Kiel. Daniel Günther und Monika Heinold über soziale Balance in Schleswig-Holstein, den Umgang miteinander und den Maskenstreit mit Hamburg.

Sie regieren seit gut einem halben Jahr zusammen. Im ersten gemeinsamen Interview bewerten Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und seine Stellvertreterin, Finanzministerin Monika Heinold von den Grünen, jetzt im Hamburger Abendblatt, was gut lief, wo es unterschiedliche Auffassungen gab und was passieren muss, damit Schwarz-Grün ein Erfolg wird.

Hamburger Abendblatt: Herr Günther, Sozialministerin Aminata Touré hat Sie in einem Interview „extrem beliebt und populär“ genannt. Wo man hinhört, ist das grüne Lob für den schwarzen Regierungschef groß. Haben Sie eine Kuschelkoalition gebildet?

Daniel Günther: Wir haben ein Bündnis geschlossen, das wertschätzend, vertrauensvoll und gut zusammenarbeitet. Insofern macht es große Freude – trotz aller Krisen –, mit dieser Koalition gemeinsam das Land voranzubringen. Bei den großen aktuellen Herausforderungen halte ich es aber im Übrigen auch für ein gutes und wichtiges Signal nach außen, an einem Strang zu ziehen. Das ist nicht überall so, und ich bin stolz darauf, wie wir das in Schleswig-Holstein handhaben.

Zuletzt hatten Sie beide die Eckdaten des neuen Haushalts vorgestellt. Das hätte Monika Heinold als Finanzministerin auch alleine machen können. Ist Ihr gemeinsamer Auftritt ein Signal: Das ist unsere Politik, unser Haushalt, unsere Koalition?

Günther: Das ist tatsächlich nicht selbstverständlich, aber es ist der erste Haushalt dieser schwarz-grünen Koalition. Uns war es wichtig zu zeigen, dass es ein Gemeinschaftswerk ist. Es ist schon auch eine besondere Herausforderung, in Krisenzeiten einen Haushalt aufzustellen.

Die Spielräume werden enger, daher müssen wir Prioritäten setzen: Investitionen in unser Ziel, erstes klimaneutrales Indus­trieland zu werden, mehr Personal für Kita, Schule und innere Sicherheit und die Digitalisierung voranbringen. In unserer Koalition herrscht große Einigkeit über diese Prioritäten, und ich glaube, das haben Monika Heinold und ich bei der Vorstellung des Haushalts deutlich gemacht.

Frau Heinold, sind Sie mit diesen Prioritäten zufrieden oder hätten Sie gern noch andere Schwerpunkte gesetzt?

Monika Heinold: Ich bin sehr zufrieden. Seit dem ersten Tag unserer gemeinsamen Regierung verbinden wir Alltagsgeschäft, Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung miteinander. Dafür steht auch dieser Haushalt. So setzen wir die Einnahmen aus dem Verkauf der Schiffskredite aus der Auflösung des letzten HSH-Nordbank-Portfolios ein, um Schleswig-Holstein zu einem klimaneutralen Industrieland zu entwickeln. Damit zeigen wir deutlich, dass wir es ernst meinen, den Klimawandel, soweit es geht, zu begrenzen.

Über wie viel Geld sprechen Sie?

Heinold: Über rund 200 Millionen Euro. Schleswig-Holstein steckt in einer Umbruchphase. Die Energiewende bietet große Chancen für unsere Wirtschaft. Mit den 200 Millionen Euro können wir Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels abfedern und entschlossenes Regierungshandeln ermöglichen.

Sie stehen als Landesregierung vor zwei großen Herausforderungen. Die eine ist, den Klimawandel zu bekämpfen. Die zweite ist, die soziale Balance zu wahren. Vielen Menschen auch im Norden geht es zunehmend schlechter bei einer Inflation von zehn Prozent und explodierenden Energiepreisen. Die Tafeln haben einen enormen Zulauf. Sorgen Sie sich um das Wohlergehen der Menschen im Land, Herr Günther?

Günther: Wir sollten diese Herausforderungen nicht gegeneinanderstellen. Das wäre auch ein falsches Signal in die Gesellschaft. Diese wirklich großen Aufgaben bewältigen wir, indem wir sie zusammen denken und angehen. Und da sind wir uns in der Koalition absolut einig. Mit unserem Acht-Punkte-Entlastungspaket zeigen wir, dass wir beides gleichermaßen im Blick behalten: einerseits mit unserem Bürgerklimaschutzprogramm, um unabhängiger in der Energieversorgung zu werden, und andererseits mit der Einrichtung von Härtefallfonds, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten.

Mit Schwarz-Grün sind wir für die Herausforderungen dieser Zeit sehr gut aufgestellt. Unser Bündnis ist in der Lage, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen. Wir wollen Schleswig-Holstein zum ersten klimaneutralen Industrieland machen und zeigen, dass es kein Gegensatz ist, Wohlstand und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und auf erneuerbare Energien zu setzen.

Aber jetzt kämpfen die Menschen mit ganz konkreten Problemen. Sie müssen ihre Gas-, Strom- und Ölrechnungen zahlen. Lebensmittel werden immer teurer. Was können Sie jetzt leisten, um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken?

Heinold: Schleswig-Holstein hat sehr früh ein eigenes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Wir unterstützen Schulen, Kitas, Hochschulen, die Verbraucherberatung. Im neuen Haushalt stellen wir noch einmal 50 Millionen Euro mehr für Kindertagesstätten bereit, wir sichern die Sprach-Kitas ab, nachdem die Bundesförderung ausläuft, wir stellen 90 Millionen Euro zusätzlich für Sozial- und Eingliederungshilfe zur Verfügung.

Wir wissen um die Nöte der Menschen und lösen entschlossen Stück für Stück die Probleme. Das Allerwichtigste dabei ist: ansprechbar zu sein, zuzuhören, pragmatisch Lösungen zu finden, damit die Menschen gut durch diese schwierige Zeit kommen.

CDU und Grüne harmonieren, aber sie bleiben halt doch unterschiedliche Parteien mit zum Teil arg unterschiedlichen Programmatiken. In welchen Punkten haben Sie diese Unterschiede seit der Regierungsbildung im Sommer schon festgestellt?

Günther: Wir versuchen, uns im täglichen Diskurs auf gemeinsame Positionen zu verständigen. Ab und zu klappt das aber nicht. Ein Beispiel ist unsere Diskussion über die Erbschaftssteuer. Wie verhalten wir uns im Bundesrat? Das Geld fließt komplett an die Bundesländer. Erhöht man jetzt die Freibeträge? Unsere CDU-Position ist: Wir wollen keine schleichende Steuererhöhung.

Die käme ohne Anpassung der Freibeträge. Ich kann aber auch Monika Heinolds Position verstehen, die vor dem Hintergrund der Haushaltslage argumentiert, dass im Grundsatz starke Schultern mehr leisten müssen als schmale Schultern. Ich habe Respekt für die Position der Grünen. In ganz vielen Fällen gelingt es uns aber, uns hinter einer Lösung zu versammeln. Wichtig – und typisch für Schleswig-Holstein – ist: Wir lassen zu, dass Unterschiede auch öffentlich dargestellt werden, ohne dass wir uns gegenseitig verletzen.

Frau Heinold, was durften die Grünen nicht, was sie gerne gewollt hätten?

Heinold: Es geht nicht um dürfen. Denn dann gäbe es ein Oben und ein Unten: jemanden, der bittet, und jemanden, der genehmigt. So ist es aber nicht. Aber wir führen immer wieder Debatten, wie wir die Folgen der Klimaanpassung finanzieren, wie wir Schleswig-Holstein hin zum klimaneutralen Industrieland verändern. Wir Grüne könnten uns hier noch mehr vorstellen. Zum Beispiel bei der Gestaltung der Schuldenbremse und der Frage, welchen Rahmen sie zulässt. Das Saarland legt gerade einen großen Transformationsfonds auf. Das finde ich richtig.

Sie wollen Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland machen. Wenn man nicht ganz so weit schaut, sondern nur bis zum Ende der Legislaturperiode: Was muss passieren, dass Sie 2027 sagen, es war eine gute, erfolgreiche Arbeit für Schleswig-Holstein?

Günther: Wenn wir den bereits eingeschlagenen Weg Richtung Klimaneutralität konsequent und erfolgreich weitergegangen sind, so, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ich weiß, dass die Grünen es gerne noch ehrgeiziger formuliert hätten, aber 2040 ist bereits ein ambitioniertes Ziel. Wir haben die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien noch einmal nachgeschärft. Aktuell sind wir das einzige Land, das bereits zwei Prozent der Fläche für Windkraft nutzen kann. Wir wollen aber mehr. Wir wollen bei der Windkraft auf eine Gesamtleistung von 15 Gigawatt bis 2030 kommen und das Zwischenziel von 10 Gigawatt 2025 erreichen.

Wir produzieren schon jetzt mehr Strom, als wir in Schleswig-Holstein verbrauchen. Aber bei der Wärme- und der Mobilitätswende können wir noch ein bisschen drauflegen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Hierzu bedarf es smarter Lösungen. Unter anderem wollen wir durch mehr Elektrifizierung, Sektorenkopplung und mit einer konsequenten Wasserstoffstrategie mehr CO2 einsparen. Aber auch die anderen Themen wie Bildung, Betreuung und innere Sicherheit haben wir fest im Blick.

Heinold: Mir ist es neben diesen Punkten auch wichtig, dass die Menschen am Ende der Legislaturperiode überwiegend sagen: Wir sind gut regiert worden. Wir sind in Schleswig-Holstein sicher. Wir fühlen uns wohl in unserem Land. Wir haben hier die Chance auf gute Bildung, auf Arbeitsplätze. Es ist wichtig, dass wir als Landesregierung gerade in diesen krisengeschüttelten Zeiten Mut machen und mit Optimismus vorangehen.

Unser Signal ist: Politik, Gesellschaft und Wirtschaft können gemeinsam die Herausforderungen stemmen. Nicht alles geht immer sofort, aber wir finden Lösungen, auch, indem wir unseren finanziellen Rahmen ausschöpfen. Ganz bewusst gehen wir im nächsten Jahr noch einmal konjunkturell bedingt in die Verschuldung, weil wir Daseinsvorsorge, Kitas, Schulen, Hochschulen finanzieren wollen.

Sprechen wir mit Blick auf das Ende der Legislaturperiode über konkrete Projekte. Wird es bis zum Jahr 2027 den ersten Spatenstich für den Bau der Batteriezellenfa­brik der Firma Northvolt in Heide gegeben haben?

Günther: Das ist unser Ziel, und das Land schafft alle Voraussetzungen vor Ort, damit das auch klappt. Zwei Punkte, die wir im Land aber nicht in der Hand haben, sind für eine positive Entscheidung des Unternehmens wichtig: der Strompreis und die staatliche Förderung. Hierzu hat der Bund signalisiert, dass im ersten Quartal 2023 gute Lösungen gefunden werden. Insbesondere den großen Einsatz von Wirtschaftsminister Robert Habeck will ich hier hervorheben. Von diesen Lösungen wird die Entscheidung von Northvolt dann auch abhängen. Insofern hoffe ich, dass am Ende der Legislaturperiode schon deutlich mehr erfolgt sein wird als nur der erste Spatenstich.

Frau Heinold, geht der Weiterbau der Autobahn 20 in der Legislaturperiode los?

Heinold: Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Manche meinen ja, es liegt an uns Grünen, dass es nicht vorangeht. Aber wir stellen gar nicht den Verkehrsminister und haben das auch in den vergangenen Jahren nicht gemacht. Insofern schauen wir mal, was kommt.

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  • Differenzen mit Hamburg gab es nicht nur bei der Frage, wohin mit dem Hafenschlick, sondern auch beim Umgang mit dem Thema Corona. Schleswig-Holstein kippt die Maskenpflicht im Nahverkehr, Hamburg hält daran fest. Warum haben sich die Nachbarländer mit weit mehr als 100.000 Pendlern täglich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können?

    Heinold: Wir wollten eine gemeinsame Lösung. Für die hat der Ministerpräsident auch noch einmal geworben. Hamburg wollte sich nicht darauf einlassen. Also war für uns die Frage: Handeln wir anders, als es unser Expertenrat uns empfiehlt? Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es gut ist, sich an Expertinnen und Experten zu orientieren. Wir mussten letztendlich politisch entscheiden, und die Argumentation unserer Fachleute hat uns überzeugt.

    Aber ist es aus Sicht der betroffenen Menschen nicht ein schwaches Bild, wenn sich Hamburg und Schleswig-Holstein nicht auf eine Lösung einigen können?

    Günther: Jede Landesregierung trägt die Verantwortung für ihr Land. Das ist Föderalismus. Bei unseren Entscheidungen in Schleswig-Holstein haben wir immer auf den Rat der Expertinnen und Experten gehört und sind damit im Vergleich wirklich gut durch die Pandemie gekommen. Und in diesem Fall war das Urteil der Fachleute eindeutig: In Schleswig-Holstein ist die Voraussetzung für die Maskenpflicht im ÖPNV nicht mehr gegeben, weil wir hier einen sehr hohen Immunisierungsgrad durch überstandene Infektionen, vor allem aber aufgrund der hohen Impfquote haben. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern eine gemeinsame Lösung gefunden hätten.

    Bekommen wahrscheinlich bald wieder mehr zu tun: die Kontrolleure der Hochbahn. Während Schleswig-Holstein die Maskenpflicht abschafft, hält Hamburg daran fest (Archivbild).
    Bekommen wahrscheinlich bald wieder mehr zu tun: die Kontrolleure der Hochbahn. Während Schleswig-Holstein die Maskenpflicht abschafft, hält Hamburg daran fest (Archivbild). © Michael Arning

    Aber beide Länder wollte unseren Weg leider nicht mitgehen. Ich sage aber auch deutlich: Wir verbieten die Maske nicht. Wer sich unsicher fühlt, sollte sie die gesamte Strecke in Bus und Bahn tragen, sowohl in als auch außerhalb Schleswig-Holsteins.

    Frau Heinold, wenn Schwarz-Grün im strukturell schwachen und konservativen Schleswig-Holstein funktioniert: Ist es dann auch ein Modell für ganz Deutschland?

    Heinold: In den Bundesländern gibt es sehr unterschiedliche und bunte Regierungskonstellationen. Die Kolleginnen und Kollegen dort berichten, dass es bei der Zusammenarbeit vor allem auf das persönliche Miteinander ankommt. Was zählt, ist gegenseitiges Vertrauen und ein gemeinsamer Gestaltungswille. Und das leben wir hier.

    Sie sehen sich also nicht als Modellregion?

    Heinold: Wir regieren gut miteinander und wollen das Beste für unser Land erreichen. Das ist mir wichtiger, als zu sagen, wir sind Modell für andere.

    Günther: Wir eignen uns nicht als Modellprojekt, nur weil Schwarz-Grün regiert. Aber wie wir miteinander umgehen und zusammenarbeiten – darauf gucken so manche aus anderen Bundesländern, auch aus Berlin, durchaus ein bisschen neidisch.

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  • Klimaschutz für CDU sehr wichtig – aber auch die Autobahn

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  • Die letzte Frage geht erst an Herrn Günther, für ihn ist die Antwort als CDU-Politiker einfacher. Mit welcher Schulnote würden Sie die Arbeit der Berliner Ampel bewerten?

    Günther: Ich halte nichts von der Vergabe von Schulnoten für Politik. Wir sollten uns in Deutschland insgesamt abgewöhnen, uns gegenseitig abzuqualifizieren, wenn etwas nicht so gut läuft. Die Ampel steht vor einer Riesenaufgabe. Im Moment sind wahnsinnig viele schnelle Entscheidungen von enormer Tragweite zu treffen. Man darf in diesen Zeiten, für die es keine Blaupause gibt, auch einmal falsch entscheiden.

    Man darf Fehler machen. Aber man muss sich verständigen und Pragmatismus vor Parteiideologie stellen. Die Bundesregierung tut sich bisher schwer, zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Wir verhandeln als Länder mit einer sichtbar uneinigen Regierung in Berlin. Das macht es in Krisenzeiten, in denen schnelle Entscheidungen wichtig sind, besonders schwer. Deswegen fällt mein Bild von der Ampel nicht überbordend positiv aus.

    Frau Heinold, Ihre Grünen regieren in Berlin mit. Wie fällt Ihr Urteil aus?

    Heinold: Einerseits hatte ich mehr erwartet, insbesondere mehr finanzielle Unterstützung für uns Länder. Ob Flüchtlingsfinanzierung, Kitaförderung oder öffentlicher Nahverkehr, da mussten wir hart kämpfen, und der Entscheidungsprozess war mühselig.

    Andererseits erkenne ich an, dass wir in Zeiten multipler Krisen leben und die Herausforderungen für Regierungen riesig sind, das merken wir ja auch bei uns im Land. Hinzu kommen drei Regierungspartner mit sehr unterschiedlichen Parteiprogrammen. Vor diesem Hintergrund, würde ich sagen, kriegt die Ampel es ganz gut hin.