Schlüttsiel. Landwirte hindern Robert Habeck am Verlassen des Schiffs. Reederei-Chef schildert bedrohliche Szenen. Das sagt der Bauernverband.
Mehr als eine Woche, nachdem Dutzende aufgebrachte Landwirte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Verlassen einer Fähre am Anleger von Schlüttsiel an der Nordseeküste gehindert haben, sucht die Polizei nun Zeugen und Passagiere eben jenes Schiffs. „Durch die hohe Anzahl der Teilnehmer und Fahrzeuge kam es auf den Straßen um Schlüttsiel zu erheblichen Verkehrsbehinderungen“, teilte die Polizei Flensburg am Freitag mit.
Wer mit einem Wagen auf der Fähre war, saß dort zunächst fest. Passagiere, die ohne Fahrzeug unterwegs waren, konnten dagegen vor dem Ablegen von Bord gehen. „Für das laufende Ermittlungsverfahren sucht die Polizei diese Passagiere und andere Hinweisgeber, welche die Fähre in der besagten Zeit verlassen haben“, heißt es weiter. Sie sollen sich bei der Polizei unter der Rufnummer 0461-4840 melden.
Robert Habeck (Grüne) von Landwirten an der Nordsee blockiert
Schätzungweise 300 Menschen, überwiegend Landwirte, waren am Donnerstag, dem 4. Januar, zum Fähranleger gekommen und haben laut Polizei „überwiegend friedlich“ demonstriert. Der Protest der Bauern richtet sich gegen die Sparpläne der Bundesregierung und die geplante Erhöhung des Preises von Agrardiesel, die dieser Tage im ganzen Land zu Trecker-Demonstrationen führen.
„Unter den friedlichen Teilnehmern befanden sich ca. 25 bis 30 Personen, die die Versammlung nutzten, um zu stören“, schildert die Polizei Flensburg weiter. Die Störer hätten versucht, einen Pulk aus Demonstranten in Richtung Fähre zu drücken. Die Polizei habe dem Druck im Gedränge entgegengewirkt, auch Pfefferspray sei zum Einsatz gekommen.
Schließlich versuchte der Mob, selbst an Bord des Schiffs zu gelangen. So kam es zu teils bedrohlichen Szenen. Habeck habe sich dann dazu entschieden, auf der Fähre zu bleiben und zurück nach Hallig Hooge zu fahren. Erst in der Nacht sei die Fähre wieder Richtung Schlüttsiel aufgebrochen, wo sie dann anlegen konnte. Der Grünen-Politiker sei gegen 2.30 Uhr unversehrt an seinem Wohnsitz in Flensburg angekommen.
Habeck-Fähre in Schlüttsiel blockiert: Kritik an Aktion von Landwirten
Am Tag nach dem Vorfall zeigte Habeck sich besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland. „Was mir Gedanken, ja, Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, erklärte der Vizekanzler am Freitag. Protestieren in Deutschland sei „ein hohes Gut“. Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. „In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten“, forderte Habeck.
„Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen“, erklärte Habeck laut seinem Ministerium weiter. Sie seien „die Helden und Heldinnen der Demokratie“.
Katharina Fegebank: „Eine Protestkultur zum Abgewöhnen“
Kritik an der Protestaktion kam auch von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne): „In der Politik können wir mit harter Kritik umgehen. Dass Robert Habeck allerdings auf diese Weise angegangen wurde, überschreitet eine rote Linie“, sagte sie laut einer Mitteilung des Hamburger Senats.
„Das ist eine Protestkultur zum Abgewöhnen, die ich aufs Schärfste verurteile. Bei allen Herausforderungen, vor denen wir gerade gemeinsam stehen, sollten wir nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren“, sagte Fegebank demnach. „Wer meint, er kann seine Interessen auf diese Weise durchsetzen, hat das Wesen der Demokratie nicht verstanden.“
Protest gegen Habeck: Bundespräsident Steinmeier zeigt sich erschüttert
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich ebenfalls erschüttert über die Blockadeaktion. „Zu sehen, wie ein Minister auf einer privaten Reise von einer aggressiven Menschenmenge eingeschüchtert wird und sich nach Bedrohungen in Sicherheit begeben musste, hat viele in unserem Land schockiert, auch mich“, sagte Steinmeier der „Bild“-Zeitung. „Das dürfen wir nicht hinnehmen“, forderte der Bundespräsident.
Die Landwirte forderte er auf, friedlich zu demonstrieren und dabei die Gesetze einzuhalten. „Demonstrationen gehören zur Demokratie. Kritik an der Regierung ist legitim. Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten jedoch die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist“, sagte der Präsident. „Wer so handelt, verletzt die Grundregeln unserer Demokratie und schadet damit seiner eigenen Sache“, betonte er.
Schleswig-Holsteins Bauernverband verurteilt Aktion gegen Habeck
Derweil distanzierte sich Schleswig-Holsteins Bauernverband von der Blockadeaktion gegen Habeck und verurteilte das Vorgehen. „Wir haben bereits im Vorwege unserer Aktionen klargemacht, dass wir keine Blockadeaktionen planen und unterstützen und Rechtsbrüche und Aufrufe dazu klar ablehnen“, sagte Präsident Klaus-Peter Lucht.
„Das Bedrängen und Bedrohen von Politikern untergräbt den demokratischen Diskurs und hilft uns bei der Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen nicht.“ Gewalt dürfe kein Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein. Lucht appellierte an die Landwirte im Norden: „Für die in der nächsten Woche geplanten Aktionen rufe ich alle Berufskolleginnen und Berufskollegen zu Besonnenheit und Rücksichtnahme auf.“
Fähre von Habeck blockiert: Aufruf auf Telegram und Co.
Zu der Konfrontation zwischen Habeck und den Landwirten war es im Vorfeld der Demonstrationen von Landwirten in ganz Norddeutschland gekommen. Habeck befand sich auf der Fähre nach Schlüttsiel, als Bauern von seiner Reise erfuhren und sich in Richtung Hafen aufmachten. Der Aufruf dazu war zuvor in diversen sozialen Medien verbreitet worden.
Wie der Journalist Lars Wienand zuerst berichtete, hieß es in der Telegram-Gruppe „SH-Bauern&Verbraucher geeint“ fälschlicherweise, Habeck habe zu einem Treffen eingeladen: „Achtung!! Robert Harbeck (sic) lädt heute zum Bürgerdialog um 16.45 Uhr im Fährhafen Schlüttsiel ein! Er wünscht sich unendlich viel Interesse. Tun wir ihm den Gefallen und kommen mit allem, was Räder hat!“
Etwa 80 landwirtschaftliche Fahrzeuge seien dann laut Polizei zum Fähranleger gefahren. Bis zu 300 Menschen haben sich schließlich dort eingefunden, um gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Damit blockierten die Demonstranten nicht nur den Anleger in Schlüttsiel, sondern auch sämtliche Zufahrtsstraßen ins benachbarte Dagebüll. Die Polizei Flensburg war mit 30 Einsatzkräften vor Ort, um den Vizekanzler zu schützen.
Gemeinde schaltete vor Habeck-Blockade die Polizei ein
„Es kann ja nicht sein, dass du jemanden daran hinderst, dass er die Fähre verlässt. Das ist ja schon Nötigung“, sagte Matthias Feddersen, Bürgermeister der Gemeinde Ockholm. Er habe am Donnerstag davon erfahren, dass sich Habeck angeblich mit Bauern treffen wolle. Es sei von vornherein klar gewesen, dass es sich dabei um Fake News handele, sagte Feddersen. Das Ordnungsamt habe letztlich geraten, die Polizei zu informieren. „Man kann ihn ja nicht ins offene Messer laufen lassen.“
Er selbst sei nicht am Ort gewesen, sagte Feddersen. Zwar könne er verstehen, dass die Landwirte aufgebracht seien. „Aber so, wie sie es gemacht haben: Das war eine Spur zu hart. Ganz klar.“
Schlüttsiel: Landwirte wollten nur an Land mit Habeck sprechen
Als die Fähre gegen 17 Uhr Schlüttsiel erreichte, sei die Lage angespannt gewesen, berichtete die Polizei weiter. Habeck habe trotz Abratens seiner Personenschützer versucht, das Gespräch mit den Landwirten zu suchen. Ein sachliches Gespräch sei jedoch nicht möglich gewesen.
Die Landwirte wollten sich offenbar auf den Kompromiss, dass drei von ihnen an Bord mit Habeck sprechen dürften, nicht einlassen und forderten stattdessen, der Bundeswirtschaftsminister möge mit ihnen per Megafon oder direkt an Land über die geplante Erhöhung des Preises von Agrardiesel sprechen.
„Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte“, sagte Habeck. Als die Fähre gerade wieder ablegen wollte, kam es zur Eskalation. Aus der Versammlung heraus versuchten gut 30 Menschen, auf die Fähre zu gelangen. Einsatzkräfte hielten sie zurück.
Demonstranten wollten Fähre stürmen: Fast war der Mob an Bord
Dass die Demonstranten es nicht auf die Fähre schafften, habe auch der Kapitän verhindert, indem er im letzten Moment wieder ablegte, sagte der Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, Axel Meynköhn. Neben Habeck seien gut 30 weitere Fahrgäste, die von den Halligen kamen, am Verlassen der Fähre gehindert worden. Ein Lastwagenfahrer sei genötigt worden, von der Rampe rückwärts wieder auf die Fähre zu fahren. „Das ist aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang“, sagte Meynköhn. Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können.
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Der Kapitän habe mit den Personenschützern an Bord und nach Rücksprache mit der Polizei an Land entschieden, wieder abzulegen. „Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen.“ Er wisse von der Besatzung, dass Leute noch rübergesprungen wären, wenn das Schiff nicht bereits zu weit weg gewesen wäre, sagte der Geschäftsführer. „Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.“
Reederei über Habeck-Blockade: „So einen Fall hat es noch nicht gegeben“
Schließlich sei die Fähre dann mit allen Passagieren an Bord zunächst zur Hallig Hooge zurückgefahren. Es gehe hier nicht mehr nur um Robert Habeck, der privat auf Hooge war, es gehe um die Gesamtheit des Schiffes, seiner Passagiere und seiner Besatzung, betonte Meynköhn. „Hier ist ganz klar genötigt worden. So einen Vorfall hat es nach unserem Kenntnisstand in der fast 140-jährigen Geschichte der Reederei noch nicht gegeben.“
Nach Ablegen der Fähre habe sich die Lage dann wieder beruhigt. „Die Versammlung löste sich gegen 19 Uhr auf“, schilderte die Polizei. Habeck bedankte sich bei Mitreisenden, der Crew und den Einsatzkräften der Polizei. Festnahmen gab es bislang nicht.