der Eingangstür von allen Besuchern – viele nutzen dies zu einem kurzen Plausch oder fragen nach einem Termin für eine Beichte.

Auch Heidi und Tomasz Dobrowski klönen noch ein paar Minuten mit Gouèn in der Sonne. Die gebürtige Österreicherin, die mit ihrem polnischen Mann in den Niederlanden lebt, unterhält sich mit einem afrikanischen Pfarrer in Nordfriesland, dem nördlichsten Landkreis Deutschlands – mehr Internationalität geht kaum. Aber genau das gefällt Gouèn: „Ich fühle mich als Kosmopolit, weil ich so viel in meinem Leben unterwegs war.“

Im Moment ist Gouèn genau genommen ein Pendler im Auftrag Gottes. Seit dem Zusammenschluss der drei Pfarreien St. Knud in Husum, St. Gertrud in Niebüll und St. Christophorus in Westerland zur Pfarrei Nordfriesland mit rund 10.000 Katholiken (davon 1000 auf Sylt) kann der 52-Jährige nur noch ein, zwei Tage pro Woche mit dem Zug auf die Insel kommen, die Zentrale ist in Husum.

Gottesdienst in St. Peter-Ording wurde live im ZDF übertragen

Eine gewisse Popularität hat Gouèn aber nicht nur im hohen Norden erlangt. Seit Mitte August ein Gottesdienst Gouèns in St. Peter-Ording live im ZDF übertragen wurde, dürfte sein Name sogar deutschlandweit bekannt sein. Die Übertragungen erreichen regelmäßig 800.000 Menschen. „Ich habe tolle Rückmeldungen bekommen, auch von Seniorinnen und Senioren, die mich sehr gut verstanden haben“, sagt Gouèn und lacht.

Wie aber kommt ein Geistlicher aus Kamerun in den hohen Norden? Gouèn sitzt in seinem Amtszimmer und fängt an zu erzählen, wie er in Bafia schon im Gymnasium Deutsch lernte und in Kameruns Hauptstadt Jaunde sein Theologiestudium aufnahm.

Sein Bischof schickte ihn dann auf seinen Wunsch hin nach Dublin, um BWL zu studieren. Schließlich war eine administrative Aufgabe für ihn denkbar. Außerdem wollte er seine Englischkenntnisse perfektionieren. Doch die Insel wurde ihm zu klein. Er folgte dem Drang, eine weitere lebende Sprache gut zu lernen, und zog 2005 nach Münster, um zu promovieren. Kurz vor dem Abschluss ereilte ihn jedoch überraschend der Ruf aus Kamerun. „Der Bischof teilte mir mit, ich würde zu Hause gebraucht.“ Widerspruch zwecklos.

Hamburgs früherer Erzbischof Thissen holte Gouèn zurück nach Deutschland

2009 kehrte er in seine Heimat zurück, doch schnell stellte sich heraus, dass der Bischof keinen richtigen Plan mit Gouèn hatte. „Als ich das realisiert habe, habe ich ihm auf den Kopf zu gesagt, dass er mich nicht braucht. Für afrikanische Verhältnisse war das schon recht gewagt, dies dem Chef so offen zu sagen.“

Gouèn knüpfte einen Kontakt zu Werner Thissen, dem damaligen Erzbischof von Hamburg, der ihn 2010 aufnahm. Über Neumünster, Ahrensburg, Ratzeburg und Mölln kam Gouèn als Pfarradministrator 2019 nach Sylt. Mit der Fusion der Pfarreien im Februar 2021 wurde er zum Pfarrer in Nordfriesland ernannt.

Natürlich hat Gouèn gerade in der Anfangszeit durch Corona schwer gelitten. Wer irgendwo neu ist, möchte die Menschen kennenlernen. „Stattdessen spürte ich die Angst, die Leute gingen auf Abstand. Das waren Monate der Einsamkeit.“ Die Folgen reichen bis heute. Noch immer dürfen die Menschen die Kirche nur mit Maske betreten. Die Touristen kommen aus aller Welt, da möchte Gouèn kein Hotspot mit der Kirche sein.

Gouèn denkt zwar schon an den Herbst, wenn womöglich neue Beschränkungen kommen könnten, vor allem aber auch an die Folgen der Energiekrise, die auch die Kirchen beschäftigt: „Wir haben mit dem Kirchenvorstand über Sparmaßnahmen gesprochen. Nach dem Empfang der Richtlinien des Bistums werden wir schauen, was wir umsetzen. Aber sicher werden wir die Kirchen nicht mehr so warm heizen können wie vor einem Jahr. Ich weiß nicht, wie die Leute darauf reagieren werden. Wir müssen überlegen, wie wir damit vernünftig umgehen und bei den Menschen bleiben. Wenn es kälter wird in den Kirchen, müssen wir trotzdem warme Herzen behalten füreinander.“

Die Pfarrkirche St. Christophorus in Westerland auf Sylt.
Die Pfarrkirche St. Christophorus in Westerland auf Sylt. © Alexander Laux

Und überhaupt: Vielleicht könne diese schwierige Zeit auch etwas Gutes haben, weil man sich vielen Fragen anders stellen und innovative Antworten finden müsse. Für die in Westerland so zentral gelegene Kirche St. Christophorus hat Gouèn jedenfalls schon einen ganzen Sack voller Ideen. Er möchte sie künftig für Ausstellungen, Vorträge und Konzerte öffnen. „Mein inneres Leitmotiv lautet, dass wir bei den Menschen sind.“ Gerade auch bei denjenigen, die woanders keinen Platz haben, diskriminiert werden.

Gouèn kämpft für seine Kirche: „Alles tun, um sie zu stärken“

Trotz aller Kritik, die auf die katholische Kirche niederprasselte – nach den Missbrauchsvorwürfen hat er sich für seine Mitbrüder geschämt –, ist Gouèn weiter sehr stolz auf die Arbeit der Kirchen: „Was sie leisten, ist so gut, dass man alles tun muss, um sie zu stärken und nicht zu dekonstruieren. Ich habe manchmal den Eindruck, dass man das Kind mit dem Bad ausschüttet.“

Dass die Kirche mit Gouèn einen starken Mitstreiter in ihren Reihen hat, zeigt sich spätestens beim Abschied, als er noch, fast nebenbei, sagt: „Wenn die Leute glücklich sind, bin ich es auch.“