Henstedt-Ulzburg. Walter Wagenhuber ist ein Gewinner des Klimawandels. Warum seine Mobildeiche europaweit in Hochwassergebieten gefragt sind.
Die Lage ist nach wie vor angespannt: Alarmstufe Rot in 49 Kreisen. Das Hochwasser bedroht Ortschaften. Hilfe könnte aus Henstedt-Ulzburg kommen. Auf dem Gelände des früheren Betonsteinwerks Wagenhuber werden Mobildeiche produziert, die europaweit überall dort eingesetzt werden, wo Hochwasser die Menschen bedroht.
Die Stadtverwaltung in Braunschweig hat weitsichtig gehandelt: Dort lagert schon seit etwa zehn Jahren ein mobiler Deich aus Henstedt-Ulzburg. Jetzt könnte er erstmals zum Einsatz kommen. Denn in der Stadt drohten in den vergangen Tagen Überflutungen, weil die vollgelaufene Okertalsperre besonders viel Wasser in die durch die Stadt fließende Oker abgab. Die Deiche wurden vorsorglich aufgebaut.
Mobildeiche – Hochwasserschutz aus Henstedt-Ulzburg
So wie in Braunschweig wird es auch in anderen Orten gehandhabt. Und Walter Wagenhuber verfolgt die Nachrichten aus den Hochwassergebieten sehr genau – denn er hat aus den Katastrophenfällen der vergangenen Jahre gelernt: „Die Krisenstäbe fragen oft erst sehr spät nach.“
In den meisten betroffenen Ortschaften wird das Hochwasser allerdings nach herkömmlichen Methoden bekämpft: Mit Sandsäcken, die in mühevoller Arbeit in die gefährdeten Gebiete gebracht werden müssen und letztlich oftmals doch nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Wolfenbüttel und Alfeld an der Leine haben sich ebenfalls mit Mobildeichen aus Henstedt-Ulzburg versorgt. Der Deich in Wolfenbüttel ist bis jetzt schon viermal im Einsatz gewesen und hat sich dabei bewährt.
„Wir haben den Mobildeich erstmals 2017 ausgerollt“, sagt Nadine Gutzeit, Sprecherin der Stadt Wolfenbüttel. „Aktuell wurde er an der Stelle eingesetzt, wo die Oker über das Ufer getreten ist; der Deich hat gehalten.“ Die Stadt Wolfenbüttel sei mit dem mobilen Deich aus Henstedt-Ulzburg sehr zufrieden.
Bei Naturkatastrophen steigen die Umsätze des Unternehmens
So makaber es auch erscheinen mag: Kommt es irgendwo in Europa zu Naturkatastrophen und Menschen werden von Hochwasser bedroht, steigen die Umsätze der Mobildeich GmbH. Besonders in jüngster Vergangenheit musste die Produktion ausgeweitet werden. „Seit zwei Jahren hat sich unser Umsatz vervierfacht“, sagt Diplom-Ingenieur Walter Wagenhuber (60), der das Unternehmen vor 20 Jahren gegründet hat. 40 bis 50 Kilometer Mobildeiche hat er bisher verkauft, pro Monat werden 500 bis 1000 Meter produziert. Aber nach Einschätzungen des Unternehmenschefs könnten es noch mehr sein, wenn Kommunalverwaltungen und Katastrophenschutzeinrichtungen schneller reagieren würden.
Vor allem das Hochwasser im Ahrtal hat offenbar viele Ortspolitiker und Katastrophenverbände darauf aufmerksam gemacht, dass etwas getan werden muss. Prophylaktischer Hochwasserschutz war in vielen Gebieten, die bisher nicht von Wassermassen bedroht waren, lange Zeit kein Thema, nach den Naturkatastrophen der vergangenen Jahre rückt dieser Aspekt der Vorsorge allerdings immer mehr in den Vordergrund. Walter Wagenhuber: „Seit der Katastrophe im Ahrtal wächst in vielen Kommunen die Bereitschaft, Geld dafür auszugeben.“
Jedes Jahr werden 15 Deichcontainer in die Schweiz geliefert
Die Schweizer sind weitsichtiger und haben vorgesorgt: Seit 2019 wurden jedes Jahr 15 Mobildeich-Hochwasserschutz-Container gekauft und diese den zusammen mit der Uni Basel ermittelten, stark gefährdeten Gebieten zur Verfügung gestellt.
So funktioniert der Mobildeich: Die Flut steigt, der Mobildeich wird direkt in das ansteigende Hochwasser gerollt. Ein Helfer positioniert die Tauchpumpe im Wasser. Der erste Schlauch wird an die Tauchpumpe angeschlossen und mit Wasser befüllt. Nach 20 Minuten wird das ansteigende Flutwasser bereits gestaut. Eine zusätzlich ausgelegte Dichtungsplane unter dem Deich verhindert bei unbefestigten Flächen Unterspülungen.
Eine Person kann den Deich alleine in wenigen Minuten ausrollen
Wenn nach 60 Minuten auch der dritte Schlauch mit Wasser gefüllt ist, wiegt der Deich 120 Tonnen und ist bis zu 2,60 Meter hoch. Weil der Deich in der Regel auf bestehende Deiche gelegt wird, reicht er auch für höchste Wasserstände. Das Material ist gegen alle Widrigkeiten beständig. Der 100-fache Auf- und Abbau wurde an der Technischen Universität Harburg bereits vor zehn Jahren erfolgreich getestet. Untersucht wurden auch Treibgutanprall, Volleinstau, sichere Überströmung, Seitenströmung, Vandalismus und Notreparatur im Einsatz.
Im Notfall könnte auch eine Person alleine ein Deichmodul ausrollen und aufbauen. „Und zwar ganz entspannt innerhalb kurzer Zeit“, sagt Vertriebsleiterin Stephanie Kock. „Schneller geht es natürlich, wenn sich ein Team von vier bis sechs Personen an die Arbeit macht.“
Mobildeiche sind kostengünstiger und nachhaltiger als Sandsäche
Wer in Henstedt-Ulzburg einen Mobildeich bestellt, wird vom Unternehmen Mobildeiche GmbH nicht alleine gelassen. Bei der Übergabe wird mit den Kunden vor Ort eine Übung veranstaltet, die alle fünf Jahre wiederholt wird. „Das kann nicht schaden“, sagt Walter Wagenhuber, „dann sind alle Einsatzkräfte gut für den Ernstfall vorbereitet.“
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Er macht diese Rechnung auf: Ein Quadratmeter Sandsackwall kostet mit der gesamten Logistik und der Entsorgung der kontaminierten Sandsäcke 600 bis 800 Euro und ist eine Einmalverwendung. „Das Mobildeich-System ist im Vergleich günstiger, nachhaltiger und rechnet sich bereits beim ersten Einsatz.“ Ein laufender Meter Mobildeich wird nach Höhe berechnet: Der Einstiegspreis liegt bei 480 Euro pro Meter. Außerdem kann der Deich über Jahre immer wieder genutzt werden.
Das Material für die Deiche stammt aus England
Nicht nur bei Hochwasser und sonstigen Überflutungen können die Deiche aus Henstedt-Ulzburg eingesetzt werden. Auch auf Baustellen, die vom Wasser freigehalten werden müssen, finden sie Verwendung.
Das Material für die Deiche stammt aus England und besteht aus PVC-beschichtetem Polyestergewebe, das vergleichbar mit Lkw-Planen ist, allerdings doppelt so dick und mit vierfacher Reißkraft. Auf dem Gelände des ehemaligen Betonsteinwerks an der Norderstedter Straße/Schleswig-Holstein-Straße wird das angelieferte Material von zehn Produktionsmitarbeitern zusammengesetzt.
Weil das Wagenhuber-Gelände in Henstedt-Rhen demnächst bebaut werden soll – so sehen es zumindest die Pläne der Gemeinde Henstedt-Ulzburg vor –, will Walter Wagenhuber seine Produktion voraussichtlich nach Kaltenkirchen verlegen.