Brokstedt. Bei der Messerattacke in der Bahn starben zwei junge Fahrgäste. Vater der Toten lobt Einsatzkräfte, Günther erinnert an Bluttat.

Anfang dieser Woche, als sie den Gedenkstein mit der Tafel, die an Ann-Marie und Danny erinnert, aufgestellt haben, konnten sie für sich trauern. Die beiden Familien konnten sich am Bahnhof von Brokstedt in Ruhe erinnern an die 17 Jahre mit Ann-Marie und die 19 mit Danny. An diesem Donnerstag war alles anders an dem Ort, der vor einem Jahr zum Tatort geworden war.

Schleswig-holsteinische Ministerinnen waren mit ihrem Regierungschef Daniel Günther gekommen, Staatsräte aus Hamburg, Abgeordnete aus Berlin und Kiel, Pastoren aus der Nordkirche, Vertreter der Bahn. Und natürlich auch die Familien und Freunde von Ann-Marie und Danny. Sie waren gekommen, um gemeinsam um das ermordete Teenagerpaar zu trauern, in aller Stille in der Brokstedter Kirche zu beten und vor ihr öffentlich an die Opfer zu erinnern.

Opfer wurden durch den Messerangriff lebenslang entstellt

Der damals 33 Jahre alte Ibrahim A. hatte am 25. Januar 2023 – nur wenige Tage nach seiner Haftentlassung in Hamburg – in der Regionalbahn von Kiel nach Hamburg in Höhe des Brokstedter Bahnhofs wahl- und grundlos und wie von Sinnen auf sechs Fahrgäste eingestochen. Ann-Marie und ihr Freund Danny starben noch in der Bahn, vier weitere Fahrgäste wurden lebensgefährlich verletzt und zum Teil lebenslang durch die Wunden entstellt. Eines der Opfer nahm sich Monate nach der Tat das Leben. Der Messerangriff hatte nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern weit darüber hinaus für Entsetzen und Fassungslosigkeit gesorgt..

Vater eines Opfers der Messerattacke dankte Helfern

Michael Kyrath ist der Vater der getöteten Ann-Marie. Er verarbeitet seine Trauer nicht im Stillen. Michael Kyrath ist zu einer öffentlichen Person geworden, tritt im Fernsehen auf, spricht mit Medien wie auch dem Abendblatt, trifft Politiker. Ihm ist es wichtig, auf die vielen Behördenfehler im Umgang mit Ibrahim A. hinzuweisen. „Diese Fehler müssen abgestellt werden und dürfen sich nicht wiederholen“, sagte Kyrath dem Abendblatt.

Am Donnerstagabend machte sich Michael Kyrath als einer der Redner vor der Brokstedter Kirche einen Ausspruch des Schriftstellers Berthold Auerbach zu eigen. Der lautet: „Kein Schmerz gleicht dem um ein im Leben verlorenes Kind!“ „Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass wir als Familien von Ann-Marie und Danny diese Aussage bestätigen können“, sagte Kyrath.

Die Bluttat löste bundesweites Entsetzen aus

Zwölf Monate seien seit der Tat vergangen, „in denen wir hart kämpfen mussten und in denen jeder einzelne Tag uns vor die Herausforderung stellte, Perspektiven zu finden und positiv in die Zukunft zu schauen“, sagte Kyrath. Nicht ein Tag sei vergangen, an dem die Familien nicht auch an die anderen Opfer gedacht hätten: an die schwer verletzten Menschen, an die Augenzeugen, an die Helfer und Rettungskräfte. Den Einsatzkräften gelte die Anerkennung der Familien von Ann-Marie und Danny. Kyrath dankte zudem Ministerpräsident Daniel Günther und Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack. „Sie waren sofort zur Stelle haben und haben uns als Familien in jeder Form unterstützt.“

„Wir stehen heute zusammen, um der Opfer zu gedenken und Trost und Verbundenheit in der Gemeinschaft zu finden. Wir denken heute auch an die körperlich und seelisch Verletzten, die Betroffene und Zeugen dieser Gewalttat wurden. Wir erinnern an den Mut der Mitreisenden, die den Täter schließlich überwältigt haben“, sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der in Brokstedt einen Kranz niederlegte. Er sprach von der „Pflicht, aus diesem schrecklichen Ereignis zu lernen.“ Der schmerzhafte Lernprozess sei auch nach einem Jahr nicht abgeschlossen.

Die Landesregierung habe gemeinsam mit Hamburg gleich nach dem Verbrechen Konsequenzen gezogen und Maßnahmen auf den Weg gebracht, damit sich eine solche Tat möglichst nicht wiederhole, so Günther. Dazu zählen Initiativen für Waffenverbote in Zügen, eine verstärkte Videoüberwachung oder ein besserer Datenaustausch von Behörden. „Wir wollen die Menschen möglichst gut vor einer solchen Tat schützen und unsere Gesellschaft sicherer machen“, so Günther.

Bürgermeister Clemens Preine lobt den Opferschutz

Clemens Preine, der Bürgermeister der 2000-Einwohner-Gemeinde, erinnerte an die Verkettung von Behördenfehlern, die der Attacke mit einem Küchenmesser vorausgegangen waren. „Wir wissen heute, dass fehlende Absprachen zwischen den Behörden die Tat begünstigt haben. Die Frage: was hat sich verändert, was wurde getan, damit sich so etwas nicht wiederholt, muss gestattet sein. Vermehrte Polizeipräsenz und Kontrollen an den Bahnhöfen, Videoüberwachung und ein Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rückführung sind erste Schritte“, sagte Preine. Nur: „Deren Wirkung ist für uns noch nicht sichtbar.“ Preine forderte ein konsequentes Vorgehen gegen straffällig gewordene Migranten, die wie Ibrahim A. ihr Bleiberecht verwirkt hätten.

Für Clemens Preine ist nach der Tat aber auch „etwas Großes entstanden. Jugendliche und Freunde treffen sich. Sie reden und spielen miteinander und verarbeiten auf diese Weise das Geschehene. Der Opferschutz hat hervorragend funktioniert“, dankte der Bürgermeister allen, die geholfen hätten, „in Brokstedt wieder halbwegs Normalität einkehren zu lassen“.

Ibrahim A. muss sich seit Sommer vor dem Landgericht Itzehoe verantworten

Die Tat hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht – wegen ihrer Brutalität, wegen des Tatortes und wegen ihrer Vorgeschichte. Seit 2014 hält sich Ibrahim A. in Deutschland auf. Immer wieder wurde er zu einem Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft – aber nicht für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Egal, was der staatenlose Palästinenser auch tat, seine Fiktionsbescheinigung wurde verlängert.

Mehr zum Thema

Der Mann muss sich seit Sommer vor dem Landgericht Itzehoe verantworten. Die Anklage lautet auf zweifachen Mord und vierfachen versuchten Mord. Der Prozess wird sich bis ins Frühjahr ziehen. Am Ende wird es darum gehen, ob Ibrahim A. als Doppelmörder lebenslang in Haft muss – oder ob das Gericht ihn für den Zeitpunkt der Tat als unzurechnungsfähig erklärt und er deshalb im Maßregelvollzug landet.