Itzehoe/Brokstedt. Fahrgast schildert Messerangriff auf Frau. Angeklagter will Opfer nicht so zugerichtet haben. Was Polizisten vor Gericht aussagen.
Es ist die Kapuze, die der Frau zum Verhängnis wird. Die Kapuze der Winterjacke mit dem Fellkragen. An der bekommt der Mann die fliehende Frau dann doch noch mit seiner rechten Hand zu packen, um dann mit dem Fleischmesser in der Linken zuzustechen. Ruhig und gefasst spricht Peter S. (Name geändert) von diesen Bildern, die sich ihm als Zeugen der Bluttat eingebrannt haben, und von den „markerschütternden Schreien der Frau“.
Der 30 Jahre alte Uhrmacher aus Altona spricht zugleich über die Angst, die bei ihm bei jeder späteren Zugfahrt erst einmal mitfuhr. Wie er zusammenzuckte, sich umguckte, bloß wenn ein paar Menschen den Wagen heruntergekommen sind. Peter S. ist einer der Fahrgäste aus dem Zug RE 70 von Kiel nach Hamburg, in dem am 25. Januar ein damals 33 Jahre alter Mann anscheinend wahllos auf Passagiere eingestochen haben soll.
Messerattacke von Brokstedt hat bundesweites Entsetzen ausgelöst
Bei der „Messerattacke von Brokstedt“ oder „Bluttat in der Regionalbahn“, die bundesweit Entsetzen und Fassungslosigkeit ausgelöst hatte, starben zwei junge Menschen, vier weitere wurde schwer verletzt. Eines der verletzten Opfer nahm sich erst vor Kurzem das Leben, andere dürften ein Leben lang gezeichnet sein von den Messerangriffen. Ibrahim A. muss sich seit Anfang des Monats vor dem Landgericht Itzehoe für die Taten verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zweifachen Mord und vierfachen versuchten Mord vor – aus niedrigen Beweggründen und in Heimtücke.
Ein halbes Jahr liegt die Tat inzwischen zurück. Die Zugfahrten zuletzt hätten sich wieder „normalisiert“, erzählt Peter S. Und dass er wieder „zu sich gefunden habe“. Geholfen hat dem Hamburger Uhrmacher dabei auch der Kontakt zu anderen Fahrgästen. Man haben zusammen in Brokstedt Kerzen aufgestellt und der Opfer gedacht, erzählt er vor Gericht. Jetzt, wo Peter S. als Zeuge geladen ist, ist das Geschehene sofort wieder präsent. Im Detail, ruhig und gefasst berichtet er von „markerschütternden Schreien einer Frau“, die durch den Wagen hallten. Zunächst habe er die „panischen Schreie“ gehört, dann erst die blonde Frau gesehen, die die Treppen aus dem Obergeschoss in den unteren Teil des Wagens stürzte. Verfolgt von einem Mann in blauem T-Shirt, mit „Ziegenbart und dunklem Haar“.
Messerattacke von Brokstedt: Helfen oder fliehen?
Mit rechts habe er sein Opfer dann doch noch zu fassen bekommen, mit links dann auf sie eingestochen, erzählt der Fahrgast. Nicht einmal einen Meter von ihm entfernt sieht er die Frau fallen. „Sie lag auf dem Rücken und blickte nach oben“, sagt Peter S. Kurz habe er gezögert. Die Frage lautete: „Soll ich helfen oder mein eigenes Leben retten“, erinnert sich Peter S. Was er nicht sagt, ist wie furchtbar es gewesen sein muss, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Schließlich war der Instinkt schneller als der Gedanke, so drückt es der Augenzeuge aus.
Der Mann aus Altona flüchtet aus dem Zug, rettete sich hinaus aufs Bahngleis in Sicherheit. Vor Gericht erinnert er sich an den „gleichgültigen Gesichtsausdruck des Täters, den er auf der Flucht raus aus dem Wagen noch wahrnimmt. Ibrahim A. 2014 nach Deutschland eingereist und seither immer wieder straffällig aber wegen Behördenfehlern weiter mit einer Fiktionsbescheinigung ausgestattet und damit geduldet, scheint das nicht hören zu wollen. Er spielt mit dem Empfangsteil seiner Simultanübersetzung, als wolle er nicht verstehen, was S. da aussagt, er starrt ins Leere, verbirgt das Gesicht hinter den Händen, knabbert an den Fingern.
Messerattacke: Angeklagter will das nicht gewesen sein
Später im Prozess, als Fotos der Leichen der 17-jährigen Ann-Marie und des 19-jährigen Danny, der vergeblich noch versuchte, seine Freundin zu retten, auf Monitoren gezeigt werden, jammert der Angeklagte, es sei „unmöglich“ dass er das getan habe, dass er sie nicht getötet habe, behauptet er, und dass es „ganz schlimm sei, wirklich eine Schande, was man mit der Frau gemacht habe“, sagt der Mann im grünen Overall, gefesselt an Händen und Füßen, eingerahmt von Wachleuten der „Mobilen Einsatzgruppe“ der Justiz wie schon beim Prozessauftakt.
Bei dem hatte Ibrahim A. zwar eingestanden, in dem Zug gesessen zu haben, aber mit der Tat will er nichts zu tun haben. A.s Anwalt heißt Björn Seelbach. Der verteidigt den staatenlosen Palästinenser seit Jahren in Straf-, Miet- oder Familienrechtsangelegenheiten. In einer Presserunde im Anschluss an den ersten Prozesstag hatte Seelbach von früheren Gesprächen mit A. erzählt – zuletzt habe man nicht mehr miteinander gesprochen. Diese Gespräche führten Anwalt und Mandant im Februar und März, also wenige Wochen nach der Tat. Zu der Zeit habe sein A. noch gesagt, dass ihm das „Geschehene schrecklich leidtut“, sagte Seelbach vor zwölf Tagen.
Messerattacke: Hat Ibrahim A. nach weiteren Opfern Ausschau gehalten?
Mutmaßlicher Täter Zurück zu Peter S. Auf dem Bahnsteig habe er „geschaut, wo er helfen konnte“. Einen Mann hat er hier gesehen, dem das Blut aus dem Hals spritzte. Mit einem Winterschal versuchten Fahrgäste die Blutung zu stoppen. Man half sich auf dem tristen Bahnsteig an diesem kalten Januartag. War für einander da, kümmerte sich um einander. Und man sah, wie Ibrahim A. mit dem Messer auf den Bahnsteig trat. Es wirkte so, als hielt er Ausschau nach weiteren Opfern, erzählt der Augenzeuge. „Er wirkte ruhig dabei, hat sich umgeschaut“, erinnert sich Peter S. an den Mann in dem Blut beschmierten T-Shirt.
Statt weiter auf den Bahnsteig zu treten, zieht es A. zurück in den Zug. Hier überwältigt ein Fahrgast den Messergreifer schließlich, schlägt ihm die Waffe, die der Angreifer kurz zuvor in einem Kieler Supermarkt gestohlen hatte, aus der Hand, treibt ihn offensichtlich auf den Bahnsteig. Ein weiterer Fahrgast hilft dem mutigen Mann dort. Und damit scheint der Spuk von einem Moment auf den anderen zu enden.
Ob Ibrahim A. dann neben dem Zug hockt, kniet oder sitzt, da sind sich mehrere Zeugen, die von einem „Chaos vor Ort“ berichteten, nicht ganz so sicher. Fakt ist: Der Angreifer wehrt sich nicht, starrt in die regungslos in die Leere. Noch nicht einmal Handschellen müssen ihm die herbeigeeilten Polizisten anlegen. Wie lange das noch dauere, fragt Ibrahim A. eine Polizistin, die ihn bewacht. Dass er Durst habe, sagt er, und dass doch „nichts passiert ist“.
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Es sind neben dem Hamburger Uhrmacher Einsatzkräfte, die an diesem Mittwoch vor dem Landgericht in Itzehoe aussagen. Einsatzkräfte wie ein 24-Jahre alter Polizist in Ausbildung. Für ihn war dieser 25. Januar mit seinen traumatischen Ereignissen der erst dritte Tag in der praktischen Ausbildung. Um das, was sich dem jungen Mann dort auftat überhaupt verarbeiten zu können, musste er „im Nachhinein eine Menge ausblenden“, sagt der angehende Polizist vor Gericht.
Der Prozess wird am Freitag mit der Aussage weiterer Zeugen fortgesetzt.