Kiel. Schleswig-Holstein: Grüne Sozialministerin und CDU-Bildungsministerin positionieren sich mit unterschiedlichen Positionen.

In der schwarz-grünen Koalition in Schleswig-Holstein bahnt sich ein grundsätzlicher Konflikt um die Asylpolitik und die Herausforderungen durch den ungebremsten Flüchtlingszuzug an. Auf der einen Seite steht die grüne Sozialministerin Aminata Touré, auf der anderen CDU-Bildungsministerin Karin Prien. So spricht die Sozialministerin im Abendblatt durchaus von „Herausforderungen“, allerdings sei die Lage für Kommunen und Land „noch händelbar, weil wir ausreichend Kapazitäten haben“. Dagegen sagte die Bildungsministerin der Deutschen Presse-Agentur, der anhaltend starke Zuzug von Asylbewerbern sei auf Dauer nicht zu bewältigen. Weder Kommunen noch Schulen oder Kitas würden das langfristig schaffen, so Prien.

Laut Ausländerzentralregister haben die Kommunen im Norden seit Kriegsbeginn rund 35.000 aus der Ukraine geflohene Menschen untergebracht. Hinzu kommen die Asylsuchenden. In Schleswig-Holstein ist in den ersten sieben Monaten des Jahres deren Zahl auf 4862 gestiegen – und hat sich damit mehr als verdoppelt gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allein im Juli hat das Land 687 Schutzsuchende aufgenommen, die meisten aus Syrien (204), Afghanistan (142) und der Türkei (90). Für die zweite Jahreshälfte erwartet die Sozialministerin einen weiteren Anstieg. „Die Konflikte weltweit werden größer, deshalb werden die Fluchtbewegungen nicht abreißen. Ganz im Gegenteil“, rechnet Touré auch in den Folgejahren mit steigenden Zahlen.

Streit um Flüchtlinge: Tourés Familie ist aus Mali geflohen

Deutschland als reiches Land müsse mit seiner historischen Verantwortung politisch verfolgte Menschen aufnehmen, sagt auch Karin Prien. „Aber wir müssen uns auch ehrlich machen, viele kommen nach Europa und besonders gerne nach Deutschland, weil sie ein besseres Leben für sich und ihre Familie wollen. Und da müssen wir zu einer Reduzierung der Zahlen kommen“, so die stellvertretende CDU-Landes- und -Bundeschefin am Dienstag.

Aminata Touré, deren Familie nach einem Putsch aus Mali nach Deutschland geflohen und hier lange von Abschiebung bedroht war, bewertet Lage und Ausblick weniger kritisch. Kommunen, die mit der Aufnahme und Betreuung Geflüchteter überfordert seien, seien gehalten, eine offizielle Überlastungsanzeige zu schreiben. „Bislang hat es das in Schleswig-Holstein noch nicht gegeben“, sagt Touré. Die Kommunen meldeten dem Land „nach wie vor zwischen 3000 und 4000 freie Plätze. Wir müssen anhand dieser Fakten und Zahlen diskutieren“, forderte die grüne Politikerin im Abendblatt-Gespräch, geführt in der vergangenen Woche.

In den Ballungsräumen verschärft Wohnungsmangel die Situation

Fakt ist aber durchaus: Gerade in Ballungsräumen herrscht längst ein Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Und so plant das Land eine Werbeveranstaltung für Vermieter. „In den Kommunen gab es eine riesengroße Bereitschaft, ukrainische Geflüchtete unterzubringen. An Asylsuchende wird aber nicht gerne vermietet. Die Innenministerin und ich werden deshalb proaktiv unterwegs sein und für die Unterbringung werben“, kündigte Touré an.

„Wir wollen mit Vermietern klären, was sie daran hindert, Geflüchteten Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“ Einen Grund hat Touré schon vor der Veranstaltung ausgemacht: Diskriminierung. Die Landesregierung will deshalb nicht nur werben, sie erhöht parallel auch den Druck. So wird an „regulatorischen Maßnahmen bei Wohnungsleerstand“ gearbeitet. Außerdem stellt das Land den Kommunen eine „Handreichung ... zur zwangsweisen Sicherstellung von nicht genutztem Wohnraum zur Verfügung“.

Um die Kommunen vor dem Hintergrund des Wohnungsmangels mit der Unterbringung Geflüchteter nicht noch weiter unter Druck zu setzen, verteilt das Land Flüchtlinge inzwischen mit einer Ankündigungsfrist von einem Monat auf Städte und Kreise. Das heißt, es gebe keine morgendlichen Anrufe, dass nachmittags Menschen untergebracht werden müssen. „Stattdessen haben die Kommunen vier Wochen Zeit, Unterbringungsplätze zu finden“, so Touré, die auf einen vierstufigen Plan von Land und Kommunen verweist.

So habe man in der ersten Stufe die Kapazitäten in den Landesunterkünften auf 7200 Plätze erhöht. Die Menschen blieben hier im Schnitt 115 Tage. Dann werden sie verteilt auf die Kommunen. Dort sollen jetzt neben vorhandenen Notunterkünften neue temporäre Gemeinschaftsunterkünfte aufgebaut werden. „Das können Container sein, aber auch bestehende Wohnblöcke, die hergerichtet werden, oder Neubauten.“ Die EU unterstütze solche temporären Gemeinschaftsunterkünfte jetzt zudem finanziell. Touré rechnet mit drei bis vier Millionen Euro aus Brüssel.

Zuwanderungspolitik als Thema der Zukunft?

Der maximale Fokus der Landesregierung habe in den vergangenen zwölf Monaten auf der Klärung dieser offenen Fragen gelegen. „Integrationspolitisch habe ich eine viel größere Vision. Aber um Integrationsfragen kann ich mich erst kümmern, wenn wir die Unterbringung organisiert haben“, sagt Touré. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Frusts müsse sich der Staat immer fragen: Ist der Umgang mit Geflüchteten gut genug organisiert? Zentral sei aber auch die Frage: „Wird Zuwanderungspolitik als Problemthema oder als ein Thema der Zukunft und der Chancen gesehen?“

Tourés Kabinettskollegin Karin Prien verweist auf Vorschläge der Europäischen Kommission zur Begrenzung des Zuzugs. Die müssten mit Tempo umgesetzt werden. „Wenn wir weiter eine gesellschaftliche Akzeptanz für die Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen erhalten wollen, dann werden wir wirksame Möglichkeiten zur Begrenzung finden müssen.“ Ihr sei jeder Schutz an der Außengrenze lieber als weitere Maßnahmen an den Binnengrenzen.

Streit um Flüchtlinge: Massive Kritik der SPD-Chefin an Karin Prien

Die grüne Politikerin Touré hat eine grundsätzlich andere Vorstellung einer europäischen Asylpolitik. Ihre fundamentale Kritik lautet: „Wir haben es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, eine menschenwürdige europäische Asylpolitik zu machen.“ Was sie meint: Die jetzt diskutierte Verlagerung der Asylverfahren an die europäischen Außengrenzen fände faktisch schon seit Jahren statt, „sodass wir hier in Deutschland bloß nichts von der Misere, die die Menschen erfahren, erleben“. Deutschland habe als Binnenstaat vom sogenannten Dublin-Verfahren profitiert, anders als die Mittelmeer-Anrainerstaaten. „Daher hat uns das Problem in den letzten Jahren nicht wirklich interessiert. Erst als der Druck der Mittelmeerstaaten so hoch geworden ist, dass die Leute weitergereist sind, haben wir uns mit den Folgen des Dublin-Abkommens auseinandergesetzt.“

Massive Kritik an Priens Aussagen zur Asylpolitik kommt aus der Opposition. SPD-Landeschefin Serpil Midyatli nennt Forderungen nach einem stärkeren Schutz an den EU-Außengrenzen „absolut unwürdig und populistisch. Wir wollen Menschlichkeit und keine Festung Europa!“ Midyatli fordert von Prien, sich für ein gerechteres Verteilsystem von Geflüchteten auf europäischer Ebene einzusetzen. „Hier sind es nämlich vor allem ihre konservativen Parteifreunde, die eine fortschrittliche Asylpolitik blockieren und das Grundrecht auf Asyl missachten.“