Norderstedt. Weitere Startpunkte in Bad Bramstedt und bei Bad Segeberg: Hunderte Landwirte fahren durch Städte und Gemeinden. Alle Hintergründe.

Es könnte ein Protesttag werden, wie ihn der Kreis Segeberg so noch nicht erlebt hat. Denn die Landwirte aus der Region schließen sich am Montag, 8. Januar, wie vermutlich bundesweit viele Tausend Berufskolleginnen und -kollegen dem Aufruf des Deutschen Bauernverbandes an, ihren Ärger über die Politik der Bundesregierung, die Streichung von Agrarsubventionen und höhere Treibstoffpreise auf die Straße zu bringen.

Und das bedeutet konkret: Ab 9 Uhr werden von drei markanten Startpunkten aus – in Norderstedt, Bad Bramstedt und Fahrenkrug bei Bad Segeberg – riesige Konvois auf den Bundesstraßen quer durch das Umland über die B4, B206 und B432 rollen, durch Städte und Dörfer.

Großer Bauernprotest am Montag: Trecker-Konvoi auch ab Norderstedt

Thorge Rahlf, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes und selbst Landwirt aus Seedorf, erklärt, was geplant ist. „Start ist um 9 Uhr. Wir haben drei Startpunkte: einen bei Bad Segeberg auf dem Gelände der Firma Meifort, dann in Norderstedt auf dem Parkplatz vor dem Kulturwerk, und in Bad Bramstedt.“ Am Rande der Kurstadt wird der Grünholm, eine Nebenstraße des Lohstücker Wegs, genutzt.

Die Resonanz? Offenbar enorm. Angemeldet beim Kreis als verantwortlicher Versammlungsbehörde wurden 350 Fahrzeuge mit 350 Personen. „Alle, die es schaffen, sind dabei. Die meisten Landwirte wollen mitdemonstrieren, auf uns aufmerksam machen, die Bürger auf unsere Seite ziehen.“

Deutscher Bauernverband hat zu Aktionswoche in ganz Deutschland aufgerufen

Denn ein Erfolg, das wissen die Bäuerinnen und Bauern aus der Region, hängt maßgeblich davon ab, dass die Menschen zumindest inhaltlich mittragen, was bei den Protesten gefordert wird. Und: Die Einschränkungen im Vormittagsverkehr akzeptieren. Die Aktionen der „Letzten Generation“ für radikalen Klimaschutz, die bekanntlich ebenso auf Straßen stattfinden, dürften da ein warnendes Beispiel sein für kontraproduktive Handlungen.

Kreis und Polizei haben einige Vorgaben gemacht. „Dazu gehört beispielsweise im Block fahren, was bedeutet, dass die Fahrzeuge generell in Bewegung bleiben müssen und nicht auseinandergezogen fahren dürfen. Anfang und Ende eines Demo-Zuges müssen deutlich erkennbar sein. Unerlaubte Stopps, Blockaden etc. können zu Ordnungswidrigkeiten führen“, sagte Sabrina Müller, Sprecherin der Kreisverwaltung. Und da die Konvois jeweils mit dem Uhrzeigersinn fahren, soll es zu keinem Begegnungsverkehr kommen.

Haushaltskrise im Bund: 920 Millionen Euro Agrarsubventionen gestrichen

Zum Hintergrund: Das weitreichende November-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte zur Folge, dass im Bundeshaushalt eine erhebliche Finanzierungslücke entstanden ist. Die Richter hatten entschieden, dass die Zuführung nicht benötigter Corona-Hilfen in einen neuen „Klima- und Transformationsfonds“ verfassungswidrig gewesen sei. Damit fehlten plötzlich 60 Milliarden Euro, wodurch wiederum gravierende Sparmaßnahmen eingeleitet wurden – unter anderem zu Lasten der Agrarbranche, wo Vergünstigungen für Agrardiesel sowie die bisherige Kfz-Steuerbefreiung für Land- und Forstwirtschaft in Höhe von rund 920 Millionen Euro wegfallen sollten.

Nachdem die Empörung im Dezember, kurz vor Weihnachten, hochgekocht war und es unter anderem in Berlin eine große Demonstration gab, hielten alle kurz inne für die Feiertage und den Jahreswechsel. „Alle haben viel zu tun in ihren Betrieben, alle haben Familien“, so Thorge Rahlf.

Bauernverband: „Es geht für alle um viel Geld, ob große oder kleine Betriebe“

Jetzt ist die Motivation hoch und die Vernetzung hervorragend. Auch andere Branchen, etwa das Transportwesen, wollen dabei sein, sagt er. Das Ziel ist klar: Die Kürzungen sollen, wenn nun die Haushaltsberatungen fortgesetzt werden, rückgängig gemacht werden. Es geht darüber hinaus auch darum, den Zorn über die gestiegenen Benzinpreise – bedingt durch eine höhere CO²-Abgabe – kundzutun. Hinzu kommt für die Gastronomie, dass die durch die während der Pandemie vollzogene Senkung der Mehrwertsteuer (von 19 auf 7 Prozent) abgeschafft wurde. Und grundsätzlicher Natur sind für den Deutschen Bauernverband auch die niedrigen Lebensmittelpreise, welche ebenso ein großer Faktor sind für die finanziellen Probleme der Branche.

Die Mobilisierung funktioniert, obwohl die gravierenden bundespolitischen Entwicklungen infolge der Haushaltskrise kaum Vorlaufzeit ließen. Rahlf: „Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Es geht für alle um viel Geld, ob nun große oder kleine Betriebe, genauso für Nebenerwerbs-Landwirte. Wir mussten in sehr kurzer Zeit sehr viel auf die Beine stellen.“

„Ich glaube, in kleineren Orten ist der Zusammenhalt größer“

Dazu zählte auch der symbolische Protest, Gummistiefel an Ortsschilder zu hängen. Das war in den letzten Wochen speziell in kleineren Gemeinden zu sehen. Dort sind die Probleme mutmaßlich eher allgegenwärtig als in den Städten, manchmal sind die Bürgermeister selbst Landwirte, oder es sind die direkten Nachbarn und Freunde. „Ich glaube, in kleineren Orten ist der Zusammenhalt größer“, so Thorge Rahlf.

Mit der am Mittwoch überraschend aufgetauchten „Bürgerbewegung B432 Kaffeefahrt Norderstedt – Bad Segeberg“ habe man nichts zu tun, betont er mit Nachdruck. Eine entsprechende Pressemitteilung, die ebenso auf den 8. Januar und den Aufruf des Deutschen Bauernverbandes verwies, hatte am Mittwoch für Verwirrung gesorgt. Verschickt worden war die Ankündigung von Uwe Voss, einem langjährigen CDU-Kommunalpolitiker und früherem Kreisgeschäftsführer sowie derzeitigem Vorsitzenden der Kommunalpolitischen Vereinigung. Zeitweise stand der Aufruf sogar auf der CDU-Homepage, wurde dann wieder entfernt.

„Bürgerbewegung“ sorgt für Verwirrung: Gibt es am Montag zwei Proteste auf der B432?

„Besonders am Montag werden Landwirte, Spediteure, Handwerker und Teilnehmer aus verschiedenen Branchen und Privatpersonen den Verkehrsfluss beeinträchtigen“, hieß es. Und: „Konvois von langsam fahrenden Treckern, Bussen, PKWs und LKWs werden den gesamten Tag auf der Bundestraße unterwegs sein.“ Auch diese motorisierte Demo, die als „Protestaktion gegen die Ampel-Regierung“ beschrieben wird, soll auf der B432 unterwegs sein, also genau dort, wo auch die großen Konvois entlang rollen.

Wer hinter der Bewegung steckt und wie groß diese sein könnte, ist bislang unklar, genauso wenig, von wo und wann diese Kolonnen starten. Voss hatte auf WhatsApp-Chatgruppen verwiesen, also auf eine dezentrale Organisation. Dem Abendblatt gelang es nicht, einen Kontakt zu möglichen Verantwortlichen herzustellen. Beim Kreis Segeberg lag keine Anmeldung vor, wobei diese auch noch kurzfristig vor dem Wochenende eintreffen könnte.

CDU: Ampel hat mit „einseitiger Belastung unserer Landwirtschaft“ Bogen überspannt

Die CDU im Kreis Segeberg hat sich unterdessen noch einmal geäußert, und zwar offiziell. So schreiben die Bundestagsabgeordnete Melanie Bernstein sowie die Landtagsabgeordneten Ole Plambeck, Sönke Siebke, Patrick Pender und Katja Rathje-Hoffmann: „Die Ampel in Berlin hat mit ihren neuesten Vorhaben zur einseitigen Belastung unserer Landwirtschaft den Bogen endgültig überspannt. Es ist richtig und absolut verständlich, dass unsere Landwirtinnen und Landwirten mit ihren Aktionen im Kreis Segeberg und im ganzen Land deutlich machen, dass sie sich das nicht länger gefallen lassen. Unsere Landwirtschaft produziert beste Güter unter den höchsten Standards für Umwelt und Tierwohl wie auch Sozialstandards.“

Ebenso müssten die Betriebe wesentlich höhere Auflagen erfüllen als jene in anderen Ländern. „Das erschwert ohnehin die Wettbewerbsfähigkeit unserer, vor allem durch mittelständische und familiengeführte Betriebe geprägte, heimischen Landwirtschaft und sorgt für Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt.“

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Die CDU spricht von einer „einseitigen und ungerechtfertigten Belastung des Agrarsektors“. Diese würde sich auch in höheren Lebensmittelpreisen abbilden. Die Abgeordneten stünden daher fest an der Seite der Landwirtschaft. „Wichtig ist uns, dass die Proteste angemeldet sind und friedlich ablaufen werden. Nur so wird die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Politik für die sehr richtigen Ziele der Landwirtinnen und Landwirte erreicht.“

Polizei: Trecker auf der Autobahn sind verboten

Die Polizei kündigt an, das Protestgeschehen zu begleiten. Verboten ist es, mit Treckern auf Autobahnen wie der A7 oder der A21 zu fahren, genauso wenig auf der B205, also einer Kraftfahrstraße. Überall dort sind nur Fahrzeuge erlaubt, die mindestens 60 km/h schnell sind. Es könnte also sein, dass die Anschlussstellen genau überwacht werden. Insbesondere für Montag, 8. Januar, rechnet die Polizei mit „einem erhöhten Verkehrsaufkommen durch landwirtschaftliche Fahrzeuge“.

So seien, neben Anreisen zu einzelnen Versammlungsorten, „längere Trecker-Korsos zu erwarten, die den Verkehr erheblich beeinträchtigen werden. Hierauf sollten sich Verkehrsteilnehmer vielerorts einstellen und längere Fahrzeiten einplanen“, so die Polizei, die zudem darauf hinweist, dass Rettungswege dringend frei gehalten werden müssen.