Hamburg. 8000 Landwirte, Handwerker und andere Mittelständler haben am Montag Hamburg lahmgelegt. Sprecherin sagt, wie es weitergeht.

Uta von Schmidt-Kühl redet nicht, sie schreit. „Das ist schon ziemlich beeindruckend, oder?“, fragt sie, als sie gegen 9.30 Uhr am Hamburger Michel gegen das Hupkonzert der Traktoren und der noch lauteren Lkw anredet, anruft. „Ich muss gestehen, dass mich das alles emotional sehr berührt“, ruft die Organisatorin der wahrscheinlich größten Bauernproteste, die es in Hamburg je gab.

Das alles, das sind rund 8000 Trecker, Brummis, Handwerkerautos und Privatautos von Mittelständlern, die hupend und mit wehenden Transparenten am Montagmorgen ganz Hamburg lahmlegen. Ihr Ziel: Protest. Gegen „die da oben“, gegen die Politik, gegen die Ampel.

Trecker-Demo: Am Montag protestierten Bauern in ganz Hamburg

„Ich habe gerade eben mit der Polizei gesprochen: Wir sind ungefähr viermal mehr, als wir ursprünglich angenommen hatten“, sagt von Schmidt-Kühl, die Sprecherin von „Land schafft Verbindung“.

„Bauer sucht Stau“, „Bauernfrühstück in der City“ oder auch „Bauer to the people“ – kreative und auch lustige Wortspiele rund um die Proteste gab es in den vergangenen Tagen viele. Doch den Landwirten und ihren Mitstreitern ist ihr Anliegen ernst.

Landwirte demonstrierten gegen Subventionsabbau

Im Speziellen geht es um Subventionsabbau für Agrardiesel, um die Befreiung von der Kfz-Steuer für ihre Landwirtschaftsfahrzeuge und um die Agrarpolitik im Allgemeinen. Den meisten geht es aber vor allem um die aktuelle Politik der Ampelkoalition, die sie scharf kritisieren.

Der Tag des Protests beginnt früh. Maldfeldstraße in Marmstorf um 6.24 Uhr, die ersten 15 Traktoren warten auf einem Parkplatz darauf, dass es losgeht. Insgesamt 15 Kolonnen wurden angemeldet. Die drei Hauptkonvois wollen aus Schleswig-Holstein über Langenhorn, Rahlstedt und Bergedorf in Richtung Hamburger-Altstadt rollen.

Viele Mittelständler schlossen sich den Protesten an

Doch die Bauern sind nicht allein. „Der Protest geht uns alle an“, sagt um kurz vor 7 Uhr ein Dachdecker aus Stelle, der mit seinem Wagen dabei ist. „Wir leiden unter den steigenden Kosten. Wir haben uns den Landwirten angeschlossen, weil die Eier in der Hose haben.“

Manch einem sind die Eier in den Hosen allerdings deutlich zu groß – besonders nach dem Vorfall vom vergangenen Donnerstag, als eine wütende Menschengruppe Vizekanzler Robert Habeck in Schlüttsiel am Verlassen einer Fähre gehindert hatte. „Habeck flüchtet vor den Wut-Bauern!“, titelte die „Bild“-Zeitung.

Habeck warnte vor „Umsturzphantasien“

Habeck selbst sah die Sachlage ein wenig anders. In einer auf Instagram veröffentlichten Ansprache sagte der Wirtschaftsminister der Grünen, die schwere wirtschaftliche Lage der Bäuerinnen und Bauern legitimiere den Protest – nicht aber Gewaltaufrufe und „Umsturzphantasien“, die sich im Schatten der Proteste verbreitet hätten.

Tatsächlich wurde in den vergangenen Tagen immer wieder darüber diskutiert, inwiefern rechte Trittbrettfahrer den Bauernprotest für ihre Zwecke missbrauchen. Neonazis vom „Dritten Weg“ riefen via Telegram dazu auf, die Demonstrationen der Landwirte zu unterstützen, und auch die Hamburger AfD kündigte bereits am Freitag Solidarität mit den Bauern an.

AfD: Angriff auf Habeck „Ausdruck der Verzweiflung“

Hamburgs AfD-Chef Dirk Nockemann sagte, dass der versuchte Angriff auf Habeck „Ausdruck der Verzweiflung und der Wut auf die katastrophale Ampelpolitik, die die arbeitenden Bürger immer stärker belastet“ sei.

Sein vorläufiges Fazit: „Die linksgrüne Politikerkaste, zu der auch ein Robert Habeck zählt, entfernt sich immer mehr von den realen Problemen der Bevölkerung.“ Am Montag legt Nockemann noch einmal nach: „Die Ampelregierung sitzt im Elfenbeinturm. Wer hier von ‚rechter Unterwanderung‘ schwadroniert, anstatt sich um die Anliegen und Sorgen der Bauern zu kümmern, hat den Bezug zur Realität völlig verloren.“

Häufiges Banner mit einer Faust: „Grüne Welle brechen“

Am Montag sind zahlreiche Deutschlandflaggen, „Volksverräter“-Transparente und Banner mit der Aufschrift „Grüne Welle brechen“ zu sehen – darauf ist eine geballte Faust abgebildet, die gegen eine grüne Welle gerichtet ist.

Es ist eine Art inoffizielles Wappen des aktuellen Bauernwiderstands der Organisation „Land schafft Verbindung“. Der Vereinigung wurde in der Vergangenheit immer wieder eine Nähe zu rechten Gruppierungen vorgeworfen – und immer wieder haben sich die Organisatoren dagegen verwahrt.

Organisatorin Uta von Schmidt-Kühl distanzierte sich am Montag von rechten Trittbrettfahrern.
Organisatorin Uta von Schmidt-Kühl distanzierte sich am Montag von rechten Trittbrettfahrern. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

So auch am Montag. „Solche Trittbrettfahrer brauchen wir nicht, wollen wir nicht und dulden wir auch nicht“, sagt von Schmidt-Kühl am Morgen, als ein Trecker nach dem anderen an ihr vorbeifährt. Ein paar Meter weiter steht ein Mann mit einem selbst gebastelten Schild, auf dem eine Botschaft an den Kanzler steht: „Entwicklungshilfe nur noch bei Flüchtlingsrücknahme!“

Bauernsprecherin von Schmidt-Kühl macht ihrem Namen alle Ehre und bleibt cool. „Wir haben unsere Gründe und unsere Argumente – und nur die wollen wir rüberbringen. Wir haben gar keine Lust, von irgendwelchen Rändern rangewanzt zu werden.“

Grünen-Politiker als Hauptfeindbild der Wutbauern

Von Hamburgs Politik ist kein Vertreter am Montag am Michel zu sehen. Aber die Proteste werden natürlich wahrgenommen. „Als Grüne stehen wir fest an der Seite der Landwirtschaft hier in der Region, die in den letzten Jahren zu oft Leidtragende einer verfehlten konservativen Politik in Bund und EU geworden ist“, sagt Andrea Nunne, die als agrarpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen eines der Hauptfeindbilder der Wutbauern ist.

„Bauer sucht Stau“: Hunderte Traktoren stehen nach der Sternfahrt auf der Willy-Brandt-Straße in Hamburg.
„Bauer sucht Stau“: Hunderte Traktoren stehen nach der Sternfahrt auf der Willy-Brandt-Straße in Hamburg. © dpa | Marcus Brandt

„Wenn die Landwirte und Landwirtinnen auf zu hohe Lasten hinweisen, hören wir zu. Aber Protest muss friedlich bleiben“, sagt Nunne. „Wer Gewalt anwendet, wie zuletzt am Donnerstag in Schlüttsiel, erweist der Landwirtschaft einen Bärendienst.“

Trecker-Demo in Hamburg: Polizei zieht ein zufriedenes Fazit am Montag

Immerhin: Hamburg ist nicht Schlüttsiel. Gewalt gibt es am Montag keine – und sogar das ganz große Verkehrschaos bleibt aus. Die meisten hatten sich offenbar auf gesperrte Straßen vorbereitet, fuhren mit dem Rad oder der Bahn. „Uns liegen keine großen Verkehrsbehinderungen vor“, sagt ein Polizeisprecher am Vormittag.

Und auch ohne große Präsenz gibt es aus der Hamburger Politik durchaus Sympathie für die wütenden Landwirte. „Dass ausgerechnet die Bäuerinnen und Bauern für die desolate Haushaltspolitik der Ampel-Bundesregierung die Hauptlast tragen sollen, ist ein Armutszeugnis“, sagt beispielsweise CDU-Chef Dennis Thering, der ungewohnte Unterstützung von ganz links bekommt.

Linke: „Friedlicher Protest ist mehr als legitim“

„Es ist dreist, das eigene haushaltspolitische Versagen auf dem Rücken unserer Bäuerinnen und Bauern auszutragen“, sagt Stephan Jersch, agrarpolitischer Sprecher der Linken. „Die Agrarwirtschaft in der Metropole Hamburg hat seit Jahren erhebliche Kosten- und damit Wettbewerbsnachteile. Der friedliche Protest ist mehr als legitim.“

Die Hamburger und Hamburgerinnen sind sich da nicht so ganz sicher. Hier und da wird mit Bauern an der Ampel diskutiert. Von „Macht weiter so!“ bis „Hört auf, die Stadt zu blockieren“ sind alle Meinungen dabei.

Bevölkerung uneins über Bauernproteste

Die gemischte Stimmungslage hat auch Organisatorin von Schmidt-Kühl wahrgenommen. „Ich habe großes Verständnis für die Leute, die sich vielleicht nicht so in der Tiefe mit der Materie auseinandergesetzt haben und nun genervt sind von uns“, sagt sie.

„Aber auch andere Berufsgruppen haben ihre Proteste. Die Bahn hat ja gerade erst wieder den nächsten Streik angekündigt. Auch von Fluglotsen- oder Pilotenstreiks in den Ferien sind viele Bürger betroffen. Das ist auch nervig“, ruft von Schmidt-Kühl, als ein vorbeifahrender Lkw ein besonders lautes Hupkonzert anstimmt. „Aber man muss diese Proteste in den öffentlichen Raum tragen, sonst kommt man leider nicht weiter.“

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Weiter geht es für die meisten Bauern am Montagmittag. Um kurz nach 13 Uhr verlassen die ersten Landwirte wieder die Innenstadt. Zu Hause auf dem eigenen Hof wartet schließlich genug Arbeit.

Das gilt auch für Uta von Schmidt-Kühl. Sie und ihr Mann haben einen Milchviehbetrieb mit 130 Kühen in Wasbek bei Neumünster. Rund 10.000 Euro Mehrkosten hatte sie für ihren Familienbetrieb ausgerechnet, wenn die Regierung tatsächlich alle angekündigten Maßnahmen durchgezogen hätte.

Ampel nahm beschlossenes Sparpaket wieder zurück

Hat sie aber nicht. Lange vor den bundesweiten Protesten wurde das beschlossene Sparpaket von der Ampel in großen Teilen wieder zurückgenommen. Auf die Begünstigung bei der Kraftfahrzeugsteuer für Forst- und Landwirtschaft wird verzichtet. Und die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll nicht mehr wie ursprünglich geplant auf einmal abgeschafft werden.

Doch nicht nur von Schmidt-Kühl reicht das nicht. „Wir wollen eine grundlegende Richtungsänderung in der Politik“, sagt sie. „Der Mittelstand kann so nicht überleben, wir brauchen tiefgreifende Reformen.“

SPD-Politiker Weil fordert von Ampel, auf Bauernproteste einzugehen

Das sieht Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil offenbar ähnlich. Ausgerechnet der SPD-Politiker forderte die Ampelkoalition in Berlin auf, die geplanten Kürzungen im Agrarbereich zurückzunehmen. Die Bundesregierung solle reinen Tisch machen, sagte Weil im ZDF-„Morgenmagazin“. „Ich glaube, dass die beiden Vorschläge eine Branche doch stärker treffen als andere.“

Und dann noch eine Bauernweisheit ganz zum Schluss. „Das war erst der Anfang“, sagt Organisatorin von Schmidt-Kühl am Montagmorgen. Ob das eine Drohung oder ein Versprechen ist, sagt sie nicht.