Kiel. Schleswig-Holstein erforscht Verfahren zur Speicherung von Kohlendioxid. Daniel Günther ist dafür, die Grünen noch unentschlossen.

Die Grünen in Schleswig-Holstein führen gerade eine „brutale Auseinandersetzung mit der Realität“. So jedenfalls beschreibt Umweltminister Tobias Goldschmidt die Debatte um CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage). Bei diesem Verfahren wird Kohlendioxid nicht mehr über Schornsteine in die Atmosphäre gepustet, sondern in den Boden (unter der Nordsee) gepresst.

Der Landtag hat gerade erst Ja gesagt zu einer wissenschaftlichen Überprüfung der Methode – mit den Stimmen der Grünen. Und so könnte es zu einem Verfahren kommen, dass die Partei an sich ablehnt. Die Hintergründe.

CO2 im Boden der Nordsee speichern mit CCS

„Viel zu lang hatten wir in Deutschland keine ambitionierten Klimaschutzziele und vor allem keine wirkungsvollen Klimaschutzmaßnahmen. Jetzt müssen wir uns verantwortungsvoll mit den Realitäten auseinandersetzen“, sagt Goldschmidt dem Hamburger Abendblatt. Norwegen nutzt das Verfahren schon lange, Dänemark führt es jetzt ein.

Deutschland aber habe viel zu lange gebraucht, die Transformation hin zu klimaneutraler Industrie, Wärmeversorgung und CO2-freiem Verkehr überhaupt zu starten. „Weil wir zu spät auf die Bremse getreten sind, müssen wir uns jetzt mit solchen unappetitlichen Technologien auseinandersetzen“, sagt der grüne Minister.

Bei CCS wird CO2 in tiefe Gesteinsschichten im Meer gepresst. Angedacht ist das außerhalb der 12-Meilen-Zone. Damit hätten die Länder nichts mehr zu sagen, das fiele somit in die Entscheidungshoheit des Bundes.

Wissenschaftler halten CCS-Technologie für beherrschbar

Robert Habeck hatte seine Parteifreunde erst vor wenigen Wochen mit einem Vorstoß pro CCS überrascht. Der grüne Bundeswirtschaftsminister nannte die Technologie „nach wissenschaftlichen Analysen sicher“ und lobte vor Ort die jahrzehntelange Erfahrungen Norwegens mit CCS. „Und das, was befürchtet wurde, dass CO2 wieder entweicht, möglicherweise Schaden an anderer Stelle anrichtet, ist nicht eingetreten“, so Habeck.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther wirbt wie Habeck für CCS: „Wenn länderübergreifend Wissenschaftler und Ingenieure sich für CCS aussprechen, dann sollten wir in Deutschland dieses Thema diskutieren“, sagt der CDU-Politiker. Forschungen zeigten, dass von diesen Speicherungen keine Gefahr ausgehe. „Selbst wenn CO2 austreten sollte, wären die Auswirkungen sehr gering und räumlich eng begrenzt“, so Günther. Auch Wissenschaftlicher wie Klaus Wallmann vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung halten die CCS-Risiken für gering und die Technologie für beherrschbar.

Während der eine Grüne, Habeck, die Vorteile von CCS betont, ist der andere, Goldschmidt, deutlich zurückhaltender. Er spricht von einer „teuren und riskanten Technologie“, sagt aber auch: „Wir sollten die Option gewissenhaft prüfen.“ Denn trotz aller Maßnahmen zur Erlangung der Klimaneutralität werde der CO2-Ausstoß nicht auf null zu steuern sein wird. „Es wird nie möglich sein, alle Treibhausgasemissionen restlos zu vermeiden. Selbst wenn wir alle Klimaschutzanstrengungen unternommen haben, dürften noch ungefähr fünf Prozent der Emissionen von 1990 übrigbleiben“, sagt Goldschmidt.

Minister sieht „kritische Dimension“ bei CCS

Für den Umgang mit den „unvermeidbaren Rest-Emissionen, die noch da sein werden, auch wenn die Industrie komplett ohne fossile Energieträger auskommt und die Landwirtschaft alle Potenziale gehoben hat“ sei CCS trotz aller Risiken eine Option. „Und ob ich die ablehne oder ich der zustimme, ist für mich heute noch gar nicht entschieden. Richtig ist aber, dass wir uns damit jetzt auseinandersetzen“, sagt Goldschmidt jetzt – obwohl CCS auch eine kritische Dimension habe.

„Wie sicher ist es, dass das CO2 nicht wieder aus dem Meeresboden herauskommt? Dass das Meer nicht versauert? Was bedeutet das für die Fauna unter Wasser? Wie können wir sicherstellen, dass durch die Verbesserung nicht schädliches Formationswasser aus dem Gestein heraus- und ins Meer gelangt?“, will Goldschmidt wissen.

Umweltminister ist wegen des Restrisikos bei CCS besorgt

Fragen wie diese sollen jetzt aufgearbeitet werden. In diesem Verfahren wird auch geklärt werden müssen, wie das Kohlendioxid in den Meeresboden gepresst werden könnte. Ob der Transport mit dem Schiff oder über eine Pipeline erfolgen würde, ist eine der vielen offenen Fragen. Goldschmidt sorgen die Restrisiken des Verfahrens.

Darüber hinaus sieht der grüne Minister die Gefahr, dass der politische Druck, den CO2-Ausstoß radikal zu reduzieren, abnehmen könnte, wenn die CCS-Technologie erst einmal in Deutschland eingesetzt wird. „In der Vergangenheit war es richtig, CCS zu verbieten, weil immer nur diskutiert wurde, auf diese Weise das fossile Zeitalter zu verlängern“, sagte Goldschmidt.

Stattdessen habe aber die Einsparung von Treibhausgasen absolute Priorität. „Das sage ich auch nochmals mit Blick auf CDU und FDP im Bund! Teile beider Parteien scheinen nämlich zu glauben, mit CCS ambitionierten Klimaschutz auf die lange Bank schieben zu können“, kritisiert Goldschmidt.

CO2: Aus der Atmosphäre in den Nordseeboden

CDU und Grüne im Norden haben sich in ihrem Koalitionsvertrag im Sommer 2022 festgelegt, Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klimaneutralen Bundesland zu machen. Für die Zeit ab 2045 schreibt dann ein Bundesgesetz sogar negative Emissionen vor. „Das heißt, dass wir Emissionen wieder aus der Atmosphäre rausnehmen wollen. Auch deshalb ist es richtig, den Einsatz der CCS-Technologie zu prüfen“, sagt Goldschmidt.

Übrigens: Nach dem Vorstoß Robert Habecks war es Daniel Günther , der mit einem überraschenden CCS-Plädoyer in einer Sendung von Markus Lanz den grünen Koalitionspartner unter Druck setzte, das Thema wieder aufzugreifen. Umweltschützer vermuten, dass der CDU-Politiker damit seinen Koalitionspartner „ein bisschen quälen“ wollte: „Habeck hat in Norwegen die Tür geöffnet. Und dann ist Daniel Günther durchmarschiert“, hört man in Schleswig-Holstein.