Hamburg/Kiel. Sozialarbeit, Landwirtschaft, Naturschutz, Tourismus, Flüchtlingsintegration: Die Europäische Union unterstützt Hunderte Projekte.

Es ist so viel Geld (mehrere Milliarden), und es sind so viele Projekte (viele Hundert), dass Hamburg und Schleswig-Holstein offensichtlich keine detaillierte Übersicht haben, welche Vorhaben welcher Träger von den Zuwendungen der EU profitieren. Jedenfalls kennt niemand in Hamburg oder Kiel die genaue Summe. Sind es jetzt zusammen fünf oder schon sechs Milliarden Euro in der laufenden Förderperiode, die 2021 begann und 2027 endet? Ob fünf oder sechs – Hamburg und Schleswig-Holstein profitieren von den EU-Milliarden in der Sozialarbeit, der Landwirtschaft, im Naturschutz und im Tourismus oder auf dem Arbeitsmarkt. Einige Beispiele.

Die Programme der EU tragen so komische Namen und Abkürzungen wie ELER oder ESWF Plaus, EMFAF oder EGFL, EFRE oder EIP Agri. Und sie finanzieren Projekte, die das Leben im Norden einfacher und besser machen. In der aktuellen Förderperiode fließen rund 825 Millionen Euro allein aus den Strukturfonds der EU (ESIF) nach Schleswig-Holstein.

Claus Ruhe Madsen ist seit knapp zwei Jahren Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein.
Claus Ruhe Madsen ist seit knapp zwei Jahren Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein. © dpa | Britta Pedersen

Für Claus Ruhe Madsen, den Dänen im Kieler Kabinett, „braucht es da keine große Mathematik, um zu erkennen, dass ohne diese Gelder ein großer Teil des finanziellen Anschubs für die Regional- und Wirtschaftsentwicklung im Land fehlen würde“, sagt der Kieler Wirtschafts- und Verkehrsminister.

EU-Milliarden: Wer in Hamburg und Schleswig-Holstein wie viel Geld bekommt

Mal finanziert die Europäische Union – mit Geld, das die Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, zuvor nach Brüssel überwiesen hatten – über ihre Programme Projekte zu 100 Prozent, mal müssen sich das Land oder der Bund an den Kosten beteiligen. Einer der Förderschwerpunkte ist die „Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen“.

In der Folge eröffnen in Schleswig-Holstein kleine Läden neu in Dörfern, die jahrelang abgehängt waren. ELER finanziert Jugendtreffpunkte, Gedenkstätten oder Dorfhäuser. Marode Wege und Straßen werden aus Brüssel mit der Begründung saniert, dass „ausgebaute ländliche Wege den Alltags-, Schul- und Arbeitsverkehr erleichtern und somit zur Verbesserung der Wohnstandortqualität beitragen. Außerdem stärken sie die Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe und unterstützen die Erschließung touristischer Entwicklungspotenziale.“

Das meiste Geld, das von der EU an Projekte in den Bundesländern geht, landet bei den Landwirten.
Das meiste Geld, das von der EU an Projekte in den Bundesländern geht, landet bei den Landwirten. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Mit ELER-Mitteln werden Systeme entwickelt und angeschafft, die in Touristenhochburgen die Besucherströme lenken und die Gäste mit den neuesten Nachrichten aus ihrem Urlaubsort versorgen. Mitte Mai erst wurden gut 800.000 Euro aus dem ELER-Projekt „Ländlicher Tourismus“ freigegeben, um in Wedel den Bau eines neuen Besucher- und Touristenzentrums am Schulauer Hafen zu kofinanzieren.

Die Geldgeber versprechen sich, das „touristische Potenzial Wedels“ damit weiterentwickeln zu können. „Insbesondere der Radtourismus wird durch die Herstellung eines Treffpunktes mit Besucherlenkungs- und Informationselementen nachhaltig gestärkt.“

Europaminister: Bedeutung der EU wird häufig unterschätzt

Werner Schwarz, der schleswig-holsteinische Europaminister, schwärmt vom Geldfluss aus Brüssel. „Es wird oft unterschätzt, wie wichtig Europa für Schleswig-Holstein ist und wie EU-Programme die Arbeit vor Ort, die ganz konkret vielen Menschen zugutekommt, unterstützen können“, sagt der CDU-Politiker. Viele Projekte, so Schwarz, wären ohne die Instrumente der EU, nicht machbar.

Für Hamburg ist der Europäische Sozialfonds (ESF) der wichtigste Geld-Topf. Grob umrissen sollen daraus die Beschäftigungschancen diverser Zielgruppen verbessert werden: die schwer vermittelbarer Jugendlicher, allererziehender Frauen, Geflüchteter, Geringqualifizierter, Langzeitarbeitsloser oder Menschen mit Behinderung. Finanziert werden Projekte, die die Inklusion fördern, den Zugang zu einem Job verbessern und die Menschen qualifizieren.

EU-Förderung: Wie Hamburg profitiert

Laut Senat finanziert der ESF in Hamburg 40 Prozent der Projektkosten. 55 Millionen Euro kommen von der EU, einschließlich der Kofinanzierung stehen in der laufenden Förderperiode also 137 Millionen zur Verfügung. Daraus wird der „Hamburger Weiterbildungsbonus“ finanziert, von dem vor allem gering Qualifizierte in kleinen und mittleren Unternehmen profitieren. 3,6 Millionen Euro der EU werden hier für konkrete Qualifizierungsmaßnahmen ausgeschüttet.

Das Projekt „Pro Exzellenzia“ richtet sich laut Senat an hochqualifizierte, meist akademische Frauen und bereitet sie auf die Übernahme von Führungspositionen vor. Für Stipendien und Qualifizierungsprogramme stehen jährlich rund 410.000 Euro zur Verfügung. 640.000 Euro gibt es für das Handwerkskammer-Projekt „Traumjob Handwerk“, das Gesellinnen gezielt auf ihrem Weg zur Meisterprüfung begleitet.

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285 Hamburger Landwirte kassierten vergangenes Jahr vier Millionen Euro Subventionen, Klimaschutz, ökologischen Landbau oder Flächenstilllegungen. Die EU entlastet den Hamburger Haushalt, indem sie 25 Millionen Euro für Küstenschutz-Maßnahmen überweist. In der laufenden Förderperiode kassiert Hamburg zudem 65 Millionen Euro zur Wirtschaftsförderung.

Damit finanzierte die Europäische Union den Neubau des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen im Harburger Binnenhafen. Hier wird erforscht, wie sich die „maritime Transportkette vom Schiff über die Häfen und Terminals bis ins Hinterland“ optimieren lässt, informiert der Senat. Er spricht von einem Thema, das „angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Hamburger Hafens eine besondere Relevanz für die Hansestadt hat“.

Entschädigungen für die Dorschfischer

Manchmal klingt es auch weniger kompliziert. Viele Millionen Euro gab es in der Summe beispielsweise für Ostseefischer, die den Dorschfang aufgeben mussten, für Arbeitsmarktprojekte der Türkischen Gemeinde in Schleswig-Holstein, für Alphabetisierungsprogramme der VHS Kiel, für Berufsvorbereitungsmaßnahmen in Dithmarschen, die Sanierung des Landesmuseums in Meldorf oder für Programme, mit denen Schüler landesweit mit Obst, Milch und Gemüse versorgt werden.

Mit diesem EU-Programm sollen Kinder für eine gesunde Ernährung möglichst aus lokalem Anbau sensibilisiert werden. Die Schulen, die an dem Programm mitmachen, bekommen an zwei Tagen die Woche für alle Schüler frisches Obst und/oder Gemüse sowie Trinkmilch geliefert. Die Kosten übernehmen EU und Land. Die Schulen, die mitmachen, verpflichten sich im Gegenzug, das Thema gesunde und lokale Ernährung im Unterricht zu behandeln.

Nutznießer der EU: die Bauern

Ein anderes Beispiel: In Henstedt-Ulzburg wurde mit EU-Geld ein digital abrufbares Mobilitäts- und Barrierekataster entwickelt. Das Modellprojekt soll im nächsten Schritt in andere Kommunen ausgerollt werden. Ziel ist, alle Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Die Bürger waren aufgerufen, Geschäfte, Verwaltungen, Unternehmen, Schulen oder Arztpraxen auf ihre barrierefreie Erreichbarkeit zu überprüfen. Die Ergebnisse wurden in eine Mitmach-Plattform übertragen. Jetzt sind im öffentlich zugänglichen Mobilitäts- und Barrierekataster alle erfassten Gebäude nach einem Ampelsystem kategorisiert.

Werner Schwarz ist seit knapp zwei Jahren der Europa- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.
Werner Schwarz ist seit knapp zwei Jahren der Europa- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. © dpa | Christian Charisius

„Die Förderung der regionalen Entwicklung und des ländlichen Raums sowie der Fischerei (durch die EU) sind aus unserem Land nicht mehr wegzudenken“, sagt der Kieler Europaminister Werner Schwarz. Gerade die Landwirtschaft profitiert von Geld aus Brüssel. So fließen pro Jahr 259 Millionen Euro als Unterstützung direkt an die schleswig-holsteinischen Bauern. Darüber gibt es rund 46 Millionen Euro für Investitionen und „flächenbezogene Maßnahmen“.

Aus dem bereits erwähnten Programm EIP Agri flossen zuletzt rund zwölf Millionen Euro an insgesamt 43 Projekte. Bezahlt wird beispielsweise eine Untersuchung zum Angler Sattelschwein, das auszusterben droht. Um das zu verhindern und die „die genetische Diversität“ zu erhalten, finanziert die EU die Untersuchung der „Perspektiven für eine wirtschaftliche Nutzung des Sattelschweins“. So sollen Betriebe überprüft werden, um herauszubekommen, wie robust die Tiere sind, welche Muttereigenschaften sie haben und welche Fütterungskonzepte die besten sind.

EU fördert Asyl- und Migrationspolitik

Getestet wird mit Geld der EU auch die „robotergestützte Unkrautregulierung im Praxistest“. Bauern, die auf Chemie auf ihrem Acker verzichten, müssen Unkraut händisch, zeitaufwendig und damit teuer entfernen. Hier setzt ein Modellprojekt in Dithmarschen an, bei dem Robotertechnik eingesetzt wird.

Geld gibt es aber nicht nur für Landwirtschaft, Arbeitsmarkt oder Tourismus, sondern auch für die Asyl- und Migrationspolitik. In Schleswig-Holstein werden derzeit zehn Projekte direkt von der EU und darüber hinaus 16 bundesweite Projekte gefördert, die das Bundesland einbeziehen. Aus dem Fonds AMIF fließen fast zehn Millionen Euro in den Norden. Davon profitiert das Diakonische Werk – neben anderen – gleich mehrfach. So kümmert sich die Diakonie um die „Weiterentwicklung der freiwilligen Rückkehrberatung“ und die „Erstorientierung sowie Beratung und Betreuung von neu ankommenden Geflüchteten“.

Die EU hat Schleswig-Holstein knapp zehn Millionen Euro zur Betreuung und Integration von Flüchtlingen überwiesen. Hinzu kommen die Zuschüsse, mit denen die Geflüchteten fit gemacht werden sollen für den Arbeitsmarkt.
Die EU hat Schleswig-Holstein knapp zehn Millionen Euro zur Betreuung und Integration von Flüchtlingen überwiesen. Hinzu kommen die Zuschüsse, mit denen die Geflüchteten fit gemacht werden sollen für den Arbeitsmarkt. © picture alliance / dpa | Daniel Bockwoldt

Für den schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister Claus Madsen, der neben der dänischen inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, ist klar, dass die ländlichen Regionen und die EU gleichermaßen vom Geldfluss profitieren: „Für mich als Demokraten ist es eine klare Rechnung, dass starke Regionen wichtige Garanten für den Erhalt von Wohlstand, Frieden und Freiheit sind. Und nur aus starken Regionen erwächst auch eine starke und demokratische EU.“