Itzehoe. Bluttat im Zug. Gericht stellt „besondere Schwere der Schuld“ fest. Ibrahim A. muss lebenslang in Haft. Die Politik muss noch liefern.
Es ist gut, dass es vorbei ist. Der Prozess um den Messerstecher von Brokstedt hat den Beteiligten alles bis zur Unmenschlichkeit abverlangt. Allen voran den Familien der beiden getöteten Teenager und den Angehörigen der Frau, die sich wenige Monate nach der Tat umgebracht hat, weil ihr jeglicher Lebensmut abhandengekommen war. Oder den schwerst verletzten Überlebenden, die vor Gericht auf ihren Peiniger trafen. Den Fahrgästen, die die Bluttaten mit ansehen mussten. Den Polizisten, Ärzten und Sanitätern, die versuchten, Leben zu retten, und ihre Erlebnisse vom Einsatzort als Zeugen en détail ausbreiten mussten. Oder der Staatsanwältin, den Rechtsbeiständen und nicht zuletzt dem Gericht selbst.
Die juristische Aufarbeitung hat die beinahe 100 Zeugen an den insgesamt 39 Prozesstagen immer wieder an ihre Grenzen gebracht. Die mussten qualvoll – gelöchert vom Gericht, um nur nichts zu übersehen – die Bluttat noch einmal durchleben und minuziös beschreiben. Während ihrer Aussagen wussten sie den Mann in zwei Meter Entfernung, der ihnen all das angetan hat: Ibrahim A.
Messerattacke von Brokstedt: Wie sich der Angeklagte verhielt
Mal legte der angeklagte Palästinenser desinteressiert den Kopf auf dem Tisch ab, mal fummelte er sich den Ohrstöpsel für die Simultanübersetzung heraus, mal wirkte er wie weggetreten – so, als ginge ihn das Leid nichts an, das die Zeugen in diesem Augenblick schilderten.
Auch wenn sonst die Gepflogenheit gilt, Urteile nicht zu kommentieren: Der Schuldspruch der Großen Strafkammer um Johann Lohmann ist klar und klug. Keine Unterbringung auf unbestimmte Zeit in einer psychiatrischen Anstalt, sondern lebenslange Haft, begleitet von der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das schließt eine frühzeitige Entlassung auf Bewährung nach 15 Jahren Haft nahezu aus. Natürlich kann nichts den Opfern und Angehörigen ihr altes Leben zurückbringen, ihre Unbeschwertheit, ihre Lebenslust. Vermutlich ist es zumindest Genugtuung, die sie nach dem Urteil gegen Ibrahim A. empfinden.
Richter im Brokstedt-Prozess: „außergewöhnlich erschütternde Tat“
Der Vorsitzende Richter sprach von einer „außergewöhnlich erschütternden Tat“ und von einem Angeklagten, der großes Leid über mehrere Menschen gebracht habe. Dieses „mehrere“ ist eher untertrieben. Der heute 34 Jahre alte Palästinenser, der schon lange vor der Tat von Brokstedt sein Gastrecht verwirkt hatte, hat zwei Teenager heimtückisch getötet und in Mordlust auf jeden eingestochen, der sich nicht schnell genug in der Regionalbahn in Sicherheit bringen konnte. Vor Gericht schilderten A.s Opfer, wie sie heute noch unter ihren Verletzungen und Beobachtungen leiden. Dass sie sich nicht mehr trauen, Bahn zu fahren. Dass sie ihren Job wechseln mussten. Dass sie lebenslang Narben an Körper und Seele davontragen.
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Die juristische Aufarbeitung des Falls ist gelungen. Die politische ist es noch nicht. Zwar haben Hamburg und Schleswig-Holstein schnell erste Konsequenzen aus dem eklatanten Behördenversagen auf Landes- und Bundesebene gezogen. So wurde das Personal in Zügen aufgestockt, die Videoüberwachung ausgebaut, über Bundesratsinitiativen eine bessere Behördenverzahnung angestoßen. Aber viele der Vorstöße hängen immer noch in der Bundes- und Länderabstimmung fest. Und in den Ausländerbehörden fehlt weiterhin ausreichend Personal. Ein Fall wie der von Brokstedt ist nicht restlos zu verhindern. Aber es ist die Verantwortung der Politik, das Risiko von Taten wie der von Ibrahim A. zu minimieren.