Hamburg/Kiel. In Hamburg und in Schleswig-Holstein suchen immer mehr Menschen Zuflucht. Und die Zahl dürfte in den nächsten Monaten weiter steigen.

Die weiter steigende Zahl asylsuchender Menschen setzt Länder und Kommunen in Norddeutschland enorm unter Druck. Es fehlt angesichts des ungebremsten Zuzugs an allem in Hamburg und Schleswig-Holstein. An Unterbringungsplätzen, Folgeunterkünften, Lehrkräften für die Kinder und Räumen für deren Betreuung.

So heißt es aus der Hamburger Sozialbehörde, dass die „öffentlich-rechtliche Unterbringung des Regelsystems und der zusätzlich geschaffenen Standorte nahezu zu 100 Prozent ausgelastet“ sei. Hamburg und Schleswig-Holstein gehen übereinstimmend davon aus, dass der Druck im Herbst und Winter noch einmal zunehmen wird. „Erfahrungsgemäß steigen die Zahlen der Asylsuchenden saisonal bedingt in der zweiten Jahreshälfte“, heißt es etwa aus Kiel.

Schleswig-Holstein: 1330 Plätze in Landesunterkünften frei

In den ersten sechs Monaten hat Schleswig-Holstein 4175 Asylsuchende aufgenommen. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 2105 gewesen. Das entspricht einer Steigerung von nahezu 100 Prozent. Nicht mit eingerechnet in diese Asyl-Statistik sind die Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor Putins Krieg geflohen sind und in Schleswig-Holstein Schutz gefunden haben. Bis Ende des vergangenen Jahres waren das 30.100 Frauen, Männer und Kinder.

Aktuell sind in den fünf Landesunterkünften (Neumünster, Boostedt, Rendsburg, Bad Segeberg und Seeth) 4340 der 5670 Plätze belegt. Das geht aus der Antwort des Kieler Sozialministeriums auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Bernd Buchholz hervor. Nur 1330 freie Plätze erscheinen dem FDP-Politiker deutlich zu wenig angesichts des erwarteten weiter steigenden Zuzugs. „Die Landesregierung muss handeln und die Erstaufnahmen-Kapazitäten deutlich erhöhen.“ Denn der Druck dürfte im Jahresverlauf weiter steigen, so Buchholz.

Flüchtlinge in SH: Land kennt Situation in Kommunen nicht genau

In den fünf schleswig-holsteinischen Erstaufnahmeunterkünften bleiben die Asylsuchenden zwischen im Schnitt 25 Tagen (Neumünster) und vier Monaten (Bad Segeberg). Dann geht es für sie weiter in die Kommunen. Nur: Wie viele freie Plätze es in den Dörfern und Städten überhaupt gibt, weiß das zuständige Sozialministerium nicht. „Daten … liegen dem Land nicht vor“, räumt die Behörde auf die Kleine Anfrage von Buchholz ein. Dass das Land „noch nicht einmal einen Überblick hat, welche Kapazitäten in den Kommunen tatsächlich vorhanden sind, ist zu wenig und nicht in Ordnung“, kritisiert Buchholz.

Was das Land weiß, ist, wie viele Flüchtlinge es in wessen Zuständigkeit übergeben hat. Dafür gibt es eine festgelegte Verteilungsquote. Die meisten Asylsuchenden und Ukrainer muss demnach der Kreis Pinneberg unterbringen (1500 von Januar bis einschließlich Juni), dann folgen Nordfriesland (1300) und gleichauf Plön und Segeberg (je 1150). Für knapp zwei Drittel der in Schleswig-Holstein untergekommenen Menschen konnten die Kommunen „individuellen Wohnraum“ finden, ein Drittel muss sich allerdings mit Gemeinschaftsunterkünften begnügen

Flüchtlinge: Norderstedt hat zwei Hotels angemietet

An der Stadt Norderstedt lassen sich die Folgen des Zuzugs für die Kommunen beispielhaft darstellen. So sind dort die Unterkünfte stark belegt. „Wir werden nicht aufhören, mobile Unterbringungen zu bauen“, sagt Katrin Schmieder, Sozialdezernentin der Stadt. Etwa 1800 Geflüchtete wohnen derzeit in städtischen Unterkünften. Norderstedt hat bereits im vergangenen Jahr zwei Hotels angemietet, um insbesondere Ukrainerinnen und Ukrainer hier unterzubringen. Dort leben sie seit mehr als einem Jahr. „Aber ohne Hotelstandard. Wir nutzen nur die Räume“, betont Schmieder.

Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte die Stadt die Sporthalle des Schulzentrum Süds als zusätzliche Notunterkunft für Flüchtlinge hergerichtet. Am Ende wurde sie nicht gebraucht. Inzwischen sind die Materialien eingelagert. „Von solchen Zuständen sind wir ganz, ganz weit entfernt – zum Glück“, sagt die Sozialdezernentin. Im Notfall könnte jedoch die Mensa der Schule innerhalb von zwei Wochen in eine Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert werden.

Eine große Herausforderung in Norderstedt stellt die schulische Versorgung der Kinder dar. „Da spüren wir wirklich Druck“, sagt Schmieder. Zum einen gibt es zu wenig Lehrkräfte für DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache). Und noch viel problematischer: Räume fehlen. „Kinder verlassen die DaZ-Klassen und wechseln in den Regelbetrieb. Es wird spürbar eng. Gerade in den Gemeinschaftsschulen wird extrem zusammengerückt.“

Elmshorn spricht von „großen Herausforderungen“

Offiziell wurden Elmshorn, mit etwa 52.000 Einwohnern die größte Stadt im Kreis Pinneberg, seit 2015 insgesamt 1800 Geflüchtete zugewiesen. Während es 2022 insgesamt 652 Menschen – die meisten kamen aus der Ukraine – Zuflucht in der Stadt fanden, gehen die Zahlen der Ukrainer in diesem Jahr deutlich zurück. „Dafür kommen wieder mehr Menschen über die Balkanroute, aus Syrien und Afghanistan zu uns“, sagt Dirk Moritz (parteilos), Erster Stadtrat.

Soweit die offiziellen Zahlen. Darin nicht enthalten sind die Menschen, die durch Familiennachzug dazu kommen. „Wir haben aktuell einen jungen Syrer eine Ein-Zimmer-Wohnung zugeteilt, der uns nun kurzfristig mitgeteilt hat, dass fünf weitere Menschen nachkommen“, sagt Dirk Moritz. Auch für deren Unterbringung ist die Stadt zuständig. Kein Einzelfall. Moritz schätzt die tatsächliche Zahl der Geflüchteten auf 5000 bis 6000. „Das stellt uns vor große Herausforderungen“, sagt er.

Wohnraum geht zur Neige, ehrenamtliches Engagement auch

Die Stadt hält Wohnraum vor, doch der Vorrat neigt sich dem Ende. „Wir haben einen Drei-Stufen-Plan. Die erste Stufe sieht die dezentrale Unterbringung vor. Diese Stufe ist abgeschlossen.“ Heißt: Der Wohnungsmarkt ist leer gefegt. Stufe zwei ist die Unterbringung in Studentenwohnheimen. „Die Plätze neigen sich dem Ende“, so der erste stellvertretende Bürgermeister. „Wir sind jetzt dabei, Stufe drei vorzubereiten – Containerdörfer.“ Konkrete Standorte gibt es dafür noch nicht.

In Elmshorn wird Ehrenamt eigentlich groß geschrieben. „Unser Willkommensteam leistet auch immer noch gute Arbeit. Aber man merkt, dass das ehrenamtliche Engagement zurückgeht“, sagt Moritz. Was die Kommunen vom Land fordern: Personen ohne Bleiberecht in den Erstaufnahmelagern zu behalten. „Außerdem soll sich das Land für eine gerechtere Verteilung in Europa stark machen.“

Schleswig-Holstein: Drei Millionen Euro für zusätzliche Schulsozialarbeit

Und es sei nicht mit der Unterbringung der Geflüchteten getan. „Wir müssen an allen sechs Grundschulen anbauen“, sagt Moritz. Die Friedrich-Ebert-Schule wurde für 8,5 Millionen Euro ausgebaut, die Grundschule Kaltenweide für 12,5 Millionen Euro – ohne Zuschüsse des Landes. „Das Land lässt uns im Stich“, sagt Moritz.

Andere Fördertöpfe können nicht angezapft werden. So hat das Land Schleswig-Holstein im September 2022 drei Millionen Euro für zusätzliche Schulsozialarbeit in Aussicht gestellt, um geflüchtete Kinder zu unterstützen. „In Kraft getreten ist die Richtlinie erst am 23. Mai 2023. Das heißt, wir konnten in der Zeit niemanden anstellen, weil die Finanzierung unklar war“, sagt Moritz.

In der Kreisstadt Pinneberg steht Bürgermeisterin Urte Steinberg (parteilos) vor ähnlichen Problemen: „Es wird für die Städte und Gemeinden immer schwieriger die Geflüchteten angemessen unterzubringen. Viele Geflüchtete habe nach dem Asylbewerberverfahren keine Perspektiven und Wohnungen. Sie sind dann in dem angespannten Wohnungsmarkt weiter auf die Unterbringung durch die Stadt angewiesen. Die Stadt Pinneberg hat entschieden, aus sozialen Gesichtspunkten auf große Sammelunterkünfte zu verzichten und mietet stattdessen Wohnungen in der Stadt an.“ In der größten Unterkunft in der Stadt Pinneberg sind zur Zeit 32 Personen untergebracht. Insgesamt bringt die Stadt derzeit 714 nichtdeutsche Personen unter.

Flüchtlingsbetreuung: Gibt es mehr Geld aus dem „Ukraine-Notkredit“?

Aktuell prüft die Landesregierung, ob sie den Kommunen aus dem bestehenden „Ukraine-Notkredit“ mehr Geld für ihre Aufgaben in der Flüchtlingsbetreuung zur Verfügung stellen kann. Das antwortet das Sozialministerium auf Buchholz’ Kleine Anfrage. Ansonsten gibt sich die grüne Sozialministerin Aminata Touré entspannt. „Wir sind als Land Schleswig-Holstein vorbereitet. Mit den Kommunen haben wir einen Vier-Stufen-Plan entwickelt, sodass wir sicherstellen, dass genügend Plätze für Geflüchtete vorhanden sind.“

Dieser Vier-Stufen-Plan sieht unter anderem temporäre bzw. größere Gemeinschaftsunterkünfte in den Kommunen und den Ausbau der Landesunterkünfte vor. Aminata Touré verweist darauf, dass man die maximale Kapazität in den Landesunterkünften schon auf 7200 Plätze erhöht habe. Nur: Von den rechnerisch 7200 Plätzen stehen tatsächlich nur 5674 zur Verfügung. Der Rest ist unter anderem für Reparaturen, Reinigungsarbeiten oder nach Infektionen mit ansteckenden Krankheiten gesperrt. Und von den 5674 Plätzen sind vor dem erwarteten weiteren Anstieg schon 4344 belegt.