Kampen auf Sylt. Jan Finke deckt unter anderem das Luxushotel Severin's ein. Und erklärt, warum deutsches Reet nicht für nordfriesische Häuser taugt.

Das Friesenhaus mit Reetdach ist auf Sylt ebenso wenig wegzudenken wie Fischhändler Gosch und die Highsociety von Kampen. Neben einer Handvoll weiterer ist die Reetdachdeckerei Finke GmbH & Co. KG verantwortlich dafür, dass Sylt seinen ursprünglichen friesischen Charme nicht verliert.

Reet ist ein Traditionswerkstoff. Über Zeichnungen lässt sich die Art der Eindeckung bis ins zweite Jahrtausend vor Christus nachweisen. "Früher war das Reetdach ja ein 'Arme-Leute-Dach'", erzählt Firmeninhaber Jan Finke. Kaum zu glauben, gilt die Eindeckung heute doch beinahe als Statussymbol auf Sylt.

Sylt: Traditionsbetrieb deckt Reetdächer in dritter Generation

Finke führt die Reetdachdeckerei bereits in dritter Generation, mit Büro in Kampen und Lager, Werkstatt sowie Fuhrpark im Tinnumer Gewerbegebiet. Seine 20 Mitarbeiter decken ausschließlich auf Sylt ein.

In schwindelerregender Höhe verwandeln die Handwerker auf einem Haus in Kampen auf Sylt einzelne Reetbündel in ein sturmfestes Dach.
In schwindelerregender Höhe verwandeln die Handwerker auf einem Haus in Kampen auf Sylt einzelne Reetbündel in ein sturmfestes Dach. © Anika Würz

Das Kerngeschäft macht der Betrieb dabei in den Norddörfern der Insel und Kampen – eben da, wo viele Bewohner besonderen Wert auf die traditionellen Dächer legen und die Bebauungspläne häufig Reetbedachungen vorsehen. "Aber auch Wenningstedt erfindet sich gerade neu", sagt er hinsichtlich des dort entstehenden Reetdach-Booms.

Finke deckt unter anderem das Reetdach des Luxushotels Severin's

"Mal decken wir 20 Hütten im Jahr ein, mal acht bis zehn größere Häuser", so Finke. Dabei habe er meist drei Projekte zugleich am Laufen und nebenbei saniert seine "Reparatur-Kolonne" an anderer Stelle. Das bekannteste Objekt, das Finkes Reetdachdeckerei zu verantworten hat, ist wohl das als Museum der Sölring Foriining genutzte Altfriesische Haus, aber auch das Dach des Luxusresorts Severin’s in Keitum soll nicht unerwähnt bleiben.

Solch große Nummern müssen es bei Finke jedoch gar nicht immer sein. Im Zweifel lasse sich beinahe jedes Domizil mit Reet eindecken. Erst kürzlich habe sein Betrieb zum Beispiel ein friesisch gedecktes Vogelhaus aufs Festland liefern lassen. Auch an einigen reetgedeckten Bushaltestellen auf Sylt habe die Finke GmbH mitgearbeitet.

"Knochenharte Jungs" gehen auch bei Windstärke 5 aufs Dach

Hochsaison ist Nebensaison – zumindest für die Reetdeckerei Finke. "Im Sommer decken wir hauptsächlich Neubauten ein. Sanierungen sind nicht so gefragt, weil die Häuser alle vermietet sind", erklärt der Geschäftsführer.

Ganz frisch ist das Reet noch richtig gelb: Neubau in Kampen auf Sylt, eingedeckt von der Reetdachdeckerei Finke.
Ganz frisch ist das Reet noch richtig gelb: Neubau in Kampen auf Sylt, eingedeckt von der Reetdachdeckerei Finke. © Anika Würz

Nachdem die Sommerferien vorüber und viele der Touristen abgereist sind, beginnt das eigentliche Geschäft, das ungefähr bis in den April dauert. "Ich hab' knochenharte Jungs - die gehen auch bei Windstärke 5 aufs Dach", lobt Finke seine Mitarbeiter – oder präziser: seine Dachdecker der Fachrichtung Reetdachtechnik.

Wie kommt eigentlich das Reet aufs Dach?

Aber wie wird so ein Reetdach überhaupt eingedeckt? Zunächst legen die Dachdecker die geschnürten Reetbunde gleichmäßig auf die Dachlatten auf, so dass eine Art Reet-Fläche entsteht. Anschließend wird der Werkstoff mit einem Haltedraht mit Schlaufen "festgenäht".

Nun kommt das wohl typischste Werkzeug der traditionellen Handwerker zum Einsatz: das Klopfbrett. Hiermit schlagen die Dachdecker das Reet in Form, "die Kunst dabei ist, dass es ebenmäßig aussieht", sagt Finke. Das dauert seine Zeit. Mit der aktuellen Neueindeckung in Kampen sind die Handwerker insgesamt rund zehn Wochen beschäftigt.

Ein Reetdachdecker ist in Kampen auf Sylt zugange. Hier wird ein Neubau traditionell eingedeckt.
Ein Reetdachdecker ist in Kampen auf Sylt zugange. Hier wird ein Neubau traditionell eingedeckt. © Anika Würz

Weil sich die Dachdecker Lage für Lage bis zum Dachfirst hocharbeiten und sich das Reet immer wieder überlappt, sichern sich die mit Haltedraht vernähten Röhrchen gegenseitig. "Das ist dann richtig sturmsicher", beteuert Finke.

Das fachliche Können der Reetdachdecker ist verantwortlich dafür, dass es das Handwerk 2014 als eine von 27 Kulturformen in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes geschafft hat.

Ein Reetdach ist haltbar, aber ziemlich pflegeintensiv

Bis zu 35 Jahre ist ein Reetdach haltbar - bei guter Pflege, wie Finke betont. Die traditionelle Eindeckung sollte mindestens jährlich kontrolliert werden. Moos muss regelmäßig entfernt, Löcher und durch Wasserläufe verursachte Rinnen sollten ausgebessert, erodierte Wetterseiten saniert werden.

Wer den Aufwand in Kauf nimmt, gewinnt nicht nur einigen friesischen Charme für sein Häuschen, sondern steigert auch den Wiederverkaufswert seiner Immobilie, sagt Finke. Insel Makler Eric Weißmann schreibt über seinen Berufsalltag schließlich nicht umsonst unter dem Buchtitel "Aber bitte mit Reet".

Sylt: Reet für die Insel kommt aus Kasachstan

"Und dann sagt man ja immer: Unter einem Reetdach ist es im Winter ein bisschen wärmer und im Sommer ein bisschen kühler. Ob das wirklich stimmt? Da müsste ich einen Bauphysiker fragen", kommentiert der Fachmann die Vorteile der traditionellen Eindeckung augenzwinkernd.

Das Reet - oft auch Rieth, Reid oder Rohr genannt - importiert Finke übrigens aus Kasachstan. "Reet kommt aus fast allen Ländern mit großem Flussdelta, weil Reet an fließenden Süßgewässern wächst", sagt er. Sogar einige deutsche Reetbauern produzieren ihm zufolge bis in die heutige Zeit heimische Ware, "aber das ist nichts für Sylter Dächer", so Finke. "Das ist zu grob für unsere nordfriesischen Langhäuser."

Der Geschäftsführer selbst lebt übrigens nicht unter Reet - obwohl er gern würde. Denn sein Wohnsitz ist in der Halle des Betriebs in Tinnum. "Ich habe mal darüber nachgedacht, aber die Halle kann man einfach nicht mit Reet eindecken", sagt der 45-Jährige.